n
18. Der einsane Neg
Deutsches Volksblatt
Husschnitt aus:
Wien
20. 2. 1914
vom:
Theater, Kunst und Literatur
Hofburgtheater. Artur Schnitzlers fünfaktige
Schauspiel „Der einsame Weg##da# gestern anunserei
Hofbühne zum erstenmal gegeben wurde, ist keine Novität
sie ist es auch nicht für Wien, denn ein Berliner Ensemble
unter der Führung des verstorbenen Direktors Brahm
hatte es gelegentlich seines Wiener Gastspieles zur Auf¬
führung gebracht. Seit damals ist das Stück nicht besser
geworden. Seine Mängel sind vielmehr gestern noch schärfer
hervorgetreten als zu jener Zeit. Das Konstruierte, Ge¬
quälte und Quälerische der Handlung, von deren
dürftigem Gehalt zum Schlusse, nachdem sie durch
Akte mühsam hingeschleppt wurde,
lange
fünf
herrichte
zu bemerken ist,
nichts mehr
fast
vor, so daß manches im Tialog hie und da aufblinkende
kluge oder schöne Wort, ohne Beachtung zu finden, zu Boden
fiel. Ob es nun „Der Weg ins Freie“ oder „Der einsame
Weg“ ist, immer wieder stehen wir bei Schnitzler vor einer
jener Familiengeschichten, von welchen man uns so gerne
einreden möchte, daß sie typisches Wienertum sind. Wenn
wir dem Autor recht geben wollten, müßte man einräumen,
daß es kaum ein nach außen hin tadellos erscheinendes
Haus gibt, das nicht ein diffamierendes Geheimnis zu ver¬
bergen hätte. Die Frau des Akademiedirektors Wegrath ist
mit einer Lüge in die Ehe getreten, der Sohn, den sie ihrem
Manne gebar, hat den Freund Wegraths, den Maler Fichtner,
zum Vater. Dieser wußte viele Jahre gar nichts davon
und es interessierte ihn auch nicht sonderlich, als er es
erfuhr. Erst als Frau Wegrath stirbt, beginnt er um sein
Fleisch und Blut zu werben, aber auch nur deshalb, weil
es dem alternden Junggesellen, dem keine Liebesabenteuer
mehr blühen, auf seinem Lebenswege zu einsam wird. Der
Sohn aber, der Offizier geworden ist, will von der so spät
erwachten Liebe nichts wissen, sondern nennt lieber den, der
is ihm bisher Schutz und Schirm gewesen war, auch in alle
AS
Zukunft Vater. Das wäre nun freilich zu wenig gewesen,
um sich zu fünf Akten eines Schauspieles ausspinnen zu
lassen. Deshalb muß die Tochter Direktor Wegraths ein
überspanntes, hysterisches Mädchen sein, das in seiner Ver¬
drehtheit die Geliebte eines schon ziemlich stark angegrauten
Freundes des Hauses wird, der weit mehr Raisonneur
als Charmeur
und
ist
einsam
gleichfalls
seine Straße zieht. Als dieser Mann vom Arzte zum Todes¬
kandidaten gestempelt wird, ertränkt sich das junge Ding im
Teiche seiner Villa, der alternde Verführer aber kommt dem
drohenden Herzschlage durch eine wohlgezielte Kugel zuvor.
Zum Schlusse wird dann noch ein wenig Nutzanwendung
aus den Vorgängen des Schauspieles gezogen: Es gäbe mehr
Glück und weniger Unglück in der Welt, wenn die Menschen
weniger verschlossen wären und nicht die einsamen Wege so
sehr liebten. Der nach den Aktschlüssen sich ziemlich auf¬
dringlich bemerkbar machende Applaus konnte über das Un¬
befriedigende des Stückes nicht hinwegtäuschen. Und dabei
konnte sich das Schnitzlersche Drama einer Darstellung
rühmen, wie sie besser wohl kaum gedacht werden kann. Frau
Bleibtreu als eine der zur Füllung der Leere der Hand¬
lung verwendeten Figuren war von herzerfrischender
Natürlichkeit, Fräulein Wolgemuth, um die unmögliche
Gestalt des hysterischen Mädchens nach Kräften bemüht,
und Frau Haeberle in der kleinen Rolle der Frau
Wegrath waren vorzüglich. Von den Herren waren Herr
Paulsen als Akademiedirektor wieder von prächtiger Ein¬
fachheit, Herr Walden von vornehmer und doch eindring¬
licher Charakteristik, Herr Devrient, der auch die Regie
führte, sympathisch in der gar nicht dankbaren Rolle des
natürlichen Vaters. Herr Gerasch befleißigte sich gestern,
gefreulicher Zurückhaltung und in einer kleineren Rolle i
ntoch Herr Herterich zu nennen.
—
box 23/4
usschnitt aus:
Velks-Zeitung, Wier
20. 2.1911
Weine Ausgabe)
om:
Purgkheaterg. Der ein samé Mea= Schau¬
de Ande-Achnitzler. Zum
Piel in fuf
erstenmalPueater am 19. Februar 1914.)
MMit der Untführsng des Schauspieles „Der einsame
Weg“ hatldas Burgtheater gestern eine alte Dankesschuld
an Artur Schnitzler abgetragen. Wenn auch das Stück
über Berlin nach Wien gelangt ist so nahm es dennoch
von Oesterreich seinen Ausgang. Bei aller tiefschürsenden
Psychologie, deren Ursprünge auf die Nordländer und
insbesondere auf Ibsen zurückreichen mögen, ist diese
Dichtung im innersten Kerne ihres Wesens doch heimatl .
Oesterreichisch fühlen und denken diese Menschen in
ihrer vom Hauche sanster Melancholie umflossenen
Fröhlichkeit, in ihrem von erlesenster Kultur geadelten
Schönheitsempfinden. Wienerisch vor allem ist die prächtigste
Frauengestalt des Stückes — die Schauspielerin Irene
Herms. Voll Wärme und Temperament und dabei ganz
erfüllt von echtester Weiblichkeit. Lieblich und anmutsvoll
ist auch die Landschaft, die mit den Personen so innig
verwoben ist, daß sie mit diesen beinahe ein Ganzes
bildet. Es ist das hohe Lied der Liebe zu den Kindern,
das Schnitzler hier verkündet, wie er es späler in dem
herrlichen Schlußakkord seines Dramas „Das weite
Land“ getan. Im „Einsamen Weg“ bleibt es einer Frau
vorbehalten, dies in schönster Weise zu offenbaren.
„Eine Frau, die kein Kind hat ist gar nie eine
diesem Sehnsuchtsruf der
Frau gewesen“
kinderlos alt gewordenen Komödiantin Irene Herms
tiefe Tragik ihres Daseins.
zeigt sich die
— Unter den Darstellern lassen wir den Damen nicht
nur aus Gründen der Galanterie den Vortrikt. Prächtig
charakterisierte Frau Bleibiren Irene Herms warm¬
blütig=natürliches Wesen. Die seelischen Tiefen Johannas
wußte Fräulein Wohlgemuth in verklärter Schön¬
heit mit Helle zu erfüllen. Die leidende Frau Gabriele
spielte Frau Haeberle schlicht und ergreifend. Sonst
gab es von dem markant gezeichneten Sala Harry
Waldens abgesehen nicht viel Erfreuliches. Dem
Julian Fichtner Devrients fehlte der Zug künst¬
lerischer Größe. Die Herren Gerasch (Felix) und
Herterich (Doktor Reumann) blieben ziemlich
monoton. Um den Professor Wegrath bemühte sich Herr
Paulsen mit einigem Erlolg. Das Publikum be¬
reitete dem Stück eine freundliche Aufnahme, so daß
Schnitzler am Schlusse des dritten Aktes mehrmals
dankend erscheinen konnte.
18. Der einsane Neg
Deutsches Volksblatt
Husschnitt aus:
Wien
20. 2. 1914
vom:
Theater, Kunst und Literatur
Hofburgtheater. Artur Schnitzlers fünfaktige
Schauspiel „Der einsame Weg##da# gestern anunserei
Hofbühne zum erstenmal gegeben wurde, ist keine Novität
sie ist es auch nicht für Wien, denn ein Berliner Ensemble
unter der Führung des verstorbenen Direktors Brahm
hatte es gelegentlich seines Wiener Gastspieles zur Auf¬
führung gebracht. Seit damals ist das Stück nicht besser
geworden. Seine Mängel sind vielmehr gestern noch schärfer
hervorgetreten als zu jener Zeit. Das Konstruierte, Ge¬
quälte und Quälerische der Handlung, von deren
dürftigem Gehalt zum Schlusse, nachdem sie durch
Akte mühsam hingeschleppt wurde,
lange
fünf
herrichte
zu bemerken ist,
nichts mehr
fast
vor, so daß manches im Tialog hie und da aufblinkende
kluge oder schöne Wort, ohne Beachtung zu finden, zu Boden
fiel. Ob es nun „Der Weg ins Freie“ oder „Der einsame
Weg“ ist, immer wieder stehen wir bei Schnitzler vor einer
jener Familiengeschichten, von welchen man uns so gerne
einreden möchte, daß sie typisches Wienertum sind. Wenn
wir dem Autor recht geben wollten, müßte man einräumen,
daß es kaum ein nach außen hin tadellos erscheinendes
Haus gibt, das nicht ein diffamierendes Geheimnis zu ver¬
bergen hätte. Die Frau des Akademiedirektors Wegrath ist
mit einer Lüge in die Ehe getreten, der Sohn, den sie ihrem
Manne gebar, hat den Freund Wegraths, den Maler Fichtner,
zum Vater. Dieser wußte viele Jahre gar nichts davon
und es interessierte ihn auch nicht sonderlich, als er es
erfuhr. Erst als Frau Wegrath stirbt, beginnt er um sein
Fleisch und Blut zu werben, aber auch nur deshalb, weil
es dem alternden Junggesellen, dem keine Liebesabenteuer
mehr blühen, auf seinem Lebenswege zu einsam wird. Der
Sohn aber, der Offizier geworden ist, will von der so spät
erwachten Liebe nichts wissen, sondern nennt lieber den, der
is ihm bisher Schutz und Schirm gewesen war, auch in alle
AS
Zukunft Vater. Das wäre nun freilich zu wenig gewesen,
um sich zu fünf Akten eines Schauspieles ausspinnen zu
lassen. Deshalb muß die Tochter Direktor Wegraths ein
überspanntes, hysterisches Mädchen sein, das in seiner Ver¬
drehtheit die Geliebte eines schon ziemlich stark angegrauten
Freundes des Hauses wird, der weit mehr Raisonneur
als Charmeur
und
ist
einsam
gleichfalls
seine Straße zieht. Als dieser Mann vom Arzte zum Todes¬
kandidaten gestempelt wird, ertränkt sich das junge Ding im
Teiche seiner Villa, der alternde Verführer aber kommt dem
drohenden Herzschlage durch eine wohlgezielte Kugel zuvor.
Zum Schlusse wird dann noch ein wenig Nutzanwendung
aus den Vorgängen des Schauspieles gezogen: Es gäbe mehr
Glück und weniger Unglück in der Welt, wenn die Menschen
weniger verschlossen wären und nicht die einsamen Wege so
sehr liebten. Der nach den Aktschlüssen sich ziemlich auf¬
dringlich bemerkbar machende Applaus konnte über das Un¬
befriedigende des Stückes nicht hinwegtäuschen. Und dabei
konnte sich das Schnitzlersche Drama einer Darstellung
rühmen, wie sie besser wohl kaum gedacht werden kann. Frau
Bleibtreu als eine der zur Füllung der Leere der Hand¬
lung verwendeten Figuren war von herzerfrischender
Natürlichkeit, Fräulein Wolgemuth, um die unmögliche
Gestalt des hysterischen Mädchens nach Kräften bemüht,
und Frau Haeberle in der kleinen Rolle der Frau
Wegrath waren vorzüglich. Von den Herren waren Herr
Paulsen als Akademiedirektor wieder von prächtiger Ein¬
fachheit, Herr Walden von vornehmer und doch eindring¬
licher Charakteristik, Herr Devrient, der auch die Regie
führte, sympathisch in der gar nicht dankbaren Rolle des
natürlichen Vaters. Herr Gerasch befleißigte sich gestern,
gefreulicher Zurückhaltung und in einer kleineren Rolle i
ntoch Herr Herterich zu nennen.
—
box 23/4
usschnitt aus:
Velks-Zeitung, Wier
20. 2.1911
Weine Ausgabe)
om:
Purgkheaterg. Der ein samé Mea= Schau¬
de Ande-Achnitzler. Zum
Piel in fuf
erstenmalPueater am 19. Februar 1914.)
MMit der Untführsng des Schauspieles „Der einsame
Weg“ hatldas Burgtheater gestern eine alte Dankesschuld
an Artur Schnitzler abgetragen. Wenn auch das Stück
über Berlin nach Wien gelangt ist so nahm es dennoch
von Oesterreich seinen Ausgang. Bei aller tiefschürsenden
Psychologie, deren Ursprünge auf die Nordländer und
insbesondere auf Ibsen zurückreichen mögen, ist diese
Dichtung im innersten Kerne ihres Wesens doch heimatl .
Oesterreichisch fühlen und denken diese Menschen in
ihrer vom Hauche sanster Melancholie umflossenen
Fröhlichkeit, in ihrem von erlesenster Kultur geadelten
Schönheitsempfinden. Wienerisch vor allem ist die prächtigste
Frauengestalt des Stückes — die Schauspielerin Irene
Herms. Voll Wärme und Temperament und dabei ganz
erfüllt von echtester Weiblichkeit. Lieblich und anmutsvoll
ist auch die Landschaft, die mit den Personen so innig
verwoben ist, daß sie mit diesen beinahe ein Ganzes
bildet. Es ist das hohe Lied der Liebe zu den Kindern,
das Schnitzler hier verkündet, wie er es späler in dem
herrlichen Schlußakkord seines Dramas „Das weite
Land“ getan. Im „Einsamen Weg“ bleibt es einer Frau
vorbehalten, dies in schönster Weise zu offenbaren.
„Eine Frau, die kein Kind hat ist gar nie eine
diesem Sehnsuchtsruf der
Frau gewesen“
kinderlos alt gewordenen Komödiantin Irene Herms
tiefe Tragik ihres Daseins.
zeigt sich die
— Unter den Darstellern lassen wir den Damen nicht
nur aus Gründen der Galanterie den Vortrikt. Prächtig
charakterisierte Frau Bleibiren Irene Herms warm¬
blütig=natürliches Wesen. Die seelischen Tiefen Johannas
wußte Fräulein Wohlgemuth in verklärter Schön¬
heit mit Helle zu erfüllen. Die leidende Frau Gabriele
spielte Frau Haeberle schlicht und ergreifend. Sonst
gab es von dem markant gezeichneten Sala Harry
Waldens abgesehen nicht viel Erfreuliches. Dem
Julian Fichtner Devrients fehlte der Zug künst¬
lerischer Größe. Die Herren Gerasch (Felix) und
Herterich (Doktor Reumann) blieben ziemlich
monoton. Um den Professor Wegrath bemühte sich Herr
Paulsen mit einigem Erlolg. Das Publikum be¬
reitete dem Stück eine freundliche Aufnahme, so daß
Schnitzler am Schlusse des dritten Aktes mehrmals
dankend erscheinen konnte.