II, Theaterstücke 18, Der einsame Weg. Schauspiel in fünf Akten (Junggeselle, Junggesellenstück, Die Egoisten, Einsame Wege, Wege ins Dunkle, Weg zum Licht), Seite 400

in seiner Wirtung vertieft, klarer in seiner allgemein
menschlichen Fassung herausgearbeitet und über das
„Niveau einer bühnentechnisch mehr oder minder
geschickt konstruierten literarischen Arbeit empor¬
gehoben.
Die Aufführungen der Berliner liegen so weit
hinter uns, daß eine Rekapitulation des Inhalts des
Schnitzlerschen Schauspiels uns nicht überflüssig
erscheint. Der Dichter führt uns ungezwungen unter
die Menschen ein, deren Geschicke sich unter unsern
Augen vollziehen sollen. Zuerst sehen wir Johanna
(Fräulein Wohlgemuth) und Felix (Herr
Gerasch) im Garten ihres Vaters, des Akademie¬
professors Wegrat (Herr Paulsen), im Gespräch
über die Krankheit der Mutter (Fräulein Haeberle).
Johanna weiß, daß der Mutter Tod nahe bevorsteht,
dank der schmerzlichen Gabe des zweiten Gesichts, die
ihr schon einmal den Tod eines Kindes vorhergesagt
hat, des einzigen eines Freundes der Familie, des
Herrn v. Sala (Herr Walden). Und nun treten
vor uns hin, deren Beziehungen zueinander ein in
sich geschlossenes Stück Leben gestalten: Herr v. Sala,
der überlegene Lebenskünstler, der sich jetzt auf die
(Teilnahme an einer wissenschaftlichen Reise nach
ktrien vorbereitet, der resignierte „Kunstbeamte“
fessor Wegrat, seine kranke, den nahen Tod
nde Gattin Gabriele und ihr Arzt und Ver¬
ter. In den Gesprächen werden zwei Namen
mnt, der halbverschollene geniale Maler Julian
chtner (Herr Devrient), Wegrats Jugendfreund,
und die Schauspielerin Irene Herms (Frau
Bleibtreu) — und aus der Zwiesprache des Arztes
mit seiner Kranken geht hervor, daß Felix Julians
Sohn ist. Der Arzt beschwichtigt die Skrupel der Frau,
die es schwer trägt, den zärtlichen, vertrauenden
Gatten belogen zu haben.
Diese Exposition bereitet die nun in rascher
Folge sich abspielenden Dinge ausgezeichnet vor
Julian ist, des Umherschweifens müde und in plötz¬
lich erwachter Sehnsucht nach seinem Sohn, zurück¬
gekehrt. Von Sala erfährt er Gabrielens Tod —
Sala weiß, daß Felix Julians Sohn ist. Eine Szene
mit Irene Herms, Julians einstiger Geliebten —
ein Stück im Stücke — zeigt uns sein Charakter¬
bild so klar und scharf umrissen, daß die
darauffolgende Szene mit Felix geradezu be¬
wunderungswürdig in ihrer konsequenten Führung
erfcheint. Felix kommt, sich ein Bild auszubitten, das
Julian von der Braut Wegrats gemalt hat; der
Ausdruck des Bildes macht Felix betroffen —
„dieser Blick war auf Sie gerichtet?!“ — # Julian
bedenkt sich nicht, ihm in wenig Worten alles zu
sagen. Erschüttert und unsicher verläßt ihn Felix.
Sala, der mittlerweile mit Johanna zu in¬
timen Beziehungen gelangt ist, bietet Felix die Teil¬
nahme an der baktrischen Expedition an, die dieser
mit Freuden zusagt, vielleicht um dem Konflikt aus
dem Wege zu gehen, in den ihn Julians gestrige
Mitteilungen gestürzt haben. Da unternimmt Julian
noch einen Sturm auf Felix, den er durch die
stärkste Selbstanklage für sich zu gewinnen sucht
— eine Selbstanklage, die kein Bedauern, keine
Reue kennt, die völlig wie Ruhmredigkeit klingt
und von grenzenlosem Selbstbewußtsein durch¬
tränkt ist. Er malt sich verruchter vielleicht, als er es
wirklich ist — und Felix weist ihn zurück. Julian ist
ihm ein Fremder geworden. Jetzt geht eine Tragödie
der Katastrophe zu: Sala ist vom Arzt als Tod¬
geweihter erklärt worden, und Johanna, der vor
dem Leiden graut, macht eine dunkle Vorhersage
wahr, sie werde „fortgehen“, weit fort ohne Ziel: sie
ertränkt sich in dem Teich seines Gartens. Sala wird
ihr folgen. Felix, der nun den Vater in seiner Ver¬
einlamung nicht verlassen will, umfängt ihn zum
erstenmal mit warmer, zärtlicher Sohnesliebe
und nun erst sieht Julian seine Sache verloren und
schreitet stumm hinaus, den „einsamen Weg“ in das
fernere Leben.
Dieses kahle Gerippe der Handlung läßt kaum
andeutungsweise den großen Stimmungsgehalt des
Werkes erkennen, noch weniger die Schönheiten des
Dialogs, der völlig ungesucht sich aus der folge¬
richtigen Zeichnung der Charaktere ergibt. Die Dar¬
stellung kam den Intentionen des Dichters in der
Hauptsache ganz außerordentlich entgegen. Devrient
spielte den Herrenmenschen Julian am besten im
und der Trauer einer rätselhaften Psyche ausstattete
in bedenkenloser Liebe an sich ketten würde. Im
letzten Akt riß er aber doch wieder die Hörer zu
lautem Beifall hin durch scharf pointierte Rede und
markantes Spiel. In guter Haltung spielte Herr
Gerasch den Felix, und den Professor Wegrath
zeichnete Herr Paulsen ungemein charakteristisch.
Nach den beiden ersten Akten dankte Herr
Treßler namens des Autors; nach den folgenden
Aktschlüssen quittierte Schnitzler selbst den leb¬
haften Beifall, der ihn am Schlusse noch mehrere,
Male an die Rampe rief.