II, Theaterstücke 18, Der einsame Weg. Schauspiel in fünf Akten (Junggeselle, Junggesellenstück, Die Egoisten, Einsame Wege, Wege ins Dunkle, Weg zum Licht), Seite 432

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18. Der einsan
sondern gerade an dem späteren Schnitzler gemessen, erscheint
„Der einsame Weg“ schon ein wenig veraltet, sind Schleier über
ihn herabgesunken. Ich hatte es noch ganz anders in Erinne¬
rung, ich fand zwar all die wunderschönen Stimmungen zwischen
den Gegenden, Menschen und Schicksalen wieder, nur meine
Stimmung, mein damaliges Entwicklungsbild Schnitzlers suchte
ich vergebens wieder. Wen der Dichter in sein „Westes Land“
geführt hat, der mag ungerecht geworden sein gegen die weichen,
feinen Bedutten seines „Einsamen Weges“
Vielleicht waren es aber auch Regie und Darstellung im
Burgtheater, die den Berliner Eindruck verwischten, statt ihn
hr Morgen Wien
wieder aufleben zu lassen. Die Brahm=Leute kamen direkt von
Ibsen zu Schnitzler. Brahm hatte den „Sinn für das Wesent¬
2. 1911
liche“ an dem es den Regisseuren unserer Hofbühne zuweilen
mangelt. Wo die Berliner ins Symbolische, fast Mystische stili¬
sierten, stilisierte Deprient ins Pathetische. Sein Julian
Theater der Woche.
Fichtner deklamierte ziemlich unwillig und gelangweilt, aber
#ater: Artur Schnitzler, „Derein¬
pflichtgetreu darauf los. Stück und Rolle lagen diesem Künstler
as Stück ist etwa zehn Juhrevor acht
nicht. Er ist ein Meisterspieler eherner und dabei tadellos frisier¬
une Uraufführung bei Brahm am Berliner
ter Korrektheit oder unbiegsumen Hasses. Man darf ihn keine
t; die Wiener haben es bei den Gastspielen
genialischen Weichlinge spielen lassen. Auch ist der Regisseur
ten gelernt. Bassermann gab den Herrn von
nicht, der Fräulein Wohlgemuth hätte zu den Mitteln leiten
1 Julian Fichtner, Stieler Felix den Sohn
können, mit denen eine Johanna Wegrath dem Verständnis des
ter den Professor Wegrath, Irene Triesch das
Publikums näher gebracht werden könnte. Der Triesch hat man
Tod geliebter Wesen vorherfühlt, Else Leh¬
solche Gestalten ohneweiters geglaubt, Fräulein Wohlgemuth
te Schauspielerin Herms. Schon damals war
tastete ersichtlich angstvoll nach einem Führer, der sie auf diesem
Dichters, aber kein kräftiger, kein nachhaltiger
schreckhaft einsamen Weg geleitet hätte. Sie war Fräulein und
faußen ging auch noch das Wienerische ver¬
schön und mußte doch ungeleitet in den düsteren Teich unter
ssen Gestalten Farben leiht und einen wesent¬
den dunklen Buchen des Herrn v. Sala nach Hause gehen.)
rschlagenen Lyrik bildet, an der dieses Werk
Man hätte eben doch Frau Medelsky daran wagen müssen. Von
zu denjenigen Arbeiten des Dichters, die man
ihr wäre auch etwas Wärme auf den Sala Harry Waldens
Schwächen liebt. Er hat die Überzartheit, die
übergeströmt. In dieser durchaus achtenswerten Leistung, die
Verknüpfung in diesem Spitzengewebe selbst
von Akt zu Akt zu wachsen schien, war leider zu viel von #
eweist vor allem sein nächstes Werk: „Der Ruf
angestrengten Aufrecken zu merken. Man hatte das Gefühl, daß
in selbst sonst gerechter empfindende Kritiker
Walden sich geistig und körperlich auf die Zehenspitzen stellt,
Vorwurf einer Kolportagehandlung machten.
um zu der Rolle hinaufzureichen, sie fassen zu können. Dadurch
kt dieses Stückes ist übrigens ein Beispiel, wie
fliegt diesem Herrn v. Sala die Absichtlichkeit eines Poseurs
freieste dichterische Höhe sehr oft auf undra¬
an. Walden schien besonders in den beiden ersten Akten zu
erreicht, Über den „Einsamen Weg“ ist er in
sorgsam um die Eleganz und Rundheit seiner weltmännischen
eit emporgelangt. Technik und dramatische
Überlegenheit bemüht. Er spielte Persönlichkeit, aber gerade
either gewachsen. Nicht so sehr an und für sich,
die kann man nur dann fühlen lassen, wenn man selbst fest
davon überzeugt ist, daß man sie nicht darzustellen braucht, daß
man sie ganz einfach hat. Dennoch erreichte Walden im dritten
Akt in der großen Szene mit Fichtner und bei seinem Abschied
im letzten Akt künstlerisch alles, was seine Natur ihn er¬
reichen läßt.
Wundervoll echt und einfach war Frau Bleibtreu in
der Lehmann=Rolle. Hier ist Persönlichkeit, der die Mittel, sich
verständlich zu machen, nur so zuströmen. Schon ihr kultiviertes
Wienerisch war entzückend. Die — übrigens ergreifend schöne —
Szenerie im Garten des Herrn v. Sala wurde erst dann die
echte Wiener Herbstlandschaft, die sie sein sollte, als Frau
Bleibtreu ihr als Fräulein Herms huldigte. Sie war der Atem
dieser Landschaft. Aufrichtig wohl tut es mir, auch Herrn
Gerasch, der ja immer strebend sich bemüht, herzlich loben
zu können. Er hat die Haltung, die Herr v. Sala am heran¬
wachsenden Geschlecht lobt, und durfte in einer Temperiertheit
verharren, die ihm ersichtlich gut anschlägt. Auch Paulsen
als Professor Wegrath und Frau Hacherle als kranke,
von der Lüge ihre. Ehe verzehrte Mutter, bedurften keines
Führers; sie gaben sich unbekümmert um den Stil der anderen
und trafen sich so im Stil mit Frau Bleibtreu, obgleich sie ihr
im Stücke gar nicht begegnen. Sonst gibt es leider jetzt zu piel
einsamna Wege im Ensemble des Burgtheaters ...
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