II, Theaterstücke 18, Der einsame Weg. Schauspiel in fünf Akten (Junggeselle, Junggesellenstück, Die Egoisten, Einsame Wege, Wege ins Dunkle, Weg zum Licht), Seite 452


heiten, Verrücktheiten und Nöten. Wir verstehen
sie nicht, sie rühren uns nicht, sie vermögen uns
kaum zu interessieren. Sie ergehen sich in klugen,
bilderreichen Reden, sie seufzen viel und bemühen
sich umständlich um unsere Teilnahme. Sie be¬
slagen sich über unerreichbares Glück und tun
hlles, um unglücklich zu sein. Sie treiben Mi߬
rauch mit den Worten Liebe, Vater, Mutter,
Sohn. Und sie leben nicht lange und es ergeht
hnen nicht wohl auf Erden.
Diese Menschen sind nicht von unserem Fleisch
und Blut. Um diese Menschen zu erklären, bedarf
ich nur eines Wortes: Es sind jüdische Menschen.
Sie sind die Kreaturen eines Dichters, der glaubt,
das uralte Erbteil seiner Rasse: ihre Unstetheil,
ihren zersetzenden Zweifel an allen lebensbejahen¬
den Werten als dramatischen Atem verwerten zu
skönnen. Es gibt kaum ein Schnitzlersches Stück,
an dem sich dies nicht nachweisen ließe. Viele
von Ihnen haben wienerischen Glanz und Duft.
Wie himmelweit aber liegen sie ferne von unse¬
rem Wesen und Denken. Denn ihr Wienertum
fist nur Anstrich, nur Fassade. Wie absolut wesens¬
ffremd uns die Art doch ist, im Gespräch unsere
Gefühle zu zerfasern, sie mit glänzenden Worten
vor dem anderen auszubreiten, ihm unsere Träume
sund Vorstellungen aufzudrängen, wie es so viele
enstune den Senche dn Zischenstun den
her Schnitzlerschen Menschen kun. Wie sehr es
Theaters.
doch gegen unsere Natur ist, hinter allen, auch
Der einsame Weg führt in unermeßliche
hinter den klarsten Dingen, Anlässe zu quälend
Trostlosigkeit. Laster und Gemeinheit sind als
fiefsinnigen Grüblereien aufzuspüren! Dieser ein¬
Wegweiser an seinen Rändern aufgestellt und
ame Weg spielt sich ab in ein paar Herbstlagen,
kein Sonnenstrahl vergoldet ihn.
Deren Schönheit oft beieuert wird, niemals aber
Anruf und Frage an das Hofburgtheater:
bhne einen Seufzer, wie ich mich denn überhaupt
Wodurch sah sich diese Hofbühne veranlaßt, dieses
nicht entsinne, während des ganzen Stückes auch
alte, nokorisch schlechte, anderweilig längst durch¬
ur ein einziges Mal lachen gehört zu haben.
gefallene, ja bei der Première am Deutschen
Wie gründlich verkennt dieser Dichter, dessen
Theater in Berlin laut und rücksichtslos ver¬
wienerische Note man oft rühmen gehört hat, das
lachte Stück aufzuführen!?“
Wiener Wesen und die Wiener Landschaft, die
Und dieses Machwerk wird von der „Neuen
sauch dann noch heiler sind, wenn sie wehmütig
Freien Presse“ wie zum frechen Hohn in einem
sind. Welch ein Nutznießer ist er am Blute dieser
Sspaltigen Feuilleton also gepriesen:“
Stadt, der man einreden will, sie habe ihm als
„Vor Jahren wurde „Der einsame Weg“,
ihrem Dichter zu danken. Auch heute wieder slogen
von Berliner Gästen einige Male aufgeführt, doch
uns unausgesetzt Worte, wie: Dornbach, schöner
1 mit den Schauspielern verschwand auch das Schau¬
Weg bei Salmannsdorf, Türkenschanze um die
spiel. Für das Burgtheater ist es ganz neu. Un¬
Ohren, daß wir wohl meinen solllen, weiß Gott
streitig gehört es zu Arlur Schnitzlers feinsten
wie wienerisch doch dieses Stück sein müsse. Allein
dramatischen Dichlungen; wir sagen nicht zu seinen
mir ist nicht bange. Denn die Erkenntnis, daß
besten. Jedenfalls kann man sich kein zarleres
auch der herrlichste Herbstwald von Dornbach nur
Gewebe denken. Das Stück almet eine Melan¬
so lange schön ist, so lange Schnitzlersche Menschen
cholie, die uns wie ein süßes Gift beläubt, und
dort keine Villa haben, und diesen Landschafts¬
ganz eingetaucht ist es in jene Zwielichtstimmung,
zauber nicht als Hintergrund für ihre unsauberen
die Formen und Farben der Dinge noch erkennen
dramatischen Geschäfte mißbrauchen, diese Erkennt¬
läßt, alles Stoffliche aber mit einem Schleier um¬
nis muß sich als viel, viel stärker erweisen, als
hüllt und greifbare Gestalten in hineingehauchte
die Bemühungen sämtlicher Feuilleionisten, die
Traumgebilde aufzulösen scheint. Mit ungewöhn¬
uns Schnitzler immer als den feinsten Kenner
licher Kunst wird dieser Grundton durch das
der Wiener Seele und Wiener Landschaft anpreisen.
ganze Stück hin festgehalten. Man muß eigent¬
Ganz und gar unbeschenkt, wie wir selten
lich von zwei Stücken sprechen, wovon das eine
noch das Theater verließen, entläßt uns diese
mit dem dritten Akt endigt, das andere aus den
Komödie. Sie bedeutet in keiner Hinsicht einen
elwas lose angehängten letzten zwei Akten besteht
Gewinn, kann aber unter Umständen sehr wohl
Zwischen beiden Teilen fehlt der organische Zu¬
Verluste bringen. Denn Schnitzlers Art, so ziem¬
sammenhang, sie sind nicht Früchte desselber
lich alle Gefühle zu verhöhnen und zu verleug¬
Baumes, und man würde dieses zwiespältige
nen, die nach unseren Begriffen den wertvollsten
ethischen Besitzstand unseres Volkes bilden, be¬ Wesen des Schauspiels als schweren Fehler emp¬
finden, wenn nicht jene durchlaufende Grund¬
stimmung das eine mit dem andern verbände.
Die Einheitlichkeit des Werkes liegt in der Ton¬
art, in diesem modus minor, der wehmütig
lächelnd durch alle fünf Akte waltet.“
Wer das Recht hal, Herr Brecka, der frei
und unabhängig nur mit den Maßstäben der
Kunst, der Ethik und Asthetik mißt, oder der
ungenannte Feuillekonist des Hauptjudenblattes,
dessen nationaler Beruf und bezahlte Pflicht es
ist, den Stammesgenossen in den Himmel zu er¬
heben und über Schiller, Goethe und Grillparzer
u stellen, das werden unsere Leser wohl selbst
ert.—
teurteilen können.