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edle Anregung finden, täglich kann sie aus der rauhen
Wirklichkeit flüchten in das Reich des Erhabenen. Ur¬
lauber, die viele Monate lang im Feuer gestanden sind,
verbringen einen der wenigen, köstlichen Abende der Hei¬
mat im Burgtheater. Wirklich, man kann seine helle
Freude an dieser Bühne haben. Sie erfüllt ihren hohen
Daseinszweck mit edler Beharrlichkeit. Montag: Große
seruelle Auseinandersetzung zwischen einem geilen Weib,
einem impotenten Mann und einem augenscheinlich po¬
tenten Grenzjäger. Dienstag: Klagelied eines Gealterten,
der die Familien seiner Freunde verseucht hat, dafür aber,
recht geschieht ihm, einsam geblieben ist. Freitag: Die
Geldgeschäfte der Bankiers Rothschild. Zu wie viel Pro¬
zent leihen sie ihre Gelder den Kaisern und Königen?
Samstag: Nur nicht g'schamig sein] Ob der Freund dem
Freunde die Braut verführt, oder ob ein anderer Freund
einem anderen Freunde das Weib wegnimmt, oder ob ein
Weib ihren Mann mit einem Freund betrügt. .. nein,
wir sind nicht mehr so g'schamig, uns etwas daraus zu
machen. Und überhautst: die Kunst stellen wir über alles.
Vollends über das Hofburgtheater lassen wir nichts kom¬
men. Gerade das, was dort jetzt gespielt wird, gerade
das brauchen wir jetzt wie einen Bissen Brot. Wie könnte
denn sonst unser Volk geistig durchhalten? Vielleicht gar
mit den Klassikern? Das ist zum Lachen. Das geschwollene
Zeug von Schiller und Grillparzer, das kann uns gestohlen
werden. Wie weltfremd, wie unlebendig! Da loben wir
uns unseren Schönherr und unseren Schnitzler. Die stehen
im Leben. Die kennen die Not und das Bedürfnis unserer
Zeit. Die fallen nicht hinein auf den dummen, im Ge¬
hirne des Toren erzeugten Wahn, daß der Mensch zu was
Besserem geboren sei. Lächerliche Gefühle, die sich im Her¬
zen ankündigen. Die Regungen des Unterleibes allein be¬
stimmen unser Tun.
Ja, wir haben ein kaiserlich königliches Hofburg¬
theater! Ein schönes, großes, teures Haus!
Ueberhaupt eine interessante Theaterwoche! Auf dem
Burgtheater schachern die fünf Frankfurter. An der
„Neuen Wiener Bühne“ wird „Onkel Bernhard“, nicht
müde, in der Firma und in der Liebe herumzumauscheln,
auf der „Volksbühne“ erhebt die Feldmann ihren koscheren
Gettoschrei, den scheinbar niemand mehr hören will, und
auf der „Residenzbühne“ singen im „Golem“ aufgeregte
Kaftanträger ihre rituellen Klagegesänge. Am nächsten
Samstag kommt im Deutschen Volkstheater ein neues
Stück heraus, das, wie uns heute schon zart schonend mit¬
geteilt worden ist, auch wieder eine „Jargon=Rolle“ ent¬
halten wird. Bleibt von sämtlichen Wiener Schauspielbüh¬
nen das einzige Stadttheater, auf dem derzeit noch deutsch
gesprochen wird. Wer weiß, wie lange noch. Wie arg die
penetrante Last dieser Invasion ist, vermag man daraus
zu ersehen, daß unlängst ein „Neues Wiener Journal“ (1)
seufzend gefragt hat, wann man denn endlich wieder ein¬
mal lauter Christen auf der Bühne sehen werde. Völlig
verstört aber irrt der thoaterlustige Wiener Arier umher.
„Da blickt der Steffel seufzend auf uns nieder
Und denkt sich still der stolze Dom:
Ist das mein Wien, die Stadt der Lie' e
Am schönen, blauen Donaustrom?“
Im preußischen Abgeordnetenhaus hat ein sozial¬
demokratischer Abgeordneter den Herrn d'Annunzio in
Schutz genommen und gemeint, daß er ein Schriftsteller
von Bedeutung sei, könne nicht bestritten werden. Die
Wiener „Arbeiter=Zeitung“ beeilt sich, diese sozialdemo¬
kratische Tat zu verherrlichen, unterläßt es aber, mitzu¬
teilen, daß jene Rede von häufigem Gelächter unter¬
brochen war. Wer die Werke des göttlichen Gabriele ge¬
lesen hat, wer diesen blutrünstigen, geblähten Schwulst
kennt, der weiß, daß sich der Mann, der zur literarischen
Ehrenrettung d'Annunzios auszog, das Ausgelacht werden
redlich verdient hat. Wobei ihm freilich zugute kommt,
daß er von d'Annunzio wohl nicht mehr weiß, als daß
das halt so ein schutzbedürftiger, armer, Italiener ist. Als
die gegen Oesterreich gerichtete Hetze d'Anunzios ihren
Gipfel erreicht hatte und sich unsere gerechte Enwörung
gegen dieses Jüngel wendete, da zog ein Wiener Literat
von Leder, um zu retten, was für den Verlag S. Fischer
in Berlin zu retten war. Dort sind nämlich die deutschen
Uebersetzungen der „Werke“ des Gabriele erschienen. Da
hat es denn der literarische Wiener Hausknecht von
S. Fischer in Berlin unternommen, von der Firma den
drohenden Stillstand des Absatzes von Werken d'Annun¬
zios noch in letzter Minute abzuwenden, Wahrscheinlich
und hoffentlich ohne Glück. Dieser Fall ist viel ernster und
soll zu gegebener Zeit etwas deutlicher besprochen werden.
Denn der Wiener Literat schwätzte nicht wie jener Abge¬
ordnete wie ein Blinder von der Farbe und verdient da¬
her etwas anderes, als bloß ausgelacht zu werden,
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edle Anregung finden, täglich kann sie aus der rauhen
Wirklichkeit flüchten in das Reich des Erhabenen. Ur¬
lauber, die viele Monate lang im Feuer gestanden sind,
verbringen einen der wenigen, köstlichen Abende der Hei¬
mat im Burgtheater. Wirklich, man kann seine helle
Freude an dieser Bühne haben. Sie erfüllt ihren hohen
Daseinszweck mit edler Beharrlichkeit. Montag: Große
seruelle Auseinandersetzung zwischen einem geilen Weib,
einem impotenten Mann und einem augenscheinlich po¬
tenten Grenzjäger. Dienstag: Klagelied eines Gealterten,
der die Familien seiner Freunde verseucht hat, dafür aber,
recht geschieht ihm, einsam geblieben ist. Freitag: Die
Geldgeschäfte der Bankiers Rothschild. Zu wie viel Pro¬
zent leihen sie ihre Gelder den Kaisern und Königen?
Samstag: Nur nicht g'schamig sein] Ob der Freund dem
Freunde die Braut verführt, oder ob ein anderer Freund
einem anderen Freunde das Weib wegnimmt, oder ob ein
Weib ihren Mann mit einem Freund betrügt. .. nein,
wir sind nicht mehr so g'schamig, uns etwas daraus zu
machen. Und überhautst: die Kunst stellen wir über alles.
Vollends über das Hofburgtheater lassen wir nichts kom¬
men. Gerade das, was dort jetzt gespielt wird, gerade
das brauchen wir jetzt wie einen Bissen Brot. Wie könnte
denn sonst unser Volk geistig durchhalten? Vielleicht gar
mit den Klassikern? Das ist zum Lachen. Das geschwollene
Zeug von Schiller und Grillparzer, das kann uns gestohlen
werden. Wie weltfremd, wie unlebendig! Da loben wir
uns unseren Schönherr und unseren Schnitzler. Die stehen
im Leben. Die kennen die Not und das Bedürfnis unserer
Zeit. Die fallen nicht hinein auf den dummen, im Ge¬
hirne des Toren erzeugten Wahn, daß der Mensch zu was
Besserem geboren sei. Lächerliche Gefühle, die sich im Her¬
zen ankündigen. Die Regungen des Unterleibes allein be¬
stimmen unser Tun.
Ja, wir haben ein kaiserlich königliches Hofburg¬
theater! Ein schönes, großes, teures Haus!
Ueberhaupt eine interessante Theaterwoche! Auf dem
Burgtheater schachern die fünf Frankfurter. An der
„Neuen Wiener Bühne“ wird „Onkel Bernhard“, nicht
müde, in der Firma und in der Liebe herumzumauscheln,
auf der „Volksbühne“ erhebt die Feldmann ihren koscheren
Gettoschrei, den scheinbar niemand mehr hören will, und
auf der „Residenzbühne“ singen im „Golem“ aufgeregte
Kaftanträger ihre rituellen Klagegesänge. Am nächsten
Samstag kommt im Deutschen Volkstheater ein neues
Stück heraus, das, wie uns heute schon zart schonend mit¬
geteilt worden ist, auch wieder eine „Jargon=Rolle“ ent¬
halten wird. Bleibt von sämtlichen Wiener Schauspielbüh¬
nen das einzige Stadttheater, auf dem derzeit noch deutsch
gesprochen wird. Wer weiß, wie lange noch. Wie arg die
penetrante Last dieser Invasion ist, vermag man daraus
zu ersehen, daß unlängst ein „Neues Wiener Journal“ (1)
seufzend gefragt hat, wann man denn endlich wieder ein¬
mal lauter Christen auf der Bühne sehen werde. Völlig
verstört aber irrt der thoaterlustige Wiener Arier umher.
„Da blickt der Steffel seufzend auf uns nieder
Und denkt sich still der stolze Dom:
Ist das mein Wien, die Stadt der Lie' e
Am schönen, blauen Donaustrom?“
Im preußischen Abgeordnetenhaus hat ein sozial¬
demokratischer Abgeordneter den Herrn d'Annunzio in
Schutz genommen und gemeint, daß er ein Schriftsteller
von Bedeutung sei, könne nicht bestritten werden. Die
Wiener „Arbeiter=Zeitung“ beeilt sich, diese sozialdemo¬
kratische Tat zu verherrlichen, unterläßt es aber, mitzu¬
teilen, daß jene Rede von häufigem Gelächter unter¬
brochen war. Wer die Werke des göttlichen Gabriele ge¬
lesen hat, wer diesen blutrünstigen, geblähten Schwulst
kennt, der weiß, daß sich der Mann, der zur literarischen
Ehrenrettung d'Annunzios auszog, das Ausgelacht werden
redlich verdient hat. Wobei ihm freilich zugute kommt,
daß er von d'Annunzio wohl nicht mehr weiß, als daß
das halt so ein schutzbedürftiger, armer, Italiener ist. Als
die gegen Oesterreich gerichtete Hetze d'Anunzios ihren
Gipfel erreicht hatte und sich unsere gerechte Enwörung
gegen dieses Jüngel wendete, da zog ein Wiener Literat
von Leder, um zu retten, was für den Verlag S. Fischer
in Berlin zu retten war. Dort sind nämlich die deutschen
Uebersetzungen der „Werke“ des Gabriele erschienen. Da
hat es denn der literarische Wiener Hausknecht von
S. Fischer in Berlin unternommen, von der Firma den
drohenden Stillstand des Absatzes von Werken d'Annun¬
zios noch in letzter Minute abzuwenden, Wahrscheinlich
und hoffentlich ohne Glück. Dieser Fall ist viel ernster und
soll zu gegebener Zeit etwas deutlicher besprochen werden.
Denn der Wiener Literat schwätzte nicht wie jener Abge¬
ordnete wie ein Blinder von der Farbe und verdient da¬
her etwas anderes, als bloß ausgelacht zu werden,