II, Theaterstücke 18, Der einsame Weg. Schauspiel in fünf Akten (Junggeselle, Junggesellenstück, Die Egoisten, Einsame Wege, Wege ins Dunkle, Weg zum Licht), Seite 493

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18. Der einsane Neg
Ein lockender Drang in die Ferne treibt den vom Tode Ge¬
zeichneten, sich einer wissenschaftlichen Expedition nach Bak¬
trien anzuschließen. Aber das Schicksal, an das der Fatalist
Schnitzler mit fast dogmatischer Überzeugung glaubt, läßt
ihn diese Sehnsucht nicht mehr befriedigen. Johanna, eine
seltsame, romantische Mädchenfigur, wird seine Geliebte und
erfährt dann von seinem Todesgeschick. Ihrer eigentümlichen
Naturveranlagung nach muß sie jeden Menschen, der auf ihr
Mitleid angewiesen ist, hassen. Damit nun die Erinnerung
an die herrlichen Zeiten ihrer Liebeserfüllung nicht in Hä߬
lichkeit ausartet, ertränkt sie sich im Parkweiher Salas.
Sala stellt sich ihrem Bruder Felix zur Verfügung und
dieser offenbart ihm in augenblicklicher Grausamkeit sein
nahes Ende. Sala wird es nicht erwarten, sondern im Laufe
der nächsten Stunde selbst herbeiführen. Johannas Gestalt
ist Schnitzler am wenigstens gelungen. Er stellt den Hörer
in ihren Szenen bereits vor vollendete seelische Prozesse und
erschwert ihm so das Verständnis ihres Handels. Sala ist
der Räsoneur Schnitzlers. Ihm legt er die geistreichsten und
tiefsten Sentenzen in den Mund. Sala ist eine tragische
Erscheinung. Er durchschaut die egoischen Triebfedern seines
Lebens, kann sich ihn.n jeboch nicht entziehen. „Lieben heißt,
für jemand andern auf der Welt sein ... Was hat das,
was unsereiner auf die Welt bringt, mit Liebe zu tun?
Haben wir jemals ein Opfer gebracht, von dem nicht un¬
AerdvoLpel
sere Sinnlichkeit oder unsere Eitelkeit ihren Vorteil gehabt
hätte? Haben wir je gezögert, anständige Menschen zu be¬
Theater und Kunst.
trügen oder zu belügen, wenn wir dadurch um eine Stunde
J. G. Brunner Städttheater. Ibsens Bekenntnis „Dich¬
des Glücks oder der Lust reicher werden konnten?" Das
ten heißt Gerichtstagthälten Über sich selbst“ klingt als weh¬
Gegenstück Salas ist der Hausarzt Wegrats, Dr. Reumann.
mütiges Leitmotiv aus dem „Einsamen Weg“, Artur
Dessen Sehnsucht ist es, ein Schurte zu sein, ein Kerl, der
S##tester und ergreifendster Dichtung, die uns
heuchelt, verführt, hohnlacht, über Leichen schreitet. Aber er
gestern, elf Jahre nach ihrer Entstehung, zum erstenmal die
ist durch Mängel des Temperaments dazu verurteilt, ein
wehen Rhythmen ihrer verklingenden Sehnsuchtsmelodien zu
anständiger Mensch zu sein. — „Der einsame We.“ ist wohl
offenbaren suchte. In keinem anderen Werk ist der Wiener
Schnitzlers tiefste Dichtung, doch nicht sein bestes Drama.
in Technik, logischer Dialogverklammerung und Tiefgrün¬
Zwei, ja drei Handlungen laufen parallel, sie lösen einander
digkeit der ethischen Probleme dem großen Skandinavier
ab, statt miteinander zu verschmelzen. Breite epische Stellen
so nahe gekommen. Ohne die „Wildente“, die „Frau vom
erdrücken den dritten Akt und man muß den Weg durch
Meer“ und den Epilog „Wenn wir Toten erwachen“ sind
das Buch gemacht haben, um den seinen, überzarten Fäden
viele Szenen der fünf Akte kaum zu denken, womit jedoch
der seelischen Verschlingungen folgen zu können. Kommt
nicht gesagt sein soll, daß Schnitzlers Schauspiel dadurch
überdies wie gestern eine Aufführung zustande, die mit
irgend etwas an geistiger Selbständigkeit eingebüßt habe.
Ausnahme Harry Waldens und Frau Brandts dem
Im Gegenteil: Es ist ja das persönlichste Werk des Dichters.
Geiste des Dichters nicht einmal Annäherungswerte zu bie¬
Schnitzler war vierzig Jahre alt, als er den „Einsamen
ten vermag, so darf man sich nicht wundern, daß der Ein¬
Weg“ schrieb. Er stand an der wichtigsten Wegwende des
druck des „Einsamen Weges“ nicht sonderlich günstig war.
Mannes. Prüsend überblickt man die Zeit des Aufstiegs;
! Wer als junger Mensch etwas Faszinierendes, Blendendes,
was bisher im Schein des Lebenswichtigen geglänzt hat,
Geniales hat, kann mit laum fünfzig Jahren nicht zu einem
überschätzte Eintagsherrlichkeiten verwehen gespenstisch vor
gänzlich unbedeutenden, jedes Interesse ausschließenden
den gereiften Blicken des Vierzigjährigen, er bekommt den
Spießbürger herabsinken. Und den hat Herr Rubel aus
Sinn für das Wesentliche, diesen erprobten Führer im Reich
dem Künstler Julian Fichtner gemacht. Frau Graf (Jo¬
des herandämmernden Alters. Der Tod erhebt langsam und
hanna) spielte ein verraunztes Bürgermädchen, das einges
mahnend die Sanduhr und der Männlichste wird im Augen¬
lernte Worte aussagt, und mit dem geistig reifen Felix
blicke jäher Beklemmung bebend nach einer ermutigenden
wußte Herr Rehberger gar nichts anzufangen. Die bei¬
und stützenden Hand tasten. Weh dem, dessen Schaffens¬
und Liebesegoismus verstehende Mitgeschöpfe endgültig aus bden Auftritte zwischen Julian und Felix, die schönsten des
Dramas, verloren vollständig ihre dichterische Physiognomie.
seinem Bereich verbannt hat. „Und wenn uns ein Zug von
Herr Recke (Wegrat) und Fri. Birnbaum (Gabriele)
Bacchanten begleitet — den Weg hinab gehen wir alle
blieben bereits in den ersten Parkettreihen unverständlich,
allein .. . wir, die selbst niemandem gehört haben.“ Schnitz¬
wie überhaupt das unhörbare Geflüster seit einiger Zeit
ter hat während der ersten zehn Jahre seines Wirkens eine
ßzum allgemein beklagten Übel geworden ist. Herr Strauß
Reihe solcher Genüßtinge und leichtsinniger Individualisten
(Dr. Neumann) wählte nicht mil Unrecht die Maske Schnitz¬
oft mit verstehendem Entgegenkommen gezeichnet und nur
lers und verstand wenigstens, was er zu sagen hatte. Blei¬
sehr selten den Stab über sie gebrochen. Jetzt ruft er sie
ben Herr Walden und Frau Brandt. Walden gibt dem
und sich vors Gericht und zieht die letzten Konsequenzen.
Emamrierten Schöngeist Salu eine unwiderstehliche, raffi¬
(Geethe tat Ahnliches im „Götz“ und „Clavigo“.) Und so
Pnierte Kultur der Gebarde, der Kleidung und des Wortes.
verschlingen sich im „Einsamen Weg“ die Grundakkorde
Doch bleibt der Künstler nicht an diesen Außerlichkeiten haf¬
seiner gesamten Tichtung: Leben, Liebe, Selbstsucht, Schick¬
#ten, sondern erschließt auch restlos das komplizierte Seelen¬
sal und Tod zu einen herzerschütternden Parzenlied. —
tbild des bis zum Grabesrand ästheteinden Selbstsüchtlings,
Julian Fichtner, ein seinerzeit berühmer Maler, hat in der
ja am Schlusse, als der Wunsch, das verschüttete Ekbatana
Jugend die Braut seines Freundes Begrat verführt und
zu betreten, durch die jählings niedersausende Todessense
war auch entschlossen, sie am nächsten Tage mit sich in die
zunichte gemacht wird, da ergriff und durchzitterte wohl
Welt zu nehmen, doch im letzten Augenblick überwältigt ihn
jeden Zuhörer die Stimmungsgewalt seiner auserlesenen
die Furcht, sein Leben ewig an ein Wesen gekettet zu sehen,
Kunst. In der großen Szene mit Julian feierte Frau
das seinem bisherigen pflichtenlosen Hinstürmen durch die
[BBraudts ungezwungene und in der Gefühlsreihe von
Genußmöglichkeiten der Welt unbedingt Fesseln anlegen
Scherz zum Schmerz völlig ausgeglichene Dialogbeherrschung
wirg und so flicbt er allein, ohne Reue, im berauschenden
einen berechtigten Triumph. Das ausverkaufte Haus dankte
Gfuhl von Jugend und Unbeschranktheit. Er hätte sich so¬
Herrn Walden durch Beifallsstürme, namentlich nach den
Mar des eventnellen Selbstmordes der Geliebten für wert
gehalten. Als er Gabriele nach zehn Jahren wieder ent¬
e
segentritt ermaprt er, naß sie damals ihren Verlohlen so Mrten Art.—