box 23/5
1S G
18. Der e1 Fag
1204 11919
Hamburger Corresponde
Hamburg
—
Hus Kunft und Leben.
Deutsches Schauspielbaue.
#
Zumersten Mal: Der einsame Weg.
Arthur Schnitzler, der Dialektiker, Bühnennovellist von
feinstem Geäst, in jenen Bezirken zu Haus, in denen einstmals das
l’art pour l’art Geltung hatte, wandelte sich zum dramatischen
Paulus. Er entdeckte, was man beim Vater des Anatol am wenig¬
sten gesucht hätte, Gemüt und gewann aus Empfindsamkeit und
Gefühl den Stoff eines großen Schauspiels. Groß im Sinne der
Sudermännerei: mit verschwenderischer Rhetorik, künstlich ge¬
triebenem Pathos. Aus früheren Zeiten blieb ihm nur jener un¬
verlierbare, im Wiener Boden ruhende kulturelle Hauch, der auch
seinen kecksten Einfällen noch Reiz und Grazie lieh, und der ihn
selbst auf diesem verwandten Gebiet wohltuend von Sudermann
trennt. Er hat, um es auf eine ganz einfache Formel zu bringen,
die Gabe des Geschmacks, ein gütiges Heimargeschenk, dessen Seg¬
nungen ihn nie ganz verläffen haben. Auch nicht bei dieser Ab¬
kehr, für die man nach äußeren Gründen sucht, da die inneren
versagen. Wandlung im allgemeinen, im besonderen? Hermann
Bahr hat, in späteren Jahren als Schnitzler, ähnliches erlebt und,
viel tiefer in die Fesseln und Hemmnisse seiner Wandlung ver¬
strickt, in der Mystik des Hatholizismus, in der religiösen Ver¬
geistigung seines inneren Lebens Gewinn, Gnade und Lösung
gefunden. Ist, vom Respektbogen des Alters umgeben, Träger
seiner Ueberzeugung, Prophet einer neuen Heilslehre geworden,
theatralischer Hintergrund war. Viel¬
die ihm kein
mehr innerliches
Erleben, Eigentum seines Persönlichen.
Schnitzler ließ nur künstlerisch das Land seiner Heimat
hinter sich und suchte den fremden Stoff mehr mit intellektuellem
Gefühl als treibender Empfindung zu meistern. Ihm fehlte das
Wesentlichste: die innere Bereitschaft, die quellende Wärme der
Ueberzeugung, die intuitive Erfassung durch Herz und Gefühl.
Sein Schauspiel ist das Produkt eines künstlerischen Irrtums, der
immer wieder in seinen Einflüssen und Wirkungen zu spüren war,
sobald es ihn nach dem Pathos der Szene, dem großen Stil ver¬
langte. Das ist nicht seines Wesens Ausdruck, ist nachgebil¬
dete Kunst, an vielen Bildern empfunden, Dokument einer Künst¬
lerschaft, die sich selbst da noch in Einzelheiten zu erkennen gibt,
wo sie im Ganzen in die Irre ging.
Das Werk ist vor fünfzehn Jahren entstanden. Ueberprüft
man, was vor was hinter ihm liegt, dann ist man geneigr, in
diesem Schauspiel die Grenzen zu sehen, die Schnitzler gezogen
sind. Sein dramatischer Bezirk ist eng. soweit sein Persönlich¬
Geistiges, das vornehmste und wertvollste seiner Art, in Frage
kommt, schmales Raumgebiet einer Strichelkunst, die zum Intimsten
und Köstlichsten deutscher Literatur zählt. Sie zu erweitern, auf
große Probleme auszudehnen, mag einen Gestalter von der Fein¬
heit Schnitzlers gereizt haben. Daß der Versuch nicht glucken
konnte, beinahe aus Naturgründen scheitern mußte spricht für die
starke Wesenheit, die in sich gefestigte Formung seiner Kunst und
ist zugleich ein deutlicher Hinweis darauf, in welcher Richtung die
Regie zu arbeiten hat: Verde###ng des stofflichen und künstlerischen
Zwiespalts, Konzentrierung aller sprachlichen, gedanklichen und
dramatischen Momente. Dr. Eger ging in seltsamer Verkennung
dieser Richtlinien vom gegenteiligen Standpunkt aus und legte
die Darstellung auf ein Tempo fest, dessen Breite die Schwächen
der Dichtung noch schärfer hervortreten ließ. Keine Akzen¬
tuierung, kein Stakkato, nicht die leiseste Bewegung hob die
Aufführung, die — dekorativ sonst vorbildlich schön — in Stille
und Leere versank. Schauspielerisch frei war allein Robert
Nhil, dessen Stephan von Sala in der Schlichtheit der Empfin¬
dung, der Reife des Persönlichen, in der verwehenden Müdigkeit
dieses Lebens eine der stärksten Vermenschlichungen des Theaters
ist. Kobler gab einen konventionellen Wegrath, Carl Wag¬
ner einen offensichtlich gehemmten Fichtner, Lütjohann
einen erstaunlich farblosen, schattenhaften Felix. Julia Serdal
als Irene hatte auch nur einige kühle Töne und die Johanna der
Erich Kühn.
Knoth war schlechthin mäßiges Theater.
n eneen
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18. Der e1 Fag
1204 11919
Hamburger Corresponde
Hamburg
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Hus Kunft und Leben.
Deutsches Schauspielbaue.
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Zumersten Mal: Der einsame Weg.
Arthur Schnitzler, der Dialektiker, Bühnennovellist von
feinstem Geäst, in jenen Bezirken zu Haus, in denen einstmals das
l’art pour l’art Geltung hatte, wandelte sich zum dramatischen
Paulus. Er entdeckte, was man beim Vater des Anatol am wenig¬
sten gesucht hätte, Gemüt und gewann aus Empfindsamkeit und
Gefühl den Stoff eines großen Schauspiels. Groß im Sinne der
Sudermännerei: mit verschwenderischer Rhetorik, künstlich ge¬
triebenem Pathos. Aus früheren Zeiten blieb ihm nur jener un¬
verlierbare, im Wiener Boden ruhende kulturelle Hauch, der auch
seinen kecksten Einfällen noch Reiz und Grazie lieh, und der ihn
selbst auf diesem verwandten Gebiet wohltuend von Sudermann
trennt. Er hat, um es auf eine ganz einfache Formel zu bringen,
die Gabe des Geschmacks, ein gütiges Heimargeschenk, dessen Seg¬
nungen ihn nie ganz verläffen haben. Auch nicht bei dieser Ab¬
kehr, für die man nach äußeren Gründen sucht, da die inneren
versagen. Wandlung im allgemeinen, im besonderen? Hermann
Bahr hat, in späteren Jahren als Schnitzler, ähnliches erlebt und,
viel tiefer in die Fesseln und Hemmnisse seiner Wandlung ver¬
strickt, in der Mystik des Hatholizismus, in der religiösen Ver¬
geistigung seines inneren Lebens Gewinn, Gnade und Lösung
gefunden. Ist, vom Respektbogen des Alters umgeben, Träger
seiner Ueberzeugung, Prophet einer neuen Heilslehre geworden,
theatralischer Hintergrund war. Viel¬
die ihm kein
mehr innerliches
Erleben, Eigentum seines Persönlichen.
Schnitzler ließ nur künstlerisch das Land seiner Heimat
hinter sich und suchte den fremden Stoff mehr mit intellektuellem
Gefühl als treibender Empfindung zu meistern. Ihm fehlte das
Wesentlichste: die innere Bereitschaft, die quellende Wärme der
Ueberzeugung, die intuitive Erfassung durch Herz und Gefühl.
Sein Schauspiel ist das Produkt eines künstlerischen Irrtums, der
immer wieder in seinen Einflüssen und Wirkungen zu spüren war,
sobald es ihn nach dem Pathos der Szene, dem großen Stil ver¬
langte. Das ist nicht seines Wesens Ausdruck, ist nachgebil¬
dete Kunst, an vielen Bildern empfunden, Dokument einer Künst¬
lerschaft, die sich selbst da noch in Einzelheiten zu erkennen gibt,
wo sie im Ganzen in die Irre ging.
Das Werk ist vor fünfzehn Jahren entstanden. Ueberprüft
man, was vor was hinter ihm liegt, dann ist man geneigr, in
diesem Schauspiel die Grenzen zu sehen, die Schnitzler gezogen
sind. Sein dramatischer Bezirk ist eng. soweit sein Persönlich¬
Geistiges, das vornehmste und wertvollste seiner Art, in Frage
kommt, schmales Raumgebiet einer Strichelkunst, die zum Intimsten
und Köstlichsten deutscher Literatur zählt. Sie zu erweitern, auf
große Probleme auszudehnen, mag einen Gestalter von der Fein¬
heit Schnitzlers gereizt haben. Daß der Versuch nicht glucken
konnte, beinahe aus Naturgründen scheitern mußte spricht für die
starke Wesenheit, die in sich gefestigte Formung seiner Kunst und
ist zugleich ein deutlicher Hinweis darauf, in welcher Richtung die
Regie zu arbeiten hat: Verde###ng des stofflichen und künstlerischen
Zwiespalts, Konzentrierung aller sprachlichen, gedanklichen und
dramatischen Momente. Dr. Eger ging in seltsamer Verkennung
dieser Richtlinien vom gegenteiligen Standpunkt aus und legte
die Darstellung auf ein Tempo fest, dessen Breite die Schwächen
der Dichtung noch schärfer hervortreten ließ. Keine Akzen¬
tuierung, kein Stakkato, nicht die leiseste Bewegung hob die
Aufführung, die — dekorativ sonst vorbildlich schön — in Stille
und Leere versank. Schauspielerisch frei war allein Robert
Nhil, dessen Stephan von Sala in der Schlichtheit der Empfin¬
dung, der Reife des Persönlichen, in der verwehenden Müdigkeit
dieses Lebens eine der stärksten Vermenschlichungen des Theaters
ist. Kobler gab einen konventionellen Wegrath, Carl Wag¬
ner einen offensichtlich gehemmten Fichtner, Lütjohann
einen erstaunlich farblosen, schattenhaften Felix. Julia Serdal
als Irene hatte auch nur einige kühle Töne und die Johanna der
Erich Kühn.
Knoth war schlechthin mäßiges Theater.
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