II, Theaterstücke 18, Der einsame Weg. Schauspiel in fünf Akten (Junggeselle, Junggesellenstück, Die Egoisten, Einsame Wege, Wege ins Dunkle, Weg zum Licht), Seite 522


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18. Der einsane



kein Vaterrecht erworben hat, wenn er für sein Kind weiter nichts
tat, als daß er es in die Welt setzte. Zu einer Begegnung mit
10 Theater und Musik.
der Mutter seines Sohnes kommt Fichtner, den Carl Wagner
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ganz ausgezeichnet in einer wehleidig angehauchten Eleganz dar¬
stellt, nicht mehr. Denn Frau Gabriele Wegrath ist schon gleich
Deutsches Schauspielhaus.
nach dem ersten Akt, wo sie von Fichtners Ankunft hörte, ge¬
Arthur Schnitzlet, der Dichter der Liebeleien, die, vom
storben. Sie hat den Trost ihres Hausargtes, der ihr Geheimnis
heißblütigen Leichtsinn der Jugend getragen, ins Nichts vergingen,
kannte, mit ins Grab genommen: eine Lüge, die so fest gebaut
wenn sie ausgekostet waren, ist in seinem neuesten Stück „Der
war, daß sie den Frieden eines Hauses beinahe fünfundzwanzig
einsame Wea“ merklich älter und kühler geworden. Er geht
Jahre getragen, muß doch besser sein als eine Wahrheit, die im
nun selber der Frage nach, über die er früher mit der sorglos
besten Falle den Frieden dieses Hauses zerstörte. Zu dieser Auf¬
heiteren Geste seiner anatolischen Lebemänner hinwegzugleiten
fassung bekennt sich auch der Sohn, als ihm — ein wenig un¬
pfelgte und die doch stets als peinlicher Rest nach unbekümmert
vermittelt — aus allerlei Anzeichen das Geheimnis seiner Ge¬
schwelgerischem Genießen zurückblieb; die Frage: was wird, wenn
burt klar wird. Er will von dem Herrn Fichtner, der sich ihm als
aus dem flüchtigen Rausch einiger glücklicher Stunden, die mit
sein wahrer Vater bekennt, gar nichts wissen, er hat ihn vorher
Scheiden und Meiden auf Nimmerwiedersehen enden, ein Kind
als väterlichen Freund verehrt, jetzt aber fühlt er sich ihm ganz
entsteht? Es gibt in dem neuen Stück einen vierten Akt, der in
entfremdet und schließt sich nur um so enger an den betrogenen
einem (vom künstlerischen Leiter unseres Schauspielhauses un¬
Mann seiner toten Mutter an, der wirkliche Vaterpflichten an
sagbar schön inszenierten) Waldpark bei Wien spielt. Da sitzen
ihm erfüllt hat.
inmitten der sterbenskranken Farbenpracht des herbstlichen Waldes
Einsame Wege sind schließlich alle Menschen in diesem Stück
zwei jener Lebemänner, wie wir sie aus Schnitzlers früheren
gegangen: nicht nur die beiden Lebemänner, die stets nur aufs
Werken, namentlich aus seinen „Anatol“=Abenteuern kennen.
eigene Wohlbefinden bedacht waren, auch der pflichttreue Pro¬
Sie philosophieren darüber, daß nun auch ihres Lebens Herbst
fessor, der die Frau mit der verheimlichten Jugendsünde an
gekommen ist. Der eine heißt Herr von Sala, der andere Herr
seiner Seite ebenso wenig gekannt hat wie die beiden Kinder,
Fichtner. Der eine hat seine Frau durch frühen Tod verloren
von denen das jüngste, das Mädchen Johanna, nach iener Liebes¬
und ist seitdem einsam seinen Weg gegangen als bewußter, etwas
stunde mit dem vom Tode gezeichneten Herrn von Sala, sich im
allzu selbstsicherer Egoist. Da Robert Nhil ihn spielt, hat
Parkteich ertränkte, ohne daß jemand ahnt, warum sie es tat.
er außer weltmännischen Manieren einen Zug von mephistophe¬
Es ist übrigens die poetisch schönste Stelle im ganzen Stück, wenn
lischer Ironie in seinem Wesen, was aber nicht hindert, daß sich
dieses junge Mädchen, von Hilde Knoth in schlichter Innig¬
ihm noch in seinen alten Tagen das Gretchen dieser Schnitzler¬
keit verkörpert, sich in einer stummen Szene vom Leben löst; dem
schen Tragödie, die Kunstprofessorstochter Johanna Wegrath, in
eigenen Spiegelbild im dunklen Wasser zugeneigt, tut sie den
schwärmerischer Hingabe geopfert hat. Der andere war nie ver¬
letzten Schritt auf ihrem einsamen Weg. — Was dann noch in
heiratet. Er hat in jungen Jahren die Braut seines Studien¬
einem fünften Akt folgt, ist, wie das Voraufgegangene, geistvolle
freundes, eben jenes Kunstprofessors, verführt und sie gleich
Plauderei, nichts weniger und nichts mehr. Hermann
darauf verlassen, weil er nach genossenem Glück zu der Erkennt¬
Wlach hat darin eine Rolle als Hausarzt, in der er sich höchst
nis „erwacht“ war, daß er für eine dauernde Verbindung nicht
unbehaglich zu fühlen scheint, Julius Kobler macht aus dem
geschaffen sei. Die verlassene Gabrtele ist dann ohne Reu und
Professor eine sympathische Figur, während Reinhold Lüt¬
ohne Schen die Frau des Kunstprofessors Wegrath geworden und
johann mit dem Sohn auch nicht allzu viel anzufangen weiß,
hat ihm als Erstgeborenen einen Jungen geschenkt, von dem sie
er spielt ihn liebenswürdig, aber keineswegs auf österreichische
nur allzu genau wußte, daß er nicht dem Ehebett, sondern jener
Manier, die seiner norddeutschen Art wohl auch unerreichbar fern
flüchtigen Liebelei mit dem anderen entsprossen war. Der ist
liegt. Die Rolle der Frau Gabriele gibt der neuen Heroine
nach mancher Irrfahrt schließlich auch wieder einmal zurück¬
Gertiud Arnold nur wenige bedeutungsvolle Momente, da¬
gekommen und sieht nun seinen Sprößling als legitimen Sohn
negen weiß Julia Serda aus der gewesenen Schauspielerin
Wegraths. Er möchte gern sein Vatenrecht auf den schmucken
Irene Herms eine kleine Kabinettsleistung von erheiternder
Jüngling geltend machen, wird aber durch den ungemein klugen
Herrn von Sala darüber belehrt, daß ein Mann sich noch lange Rührseligkeit zu machen.

aunke Gelte
PUF