II, Theaterstücke 18, Der einsame Weg. Schauspiel in fünf Akten (Junggeselle, Junggesellenstück, Die Egoisten, Einsame Wege, Wege ins Dunkle, Weg zum Licht), Seite 521

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um? Erkläret mir! Wollte der Regisseur mit einem stärkeren
Stimmungsakkord beginnen? Vielleicht. Aber dadurch zerstört er
sich einen künstlerischen Gegensatz, der von entscheidender Wichtig¬
keit für die ganze Entwicklung der Handlung ist. Denn aus dieser
Enge flieht ja gerade die Tochter Johanna in die Freiheit, die
Weite, die Schönheit, die sie bei Sala, wenn auch nur für letzte
trunkene Minuten, zu finden hofft. Das was wir hier sehen, ist
eigentlich das Charakteristische des neuen vielbesprochenen Land¬
hauses der reichen Aristokraten. Und was bleibt nun für dieses
übrig? Stimmungswerte genug! Das langsame Verdämmern
des Parks, während das Licht der Türe warm auf die beiden ge¬
scheiterten Lebenskünstler in ihrer kalten Einsamkeit fällt, war
sehr fein gemacht. Aber wieder fehlt hier wesentliches. Denn der
Garten Salas ist ein Spiegelbild seines Ich. Gerade die Zeichen
einer feineren Kultur wollen wir darum nicht missen, und römische
Kaiserbüsten sind wichtiger als Kiefernstämme, die sowieso mehr
an den Grunewald als an den Wiener Wald, mehr an Dahlem als
an Dornbach erinnern. Der Innenraum der Wohnung von Weg¬
rats war ein kleines Kabinettstückchen künstlerischer Kultur von
Alt=Wien (ist unser ganzes Theater=Programm nicht etwas Alt¬
Wien?) mit Biedermeiermöbeln, farbigen Stichen, Familienbildern
usw. Aber soviel Liebe man auf dieses Szenenbild verwandt hat,
ebenso stiefmütterlich behandelt man die Wohnung von Julian
Fichtner. Freilich ist das ein Unbehauster in tieferem Sinne. Aber
gerade solche, zumal wenn sie Künstler sind und außerdem in der
Stadt Makarts wohnen, pflegen das Heimliche vorzutäuschen. Aber
ein einziges Sportbild — man denke — eignet sich absolut nicht,
um diese Atmosphäre herzustellen.
Die Darstellung leidet an dem einen großen übelstand, daß
das Weiche, Gleitende des Schnitzlerschen Dialoges fast nirgends
erreicht wird. Das ganze wirkt wie ein vorgetragenes Klavierstück,
dessen Töne sich nicht binden, sodaß man jeden Anschlag mit pein¬
licher Deutlichkeit hört. Herr Wagner spielt den Julian Ficht¬
ner. An ihm hat der neue Herr ein kleines Wunder gewirkt. Zum
erstenmal seit langen Jahren sehen wir anstatt der äußeren Aktion
eine seelische Handlung. Die Windmühlenflügel stehen still; das
Wort braucht nicht erst durch sie heraufgepumpt zu werden; es
kommt aus innerem Drange. Ganz ohne Opfer geht es natürlich
bei einer solchen Umstellung nicht ab, und vorläufig fehlt es ihm noch
etwas an werbender Kraft, was bei der Rolle des Fichtners doppelt
schwer in die Wagschale fällt. Aber der Fortschritt ist unverkenn¬
bar und bessen wollen wir uns freuen. Nicht mit dem gleichen
Glückeiet Herr Nhil die höchst eigenartige Figur des Herrn von
Sala. Gewiß handelt es sich auch hier um einen typischen Schnitz¬
lerschen Helden. Aber dem Anatolgeschlechte gehört Sala doch nur
als Bastard an. Seine Blutmischung hat einen fremden literari¬
schen Einschlag. Es scheint als ob Oskar Wildes Lord Henry
Wotton aus dem Roman „Das Bildnis des Dorian Gray“ ihm
manches von seinem Wesen mitgegeben hat. Auch andere Be¬
ziehungen deuten auf diese Verwandtschaft. Dadurch kommt ein
Bruck in Salas Wesen und der wird in der Darstellung von Herrn
Nhil empfindlich verstärkt. Er trägt eine höchst unglückliche Maske;
die Ironie wird zu intriganter Dämonie gesteigert und so der
Liebhaber schier völlig unmöglich gemacht. Frau Serda findet
als Irene Herms wohl die weichsten und reichsten Töne. Aber ihr
fehlt es an der nötigen Selbstironie, durch die diese Frauengestalt
gerade so sympathisch wirkt. Man hat mit Recht ihre Auftritte die
Lustspielszenen im Stücke genannt, und jemehr die so unjüngfer¬
liche Alte Jungfer über sich und ihr Los lächeln kann, desto mehr
wirken die Tränen, wenn sie ihr schließlich doch in die Augen
kommen. Frl. Knoth hat in der Rolle der Johanna wohl das
Se

schwerste Teil erwählt. Was sie daraus macht, ist verständig, sauber.
glatt und gut; man versteht jedes Wort, das sie sagt, aber ihr
Fühlen vermögen diese Worte nicht aufzuschließen. Sie hat nichts
von dem ahnungsvollen Drang in die Weite, von der Sehnsucht,
sich einem Größeren, Unbekannten hinzugeben, das die Johanna so
rätselhaft macht. Darum kann sie auch das Rätsel nicht lösen.
Herr Lütjohann ist ein recht sympathischer, zuweilen etwas eckiger
unbeholfener Felix Wegrat. Herr Kobler und Frl. Arnold
geben das Elternpaar; ersterer allzu salbungsvoll, letztere mit
scheichter, eindringlicher Menschlichkeit. Herr Wlach ist als Dr.
Reumann wiederum an einen völlig falschen Platz gestellt.
Dr. Carl Anton Piper.
Altonaer Stadt-Theater.
„Hochparterre und Keller".
Volksstück von Otto Ernst.
Mit teilweiser Benutzung eines Nestroyschen Stückes: Bearbei¬
tungen, Bearveitungen! Der Sioffhunger der deutschen Bühne, auf
Inlandserzeugnis und Ersatz verwiesen, wühlt im Trödelladen der
Erin erung, füllt das mählich sich abnutzende Inventar an Spiel¬
berem durch aufpolierte Altertümer nach. Die Macher und die
Gierigen nach billigen Verdienst sind fröhlich am Werke. Man
schneidet dem Sch:bert und Schumann die bunten Fetzen aus den
Partituren, man nutzt ein abgebrochen Mäuerlein Nestroyscher
Phantasie, sich aufs Piedestal des literarhistorisch geschulten Volks¬
dichters zu schwingen. Appelfnut aus Hamburg vermählt sich
Lumpazivagabundo aus Wien. Is entsteht ein seltsames Gericht.
Etwa: Aalsuppe gemischt mit Rahmstrudel. Auch dieser kulina¬
rische Vergleich hinkt natürlich. Wir müßten, besser, die Schüsseln
tauschen. Zu sagen wäre vielmehr (versagte vor derlei Belanglosig¬
keit kritisches Bewußtsein nicht am liebsten in Bereitschaft des
Verzichtfriedens), zu sagen wäre: Nestroys untergründige
Schärfe, sein hundeschnäuziger Nihilismus — bei relativer sozia¬
ler Friedlichkeit — sei durch den Learbeiter in die Sphäre salterer
Behaglichkeit gehoben. Aber damit, und nicht nur mit dem schwin¬
denden Wienertum, verändert sich auch das Gesicht. Die Züge
verwischen sich, alles wird breiter, schwammiger, charakterloser.
Dort, bei Nestroy, hatten wir immerhin eine Kritik der Zeit, eine
Possenhaftigkeit aus einem bestimmten gegenwärtigen Zustand
mit gegenwärtigen Mitteln gehoben. Rückschauend genießen wir
Der#angenes, so weit es genußfähig blieb. Hier, bei Otto Ernst
in Nestroyscher Verkleidung, ist nur Imitation, Anlehnung, Fort¬
setzung einer Stilart ohne ihre innere Notwendigkeit, weil ohne ihr,
nur einen Nestro, möglichen Temperament. Beim Nestroy ist
schon eine Kultur, sie mag nicht jedermanns Sache sein, es bleibt
unser Recht, sie abzulehnen. Beim Bearbeiter ist Errechnung, An¬
schmiegung, Bästelei, und es kommt so etwas dabei heraus wie
ein fabrikmäßig nachgeklatschtes Möbel. Es ist das alles ganz
auber gemacht und zweifelsohne nicht ohne Geschick der gewollten
UInpassung. Aber schließlich bleibt es doch nur eine fade Spielerei,
Tie uns nichts zu sagen hat, und wenn Otto Ernst schon das Be¬
kürnis zum Volksstückdichter hatte, warum in der fremden Maske,
aus einer fremden Zeit? Warum Rudimente eines Wiener Volks¬
stücks in einer Allerwärts= und Nirgendwotunke serviert, statt ins
niederdeutsche Leben, das ihm doch schließlich näher liegen muß,
mit kühneren Händen selbst zu greifen? „Hochparterreund
Keller“ bewogt sich im übrigen im alten Stil armer Genügsam¬
keit mit unverhofftem Glück und reichem Übermut, der vor dem