II, Theaterstücke 18, Der einsame Weg. Schauspiel in fünf Akten (Junggeselle, Junggesellenstück, Die Egoisten, Einsame Wege, Wege ins Dunkle, Weg zum Licht), Seite 547

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Käthe Haack und Albert Bassermann.
fortzublasen, um aus den sichtbaren Konturen das Wesentliche
dieses Dramatikers festzustellen: Seine Aermlichkeit und seinen
Schnitzlers „Einsamer Weg.“
Reichtum.
Er holt seine Säfte von Maupassant bis zu Ibsen. Der eine
Von
ist ihm geistiger Ahnherr, der andere stärkster Anreger und Weg¬
Felix Hollaender.
weiser. Und als eigene Ingredienz gibt er eine Dialektik östlicher
Herkunft und eine Sentimentalität wienerischen Ursprungs.
Am Schlusse war es ein Erfolg der Darstellung, aus der zwei
Seine Gestalten, nicht organisch gewachsen, kommen aus der
meisterliche Leistungen heransragten. Immer wieder — und mit
Werkstatt eines geschmäcklerischen Literaten, dessen Kunstgewerbe bei¬
Fug und Rocht rief man Bassermann und die Höflich, die
nahe schon Kunst — dessen Literatur fast wieder Leben geworden ist.
über alle Schlagworte von neuer Schauspielerei hinweg die Rein¬
Damit ist der „Kunstwert“ seiner Arbeiten gekennzeichnet.
heit und Schlichtkeit ihrer Natur — die Vornehmheit ihrer Mittel
„ Der einsame Weg“ mit seinem Herbstruch und seinem
sich gewahrt haben.
Lavendelduft, mit seinen Melancholien und geistreichen Wortspielen,
Und das Stück selbst? Konnte es der Kraftentfaltung zweier un¬
mit seinem feingesch'ffenen, von weltmännischen Ironien durchsetzten
gewöhnlicher Temperamente die Wage halten?
Dialog, zeigt alle Stärken und Schwächen dieses Poeten.
1903 hat Arthur Schnitzler dies Wer geschrieben. Er war da¬
Ein wenig blutleer und anämisch — etwas verstaubt und ver¬
mals 40 Jahre alt und stand auf der Mittagshöhe seines Daseins
modert — strömt doch aus dem Werke noch die Kraft einer Persön¬
und Schaffens.
Sein Schauspiel könnte ebenso gut den Titel „Einsame Menschen“
lichkeit, die Grazie eines Meisters, der hinter das Geheimnis der
führen. Es ist gearbeitet mit der Technik Ibsens. Ein Tragödie hat
Form gedrungen ist.
sich abgerollt, ehe noch der Vorhang die Höhe geht. Und wenn
Was konnte die Bearbeitung — was konnte die Darstellung für
gegen den Schluß ein Viveur und Weltmann den Sinn der Liebe in
das gealterte Werk leisten — dies ist die Frage.
die Worte faßt: Lieben heißt, für jemand Anderen auf der Welt sein
Schnitzler hat glücklicherweise nicht zu tief in den Organismus
so spricht er über die eigene Lebensführung und die des Freundes.
eingegriffen. Das Kind ist bei der Operation leben geblieben. Er
mit dem er sich über letzte Dinge auseinandersetzt, ohne Sentiment
hat sich im wesentlichen darauf beschränkt, den zweiten und dritten
das Todesurteil aus.
Alt derartig zusammenzuziehen, daß die Hauptszene des dritten
Sie werden beide einsam sterben — weil sie ihr Leben nur auf
Aufzuges, in der Julian dem Sohne seine Vaterschaft gesteht, in den
sich — nur auf die Erfüllung ihrer selbstischen Triebe gestellt haben.
zweiten Akt hinübergerettet wird.
Aber während der alternde Herr Stefan von Sala. Offizier und
Verzichtet hat er leider darauf, die peinlichen Anklänge an Ibsen
Dichter, Forscher und Ironiker, vom Tode gezeichnet, nach ein blut¬
zu entfernen und die geschwätzigen Bekenntnisse seiner Menschen ein¬
junges Ding brünstig umarmt und tiefer Einsamkeit sich dennoch be¬
zudeimmen, deren Romantik und Sentimentalität auf die Dauer un¬
wußt bleibt — ja als Naturnotwendigkeit sie hinnimmt — wird der
ertt glich wird.
andere Charmeur des Stückes, der verkrachte Maler Fichtner, weh¬
Er findet nicht den einfachen und selbstverständlichen Ausdruck
leidig und empfindsam. Möchte am Schluß eines Lebenskomödie, in
für das seelische Erlebnis — seine Figuren gehen auf Stelzen und¬
der er moussierendes Genie verspritzt, Ruhm und Geld i alle Winde
reden in Aphorismen und Gedankensplittern.
verstreut, Frauen genommen und weggeworfen hat, in wärmen¬
Letzten Endes bleitt ein übler Nachgeschmack.
des Feuerchen finden Seiner Sehnsucht Ziel: Den Sohn, #en er in
Den Darstellern ist nachzurühmen, daß sie alles taten, diesen
fremdes Nest gelegt, an das liebende Herz zu ziehen.
Wortprunk zu dämpfen, und an die Stell. redseligen, nicht immer
Indessen, so glatt geht bei beiden die Rechnung nicht auf.
echten Gefühls Bescheidenheit der Natur zu setzen.
Herr Stephan v. Sala macht sich durch korrekten Schuß aus
Es war erschütternd, wie Bassermann, der nobelst# nter
dem Staube, nachdem die kleine Freundin in seinem grünen Teich
allen seinen Kollegen, in dem konstruierten letzten Akt mit einer Ver¬
haltenheit ohnegleichen seinen Todesentschluß zum Ausdruck bringt.
geendet.
Der Dichter flüstert: Tröste dich, mein Zuschauer, herzkrank war
Und wenn die Höflich in ihrer großen Szene, die beinanhe wie
er, und hätte ohnehin bald fort müssen.
eine Parodie auf Ella Rentheim wirkt, aufsteigende Tränen herzhaft
Herr Julian Fichtner, des Stückes zweiter Held, steht mit ein¬
hinuterschluckt, so vergißt der bewegte Zuschauer für Momente das
geknickten Beinen sehr besch-eiden da, denn der Sohn, mein
Theater.
Namensvetter Felix, ist für verspätete Vaterliebe nicht zu haben.
Hier stehen zwei zauberhafte Menschen, die noch das Künstliche #
Auch den anderen Figuren auf Schnitzlers Schachbrett geht es,
zu Kunst und Natur umzubiegen vermögen.
Aber auch Herr v. Winterstein, sehr leise und dabei sehr“
mit Verlaub, dreckig.
Das junge Mädchen, das jedesmal fröstelt, wenn Tod und Krank¬
eindringlich — Herr Stahl=Nachbaur auffallend gut in Ton##
heit nahen, läuft, wie schon angedeutet, in den naßen Teich. Die
und Haltung — Biensfeld, diskret in der undankbarsten Rolle#
Mama, die an allem schuld ist — warum hat sie sich auch mit diesem
des Stückes — waren ebenbürtige Partner.
Windhund Fichtner eingelassen —, verblüht in freudloser Ehe. Irene
Frau Pauly hatte den ergreifenden Ausdruck einer Sterbendent
Herms, Schauspielerin a. D., ebenfalls von diesem Herrn Fichtner,
und Käthe Haack ist ganz nahe daran, eine Menschendarstellerin¬
der mir überhaupt ein übler Kusin zu sein scheint — nieder¬

großen Stils zu werden. Noch ist alles, was sie tut und sagt, ein)
trächtig behandelt, findet als gute Tante Unterschlupf. Ihre Be¬
wenig zu betont, aber die Wahrhaftigkeit und Grundehrlichteit ihres“
hauptung, sich sehr wohl dabei zu fühlen, halte ich für glatten
Wesens bieten die Gewähr für künftige Entwicklung.
Schwindel. Und Felix ist aus dem Gleichgewicht geworfen, da er
Ich bin leider nicht in der Lage von Herrn Werner SchottE
plötzlich seine illegitime Herkunft erfährt.
Aehnliches behaupten zu können.
Zum Schluß noch eine Anmerkung: Stücke, so breit ausladend wie
Bleiben übrig die im bürgerlichen Sinne anständigen Menschen
Schnitzlers „Einsamer Weg“ sind für das Haus der Tribüne total
des Stückes: der korrekte, gute Kunstprofessor und der selbstlose,
ungeeignet. In den Rahmen einer Bühne, die kaum größer als ein
reinliche Medizinmann.
Nudelbrett ist, lassen sich nicht ohne Schädigung des Schauspielers
Lieber Leser, die beiden haben nicht viel von ihrem Gutsein.
Der Professor ist ein Nebbich, der sich wie ein Berirrter durch
und Publikums Bilder großen Formats spannen.
die Wände seines Hauses tastet, ohne zu ahnen, daß er fremde Brut
großgezogen hat.
Iwan Goll hat in Paris ein neues Theater gegründet,
Und der Doktor? Inbegriff der Honorigkeit, verzichtet aus
das unter dem Titel „Théätre Suréaliste noch unbekannte
purem Anstand auf die Professur und auf das Mädchen, das ihn
und umstrittene moderne Bühnenwerke darbieten will. In der
nicht mag. Er ist der einsamste von allen.
nächsten Opielzeit finden die Aufführungen im Theater Albert I.
Der Dichter lächelt voll Melancholie: Die Sonne scheint über
statt. In dem internationalen Programm sind als deutsche Autoren
Gerechte und Ungerechte. C’est la vie. In der Quadratur des
Georg Kaiser, August Stramm und Arnold Bronnen
vertreten. Zur Inszenierung sind Regisseure aus Rom, Berlin und
Zirkels habe ich es gezeigt.
Abseits von diesem allzu konstruktiven Aufbau gibt es in dem
Moskau eingeladen.
Stück eine wirklich gewachsene Szene. Der Sohn und der Lieb¬
haber betrachten das Porträt der teuren Dahingeschiedenen. Und
„Der Junggeselle“
plötzlich werden auf dem kleinen Aquarellbildchen die Augen der
hat Sammelwert! Heute neu — morgen vergriffen.
Toten lebendig — und enthüllen sehr zart und sehr behutsam ein
Schicksal.
Ueber zwanzig Jahre sind seit dem Entstehen des Werkes ins
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Land gegangen.
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Die blassen Farben in Schnitzlers Pastellgemälde sind noch
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tiefer verblaßt. Und es bedarf wohl einiger Mühe, die Staubschicht
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