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18. Der Neg
Dr. Max Goldschmidt
Bürs für Zeitungsausschnitte
BBRLIN N4
Teleion: Norden 3051
Ausschnitt aus:
Münchener Zeitung, München
27. Juni 1027
Kunst „ Wissenschaft „ Unterhaltung.
HB. [Kammerspiele im Schauspielhaus.] „Der
einsame Weg“ ist in Artur Schnitzlers gleich¬
namigem Stück ein Pluralis: jeder geht ihn. Der alte
Akademiedirektor Wegrath, dem seine Frau einst im Mai
Hörner aufgesetzt und der es halt jetzt mit seinem Be¬
ruf hat, seine Frau, die als erste die dreihundertachtzehn
Stufen in den Hades hinabsteigt, ihre Tochter Johanna,
die erst noch den Umweg über die Liebe zu Herrn
von Sala und durch den Teich in seinem Garten nimmt,
Felix, des Akademiedirektors Sohn, insoferne er gar nicht
dessen Sohn ist, sondern der des Malers Fichtner, der
sich vergeblich, weil zu spät, um die Anerkennung seiner
Vaterschaft vor Felix bemüht und der bereits zu den bei¬
den Matadoren der Einsamkeit gehört, die in ihm mehr
sentimentale, in seinem Distanz=Freund, dem Schrift¬
steller von Sala, mehr verstandeskühle Stichworte hervor¬
xuft. Kurzum ein schöner, spät=sanfter Austro=Sonnen¬
untergang. Albert Bassermann, um dessentwillen man
ihn unter Herrn Stoeckels Regiestab wieder hervor¬
gezaubert hat ist als Ritter der Feder von Sala mit
seiner tadellosen Erscheinung und Persönlichkeit seibst¬
verständlicher Mittelpunkt; das Aufgeweichte, Formell¬
Charmante, das in der Schnitzlerschen Lebensluft alss
Gegengewicht am Zweifel und jeden Sarkasmus hängk,
deutet Bassermann nur gerade so an: wie er's sprichtst
## um einen Schatten zu artikuliert, geschäuft, aufge¬
rauht. Sehr schön die besinnlichen Pausen vor den
„Stichworten, die er zubringt". Man hat bei Basser¬
mann. freilich immer den Eindruck, daß seine Rollen ihm
nicht mehr so tadellos folgen wie seine Röcke und Westen:
er ist, spielend, spielend, über sie hinausgewachsen. Er
schaut mit den Augen so oft darüber weg: über das, was
er eine Etage tiefer, im Mezzanin sozusagen, spricht.
Es steht ihm nicht mehr dafür, bei der Sache zu sein,
wenn nur die Sache bei seiner Person ist. — Herr
Stoeckel spielte den Fichtner mit seiner gedämpften, ver¬
Fklemmten Sentimentalität, die ihm gut zu Gebote steht,
ein Bastardeur in Moll. Frau Carstens als Gabriele
Wegraths fiel es nicht leicht, schwerkrank zu sein: immer
wollte Munterkeit und Lebenslust unter der dünnen Deche
des Lebens hervor; ich fürchte, sie ist einfach an der höchst
bedenklichen Miene des Arztes gestorben — derlei zu
ziehen ist Herr Lieck Meister; er salbt mit Worten und
Blicken ins Grab. Die liebende Johanna Wegrath
wurde von Fräulein Johannsen in der Statur der Tän¬
zerin, die sie (im Stück) morden will, sanft wehend dar¬
gestellt: eine Rose, erblüht, um zu entblättern. Herr
Martini wahrt immer noch die schöne Erbschaft aus ge¬
mütvolleren Theaterzeiten: er versteht auf schlichte
Weise zu rühren. Den Felix svielte Herr Epp, für einen
dreiundzwanzigjährigen Leutnant zu jung — man er¬
schrickt: was soll das k. und k. Popperl in Baktrien —
aber doch, inmitten etlicher Unbeholfenheit, schon recht
beholfen und von einer freien Linie, die was verspricht.
Frau Else Bassermann als das takt= und kinderlose
Fräulein Herms, Schauspielerin a. D., war, was sie zu#
sein hatte, aber etliche Grade zu unentschieden. Sie
spielt wie nach der Vorschrift; Persönliches fließt spärlich,
Könnerisches noch spärlicher in die gekonnte Vorlage. Das
Publikum klatschte wie ein Landregen anhaltend, melan¬
cholisch und sanft=durchdringend auf den einsamen Weg.
Mehrmals fuhren Bravo=Blitze dem Gaste Bassermann zu##
Füßen, worauf es Verbeugungen donnerte.
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18. Der Neg
Dr. Max Goldschmidt
Bürs für Zeitungsausschnitte
BBRLIN N4
Teleion: Norden 3051
Ausschnitt aus:
Münchener Zeitung, München
27. Juni 1027
Kunst „ Wissenschaft „ Unterhaltung.
HB. [Kammerspiele im Schauspielhaus.] „Der
einsame Weg“ ist in Artur Schnitzlers gleich¬
namigem Stück ein Pluralis: jeder geht ihn. Der alte
Akademiedirektor Wegrath, dem seine Frau einst im Mai
Hörner aufgesetzt und der es halt jetzt mit seinem Be¬
ruf hat, seine Frau, die als erste die dreihundertachtzehn
Stufen in den Hades hinabsteigt, ihre Tochter Johanna,
die erst noch den Umweg über die Liebe zu Herrn
von Sala und durch den Teich in seinem Garten nimmt,
Felix, des Akademiedirektors Sohn, insoferne er gar nicht
dessen Sohn ist, sondern der des Malers Fichtner, der
sich vergeblich, weil zu spät, um die Anerkennung seiner
Vaterschaft vor Felix bemüht und der bereits zu den bei¬
den Matadoren der Einsamkeit gehört, die in ihm mehr
sentimentale, in seinem Distanz=Freund, dem Schrift¬
steller von Sala, mehr verstandeskühle Stichworte hervor¬
xuft. Kurzum ein schöner, spät=sanfter Austro=Sonnen¬
untergang. Albert Bassermann, um dessentwillen man
ihn unter Herrn Stoeckels Regiestab wieder hervor¬
gezaubert hat ist als Ritter der Feder von Sala mit
seiner tadellosen Erscheinung und Persönlichkeit seibst¬
verständlicher Mittelpunkt; das Aufgeweichte, Formell¬
Charmante, das in der Schnitzlerschen Lebensluft alss
Gegengewicht am Zweifel und jeden Sarkasmus hängk,
deutet Bassermann nur gerade so an: wie er's sprichtst
## um einen Schatten zu artikuliert, geschäuft, aufge¬
rauht. Sehr schön die besinnlichen Pausen vor den
„Stichworten, die er zubringt". Man hat bei Basser¬
mann. freilich immer den Eindruck, daß seine Rollen ihm
nicht mehr so tadellos folgen wie seine Röcke und Westen:
er ist, spielend, spielend, über sie hinausgewachsen. Er
schaut mit den Augen so oft darüber weg: über das, was
er eine Etage tiefer, im Mezzanin sozusagen, spricht.
Es steht ihm nicht mehr dafür, bei der Sache zu sein,
wenn nur die Sache bei seiner Person ist. — Herr
Stoeckel spielte den Fichtner mit seiner gedämpften, ver¬
Fklemmten Sentimentalität, die ihm gut zu Gebote steht,
ein Bastardeur in Moll. Frau Carstens als Gabriele
Wegraths fiel es nicht leicht, schwerkrank zu sein: immer
wollte Munterkeit und Lebenslust unter der dünnen Deche
des Lebens hervor; ich fürchte, sie ist einfach an der höchst
bedenklichen Miene des Arztes gestorben — derlei zu
ziehen ist Herr Lieck Meister; er salbt mit Worten und
Blicken ins Grab. Die liebende Johanna Wegrath
wurde von Fräulein Johannsen in der Statur der Tän¬
zerin, die sie (im Stück) morden will, sanft wehend dar¬
gestellt: eine Rose, erblüht, um zu entblättern. Herr
Martini wahrt immer noch die schöne Erbschaft aus ge¬
mütvolleren Theaterzeiten: er versteht auf schlichte
Weise zu rühren. Den Felix svielte Herr Epp, für einen
dreiundzwanzigjährigen Leutnant zu jung — man er¬
schrickt: was soll das k. und k. Popperl in Baktrien —
aber doch, inmitten etlicher Unbeholfenheit, schon recht
beholfen und von einer freien Linie, die was verspricht.
Frau Else Bassermann als das takt= und kinderlose
Fräulein Herms, Schauspielerin a. D., war, was sie zu#
sein hatte, aber etliche Grade zu unentschieden. Sie
spielt wie nach der Vorschrift; Persönliches fließt spärlich,
Könnerisches noch spärlicher in die gekonnte Vorlage. Das
Publikum klatschte wie ein Landregen anhaltend, melan¬
cholisch und sanft=durchdringend auf den einsamen Weg.
Mehrmals fuhren Bravo=Blitze dem Gaste Bassermann zu##
Füßen, worauf es Verbeugungen donnerte.