II, Theaterstücke 18, Der einsame Weg. Schauspiel in fünf Akten (Junggeselle, Junggesellenstück, Die Egoisten, Einsame Wege, Wege ins Dunkle, Weg zum Licht), Seite 568

18. Der einsane Neg
box 23/5
84
D Sacsgslung
Donnerstag, 7. Juli 1927
Der Abend ist hereingebrochen und eine runde feurige
Mondkugel gleitet am Firmament entlang. Kurz vor dem Ein¬
gang zum Hotel schleicht ein Neger zu mir heran, grüßt höflich
und fragt, ob ich keine Arbeit für ihn hätte. Der Kerl ist
sauber gekleidet, sein weißer Talar und seine weiße Mütze sind
ohne Flecken und er hat neben einer vollendeten Grazie in den
Bewegungen, wie sie eben nur den Naturvölkern zu eigen ist,
die reinste Unschuld im Blick seiner Augen. Als ich ihm etwas
erstaunt seine Frage verneine und merke, daß er noch keine Lust
spürt zu gehen, frage ich ihn, ob er denn nichts zu tun habe.
„Jawohl, Bwanal ich arbeiten in Kilindini, aber an den
Weihnachts= und Neujahrstagen ist nichts los und da möchte ich
lgisch¬
gern was für Sie tun.“ Er nimmt
einen
1 be¬
gt er
den
Stadt
Dr. Max Goldschmidt
gehe,
Büro für Zeitungsausschnitte
tun.
Teleion: Norden 3051
BERLIN N4
Ausschnift aus:
Deutsche Tageszeitung Berlin
1.7. Juli 1924
400
Münchener Theater.
Die Sommermonate stehen hier wie überall, im Zeichen der
Gastspiele. Aber diesmal kann man die erfeuliche Feststellung
machen, daß die eim letzten Jahr aufgestellte Forderung, die Rück¬
sicht auf die „Bombenrolle“ möchte der Qualität der Werke nicht
immer übergeordnet werden, erfüllt worden ist. So brachte uns
Alexander Moissi Pirandellos hier noch nicht ge¬
, diese Tragödie des Geisteskranken,
hörten „Heinrich
der von zwölfjährigem Irrwahn geheilt, der Versuchung nicht
widersteht, freiwillig den Wahn weiterzuspielen, der ihm als
unumschränkten Beherrscher seiner Umgebung das phantastisch
schöne verantwortungslose Leben seiner Krankheitstage sichert.
Es ist eine unheimliche Erfahrungsphilosophie, die Pirandello
predigt, doppelt unheimlich durch Moissis geniale Fähigkeit, an
einer anscheinend skurrilen Anekdote letzte menschliche Tiefen
transparent zu machen.
Ein Typus jener Bankerotteure des Lebens, denen es nicht
gelingt, ihr Bild der Umwelt aufzuzwingen, war jener un¬
glückliche Kaiser Maximilian von Mexiko, dem Werfel in
seiner vielgespielten und vielbesprochenen dramatischen Historie:
„Juarez und Maximilian“ ein leider allzu sentimen¬
tales Denkmal setzt. Dieser von vornherein unterlegenen Figur
gegenüber hatte Ernst Deutsch als jugendlicher Porfirio Diaz
leichtes Spiel. Wenn je ein politischer Dichter gegen seinen
Willen dem Gegener Wasser auf die Mühle treibt, dann tut
das Werfel in diesem republikanischen Freiheitslied, in dem die
monarchische Idee nur darum unterliegt, weil ihr Vertreter den
Radikalismus des sich Selbstbehauptens um jeden Preis, den
Radikalismus, also der Juarez=Lenins, als Einzelpersönlichkeit
zufällig nicht hat. Ob diese immanente Wahrheit seines Werkes
dem Dichter eigentlich nicht zu denken geben sollte? Sybille
Binder als Gast in der Rolle der Königin Charlotte war von
krankhaft melancholischem Reiz; zur reicheren Entfaltung ihrer
unendlich differenzierten Mittel aber bot ihr Shaws „Arzt
am Scheideweg“ willkommene Gelegenheit, wo sie und
Ernst Deutsch das junge Paar Dubedat gaben. Auch im Zu¬
schauerraum unterlag man bedingungslos der Suggestion dieses
genialen Ammoralisten und seiner in ihrer tiefen Bezauberung
selbst so bezaubernden jungen Frau, und der Schwerpunkt des
Werkes wurde, trotzdem Gerhard Ritter den Arzt am
Scheideweg breit, rund und ganz von innenheraus gewachsen hin¬
stellte durchaus verschoben durch die beiden Berliner Gäste. Ihre