II, Theaterstücke 18, Der einsame Weg. Schauspiel in fünf Akten (Junggeselle, Junggesellenstück, Die Egoisten, Einsame Wege, Wege ins Dunkle, Weg zum Licht), Seite 684

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18. Das
um ein höheres Dasein die andre Hälfte der Dichtung ausfüllt. Um
die Wende des achtzehnten Jahrhunderts hieß Sala William Lovell
und Roquairol, bei Bourget heißt er Dorsenne und Armand de Querne.
Diese Menschen, sonst ganz verschieden, waren nie jung und von je¬
her skeptisch, früh friedlos und schnell leergebrannt, hatten immer
zu viel Wissen und zu wenig Willen, keinerlei Unmittelbarkeit, aber
das verfeinertste Nervensystem von schmerzlicher Erregbarkeit.
Sala ist bei weitem der interessanteste, Seine Selbstbeobach¬
tung verwehrt ihm die Hingabe an den Augenblick. Jede Empfindung
geht ihm zuerst ins Hirn, wird da zersetzt und erreicht selten das
Herz. Seine Dramen müssen nicht nur lrenen Herms, der Schau¬
spielerin von starken Impulsen und warmblutiger Naivität, schreck¬
lich gewesen sein. Die Kühle seines Naturells hat einen Abgrund
um ihn geschaffen, in den er am Ende versinkt. Uber den fem¬
schmeckerischen Kosmopoliten aber, der noch sein Sterben zu
arrangieren weiß, wie er sein Leben arrangiert hat, erhebt sich am
Ende die ernste, wenn ###ch arme Auffassung vom nahen, aber be¬
stimmten Lebensziel, von der begrenzten Wirksamkeit als der
Schlußsumme aller Weisheit und der sichersten Art von Glück.
Von Glück? Ach, die schlecht und recht auf der goldenen Mittel¬
straße im Dutzend geblieben sind, werden bei Schnitzler noch
weniger glücklich als die Libertiner der Phantasie und des Fleisches,
die doch ihre blauen Jugendsehnsüchte und ihre höchst erdhaften
Genüsse gehabt haben. War dieser Ausblick die Absicht, oder ist
dem Dichter die Physiognomie seines Stückes so verschwommen ge¬
raten, daß sein menschlicher Standpunkt nicht klar wird? Auch sonst
entstehen ja bei ihm ethische Fragwürdigkeiten aus künstlerischer
Schwäche. Wie lbsen hat Schnitzler in den engen Grenzen räum¬
licher und zeitlicher Einheit aus längstvergangenen Ereignissen und
Empfindungen nur die letzten Schlüsse ziehen wollen. Aber wem
das gelingen soll, der muß die Kunst besitzen, mit der bei lbsen die
Vergangenheit und der Augenblick sich gegenseitig durchleuchten.
Es ist nötig, daß Julian Fichtner seinem Sohn Felix erzählt, wiee¬
sich vor vierundzwanzig Jahren benommen hat. Schnitzler kann den
Maler seine Handlungsweise nur so schildern lassen, wie er sie ale
junger leichtsinniger Bursch gesehen hat, als wär' er nicht inzwischen
vierundzwanzig inhaltreiche Jahre älter geworden. Dieser ironie¬
begabte Dichter findet nicht den Ton, der jene Tat zugleich berichtete
und kritisierte. Erst nach dem Ruf: „Er ist gerichtet!“ darf der Ruf:
„Er ist gerettet!“ ertönen, In Schnitzlers Welt ist man schnell bereit,
den Andern, und noch schneller, sich selbst zu verzeihen. Freilich gibt
diese ethische Unbefangenheit der Dichtung ihren besondern Duft.
„Das Klima der Begebenheit“, wie Tieck zu sagen liebte, hat eine
leichte Beigabe von Verwesungsgeruch. Morbidezza-Stimmungen
schweben um das ganze Werk und um jede Zelle seines Baus, un¬
endlich süß und von ergreifender Schwermut.
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