II, Theaterstücke 18, Der einsame Weg. Schauspiel in fünf Akten (Junggeselle, Junggesellenstück, Die Egoisten, Einsame Wege, Wege ins Dunkle, Weg zum Licht), Seite 683

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Der einsame Weg
Dies ist kein Schauspiel für die Menge. Sein Mangel an Erfolg be¬
ruht zu einem Teil auf dem Mangel an grellen Schlaglichtern, die
für den Durchschnitt das Dunkel scelischer Vorgänge erhellen. Denn
worauf es einem Psychologen von der Art Schnitzlers ankommt, das
sind nicht die Geschehnisse an sich, sondern die zarten Schwin¬
gungen, die durch die Geschehnisse in den beteiligten Menschen¬
seelen hervorgerufen werden. Wie diese Menschenscelen sich zu
einander bewegt haben, sich nah uid näher gekommen und vor
einander geflohen sind, um hinfort einen einsamen Weg zu gehen:
das ist das bißchen Vorfabel der undramatischen Dichtung. Ihr
Inhalt aber ist: wie sich Schleier um Schleier von eben jener Ver¬
gangenheit hebt, die die Vorbedingungen für das tragische Ende, den
melancholischen Ausklang der Dichtung geschaffen hat.
Schnitzler stimmt weich und leise eine Elegie an. Es herbstelt,
das Laub fällt, und mit der Natur rüsten sich ein paar Menschen
zum Sterben, nehmen andre, stillgefaßt, ihren Abschied von den
Illusionen, dem Menschenglauben und der Hoffnung. Gealterte
Augen blicken auf ein vergangenes Leben zurück und erkennen, daß
es ein verlorenes Leben war. Junge Augen blicken seherhaft hell in
eine Zukunft, die ihnen das Leben nicht lebenswert erscheinen läßt.
Gegenseitige Schuldverstrickung löst sich, und Schicksale werden
offenbar, die zwar die Herzen nicht gebrochen, aber ihnen einen
Riß für immer gegeben haben. Von vielen Lebenslügen und unerfüll¬
baren idealen Forderungen fallen die Hüllen, und gegenüber stehen
sich, entblößt und traurig, „Betrogene und Betrüger“.
Der dieses Wort die Einsicht der Todesstunde eingibt, Frau
Gabriele Wegrath, hat ihrem Gatten vor dreiundzwanzig Jahren
einen Sohn geboren, auf den nach ihrem Tode Julian Fichtner
Vaterrechte geltend macht. Diesem Maler sind in blühender Jugend
Gelübde und bürgerliche Moral Mächte gewesen, denen sich sein
individueller Freiheitsdrang durchaus gewachsen gezeigt hat. Jetzt
aber, da seiner vereinsamten Seele die Schwungkraft verloren ge¬
gangen ist, möchte er auf den Trümmern der Vergangenheit ein
letztes Glück ergreifen; will er weiter nichts als: seinem Sohn ein
Vater sein. Er muß erleben, wie das Bekenntnis seiner Vaterschaft
ihm den Sohn, seinen bisherigen Freund Felix, entfremdet, der fühlt,
daß man sehr wenig für einen Menschen getan hat, wenn man
nichts tat als: ihn in die Welt setzen. Und Julian wird den Weg
hinab so allein gehen, wie ihn Alle gehen müssen, die „Niemandem
gehört“ haben.
Wieder ist es ein Todeskandidat, der in eine erklärende Re¬
flexion faßt, was nicht ganz „verdichtet“, das heißt: in Handlung und
Charakteristik umgesetzt worden ist. Der Dichter Stephan von
Sala ist es, dessen Verhältnis zu Felix Wegraths Schwester Johanna
die zweite Handlung des Dramas bildet, dessen Niederlage im Kampf
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