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it¬
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teilung
Gesunde Reaktion.
Nun wird es gottlob auch schon den Amerikanern
zu bunt. Selbst diese Amerikaner, die doch die größten
Portionen Nervenkitzel vertragen und sich an Rekorden,
Sportsensationen, Filmlieblingssüßigkeiten nicht satt¬
essen können, selbst ihnen geht es schon über die Hut¬
schnur. Dieser Oberst Hutchinson, der mit seiner Frau,
seinen beiden Töchterlein und vier Passagieren eine
gänzlich überflüssige Ueberquerung des Ozeans unter¬
nahm und durch sein Mißgeschick oder Ungeschick die
Welt tagelang in Atem hielt, hat in der amerikanischen
Oeffentlichkeit einen Sturm der Entrüstung über der¬
artigen Leichtsinn wachgerufen. Man ist empört über
ein aufdringliches Snobtum, das nicht nur das eigene
Leben, sondern auch das der eigenen kleinen Kinder
aufs Spiel setzt, um im Mittelpunkt einer Sensation
zu stehen und einen neuen Rekord aufzustellen. Man
fordert sogar, Oberst Hutchinson solle vor das Straf¬
gericht gestellt werden, weil er über seine unmündigen;
Kinder die Todesgefahr heraufbeschworen hat. Aber die
Entrüstung beschränkt sich nicht auf die hemmungslost
Leichtfertigkeit des einen Mannes, sie richtet sich gegen“
alle die Rekordjäger, die da ganz unnötigerweise in den
Lüften über dem Atlantischen Ozean herumgondeln,
vielfach ohne die nötigen Fähigkeiten und Erfahrungen
zu besitzen. Man darf auf diese Bewegung in Amerika
vorläufig nicht übertriebene Hoffnungen setzen. Aber
höchste Zeit wäre es, einmal sich zu besinnen, daß
schließlich nicht nur Bravour und Muskulatur, nicht
der überdimensionale Bizeps eines Boxers oder eines
Ringkämpfers und auch nicht das leichtfertige Spiel
mit dem Leben das Wesen des Menschen ausmachen,
sondern auch ein bißchen Hirn und Geist.
Vor einem Vierteljahrhundert etwa mochte es noch
titzler n seinem
notwendig sein, daß Artbur
Schauspiele „Der einsame Weg die Parole ausgabe
„Mehr Haltung, weniger Geist!“ In der Zwischenzeit
hat man das Fehlende allzu reichlich aufgeholt. Gewiß
wird niemand so rückständig sein, daß er der jüngeren
oder älteren Jugend den Sport, die Bewegung in freier,
frischer Luft vorwerfen oder verkümmern möchte.
Gewiß ist vor der Jahrhundertwende und um diese
herum an Körper und Körperkultur der Menschheit
allzuviel vernachlässigt und gesündigt worden. Aber
auch das entgegengesetzte Extrem ist von Uebel, und wir
brauchen auf dieses falsch verstandene Neuhellenentum
nicht allzu stolz zu sein. Die Antike hat ja ihren Stolz
darein gesetzt, nicht nur Athleten, sondern auch Künstler,
Philosophen und Dichter hervorzubringen, die, auf
Staatskosten erhalten, im Prytaneion gespeist wurden;
und ein von den Uebersportlern gern zitiertes, aber
nur halb befolgtes lateinisches Sprichwort hat gelautet:
„Mens sana in corpore sano.“ Ein gesunder Geist in
einem gesunden Körper. Wir sind bescheidener geworden
und beschränken uns auf den gesunden Körper, der den
Alten doch nur als Grundlage, nur als Gefäß eines
gesunden Geistes gegolten hat. Die berühmtesten
Menschen unsrer Zeit sind die Boxmatadore, Meister¬
schwimmer, Dauerläufer, Rekordflieger, Sechstageradler.
Sechstagetänzer, Filmlieblinge. Jeder, der gelten will,
würde sich schämen, über Schmeling und Nurmi, über
Chevalier und Menjou nicht im Bilde zu sein. Aber
niemand geniert sich, wirkliche Geistesgrößen unsrer
Zeit nicht oder höchstens nur vom Hörensagen zu
kennen, und solches Nichtwissen stellt niemand bloß.
Wer außerhalb der Fachkreise kennt etwa Max Weber,
den genialen Soziologen und Nationalökonomen, einen
der schärfsten Geister des letzten halben Jahrhunderts?
Wie viele aus der rekordwütigen Menge wissen von
dem jüngst verstorbenen Mediziner Rouald Roß, der
durch die Entdeckung des Malariaträgers einer der
größten Wohltäter der Menschheit geworden ist? Oder
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Gesunde Reaktion.
Nun wird es gottlob auch schon den Amerikanern
zu bunt. Selbst diese Amerikaner, die doch die größten
Portionen Nervenkitzel vertragen und sich an Rekorden,
Sportsensationen, Filmlieblingssüßigkeiten nicht satt¬
essen können, selbst ihnen geht es schon über die Hut¬
schnur. Dieser Oberst Hutchinson, der mit seiner Frau,
seinen beiden Töchterlein und vier Passagieren eine
gänzlich überflüssige Ueberquerung des Ozeans unter¬
nahm und durch sein Mißgeschick oder Ungeschick die
Welt tagelang in Atem hielt, hat in der amerikanischen
Oeffentlichkeit einen Sturm der Entrüstung über der¬
artigen Leichtsinn wachgerufen. Man ist empört über
ein aufdringliches Snobtum, das nicht nur das eigene
Leben, sondern auch das der eigenen kleinen Kinder
aufs Spiel setzt, um im Mittelpunkt einer Sensation
zu stehen und einen neuen Rekord aufzustellen. Man
fordert sogar, Oberst Hutchinson solle vor das Straf¬
gericht gestellt werden, weil er über seine unmündigen;
Kinder die Todesgefahr heraufbeschworen hat. Aber die
Entrüstung beschränkt sich nicht auf die hemmungslost
Leichtfertigkeit des einen Mannes, sie richtet sich gegen“
alle die Rekordjäger, die da ganz unnötigerweise in den
Lüften über dem Atlantischen Ozean herumgondeln,
vielfach ohne die nötigen Fähigkeiten und Erfahrungen
zu besitzen. Man darf auf diese Bewegung in Amerika
vorläufig nicht übertriebene Hoffnungen setzen. Aber
höchste Zeit wäre es, einmal sich zu besinnen, daß
schließlich nicht nur Bravour und Muskulatur, nicht
der überdimensionale Bizeps eines Boxers oder eines
Ringkämpfers und auch nicht das leichtfertige Spiel
mit dem Leben das Wesen des Menschen ausmachen,
sondern auch ein bißchen Hirn und Geist.
Vor einem Vierteljahrhundert etwa mochte es noch
titzler n seinem
notwendig sein, daß Artbur
Schauspiele „Der einsame Weg die Parole ausgabe
„Mehr Haltung, weniger Geist!“ In der Zwischenzeit
hat man das Fehlende allzu reichlich aufgeholt. Gewiß
wird niemand so rückständig sein, daß er der jüngeren
oder älteren Jugend den Sport, die Bewegung in freier,
frischer Luft vorwerfen oder verkümmern möchte.
Gewiß ist vor der Jahrhundertwende und um diese
herum an Körper und Körperkultur der Menschheit
allzuviel vernachlässigt und gesündigt worden. Aber
auch das entgegengesetzte Extrem ist von Uebel, und wir
brauchen auf dieses falsch verstandene Neuhellenentum
nicht allzu stolz zu sein. Die Antike hat ja ihren Stolz
darein gesetzt, nicht nur Athleten, sondern auch Künstler,
Philosophen und Dichter hervorzubringen, die, auf
Staatskosten erhalten, im Prytaneion gespeist wurden;
und ein von den Uebersportlern gern zitiertes, aber
nur halb befolgtes lateinisches Sprichwort hat gelautet:
„Mens sana in corpore sano.“ Ein gesunder Geist in
einem gesunden Körper. Wir sind bescheidener geworden
und beschränken uns auf den gesunden Körper, der den
Alten doch nur als Grundlage, nur als Gefäß eines
gesunden Geistes gegolten hat. Die berühmtesten
Menschen unsrer Zeit sind die Boxmatadore, Meister¬
schwimmer, Dauerläufer, Rekordflieger, Sechstageradler.
Sechstagetänzer, Filmlieblinge. Jeder, der gelten will,
würde sich schämen, über Schmeling und Nurmi, über
Chevalier und Menjou nicht im Bilde zu sein. Aber
niemand geniert sich, wirkliche Geistesgrößen unsrer
Zeit nicht oder höchstens nur vom Hörensagen zu
kennen, und solches Nichtwissen stellt niemand bloß.
Wer außerhalb der Fachkreise kennt etwa Max Weber,
den genialen Soziologen und Nationalökonomen, einen
der schärfsten Geister des letzten halben Jahrhunderts?
Wie viele aus der rekordwütigen Menge wissen von
dem jüngst verstorbenen Mediziner Rouald Roß, der
durch die Entdeckung des Malariaträgers einer der
größten Wohltäter der Menschheit geworden ist? Oder