II, Theaterstücke 17, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 0), Marionetten. Drei Einakter, Seite 32

sich dabei so wunderlich, daß ihm die Ahlefeldt
zuruft: „Was machen Sie denn Grabbe?“ Er
antwortet: „Ich schiebe Ihr Rhinozeroß hinauf.“
So toll und wunderlich wie der Mensch ist
trotz genialer Einzelzüge sein Werk. Und am
allertollsten und wunderlichsten sein Lustspiel
„Scherz=Satire, Ironie und tiefere
Bedeutung.“ Es gibt schwerlich etwas
Frecheres und Groteskeres in der gesamten
Weltliteratur. „Findet der Leser nicht,“ so heißt
es im Vorwort, „daß diesem Lustspiel eine ent¬
schiedene Weltansicht zugrunde liegt, so ver¬
dient es keinen Beifall. Im übrigen verspottet
es sich selbst, und werden daher die literarischen
Angriffe von den beteiligten Personen leicht ver¬
ziehen werden. Es wird noch bemerkt, daß dieses
Stück schon im Jahre 1822 geschrieben war und
auch in mehreren Gesellschaften vorgelesen
wurde.“ Die Handlung des Spiels ist von so
drastischer Tollheit, von so bilsigem Humor, daß.
man sie ihrem Inhalte nach unmöglich wieder
geben kann. Da geht etwa ein Freiherr über
die Bühne, der auf Wunsch des Teufels drei¬
zehn Schneidergesellen erschlägt, nachdem er sich
eine Serviette vorgebunden hat, um sich seine
neue Weste nicht zu beschmutzen. Da schreibt
ein halbverrückter Schulmeister sich seine Ein¬
fälle ins Gesicht, weil er gerade kein Papier
zur Hand hat. Da wird der Dümmling Gottlieb
zum Genie ausposannt, weil er Würmer hat,
und ihm der Rat erteilt, sich eine tote Katze
statt der Uhr in die Westentasche zu stecken,
damit man an seiner Zerstreutheit merkt, wie
genial er ist. Und der Teufel selbst, der sich
erfroren stellt, wird von den Naturhistorikern
bald für einen Rezensenten, für eine Pastors¬
tochter, für einen Blaustrumpf gehalten, bis
man ihn endlich durch die Unsittlichkeit der ge¬
sammelten Werke Casanovas in einen Käfig
leckt, aus dem ihn dann seine Großmutter,
eine blühende Frau im modischen, russischen
Winteranzug, befreit. Wenn wir hinzusetzen,
daß noch eine erhabene Ritterkomödie in dieses
seltsame Stück eingeschachelt wird und zum
Schluß nach Art der romantischen Komödien
der Verfasser selbst sichtbar wird, der „ver¬
maledeite Grabbe“ oder wie man ihn eigentlich
nennen sollte, die „zwergigte Krabbe“, so mag
man einen ungefähren Begriff bekommen von
der tollen, sprühenden, sich überschlagenden Aus¬
gelassenheit dieses Spiels. Grabbe macht darin
seinem Ingrimm Luft gegen die herrschenden
Literaturgeister und Götter, gegen die Pest
(sit venia verbo) der Damenschriftstellerei, der
Almanache und Liederkränze.
Unser Schulmeister wird von einem weit¬
läufigen Vetter mit Heringen versorgt, die ihm
durch ihre Packung den Genuß der neue¬
sten Literatur verschaffen. „Da erhalte ich
Gedichte von August Kuhn, Erzählungen von
Krug von Nidda, Maultrommel= oder Lyratöne
von Theodor Hell, Traunsspiele von einem ge¬
wissen Herrn von Houwald.“ Somit weiß er
strefflich in der neuesten Literatur Bescheid. Aber
mitten in der Satire bricht sich der subjektive
Zorn des Verfassers gegen die herrschenden lite¬
rarischen Zustände, die Heine ganz zur selben
Zeit in seinen Berliner Briefen erbarmungslos
geißelt, Bahn: „Reimschmiede, die so dumm sind,
daß jedesmal, wenn ein Blatt von ihnen ins
Publikum kommt, die Esel im Preise auf¬
schlagen, heißen ausgezeichnete Dichter; Schau¬
spieler, die so langweilig sind, daß natürlich
alles vor Freuden klatscht, wenn sie endlich ein¬
mal abgehen, heißen denkende Künstler;
Vetteln, deren Stimmen so scharf sind, daß man
ein Stück Brot damit abschneiden könnte, titu¬
liert man echt dramatische Sängerinnen! Die
Muse der Tragödie ist zur Gassenhure geworden,
denn jeder deutsche Schlingel notzüchtigt sie und
zeugt mit ihr fünfbeinige Mondkälber ... Die
Wörter „genial, sinnig, gemütlich, trefflich“ werden
so ungeheuer mißbraucht, daß ich schon die Zeit sehe,
wo man, um einen entsprungenen über jeden
Begriff erbärmlichen Zuchthauskandidaten vor
dem ganzen Lande auf das Unauslöschlichste zu
infamieren, an den Galgen schlägt: N. N. ist
sinnig, gemütlich, trefflich und genial! — O
stände doch endlich ein gewaltiger Genius auf,
der mit göttlicher Stärke von Haupt zu Fuß
Laune!
Mit Grabbe verglichen, sind die Marionetten¬
künste, die Schnitzler in seiner Burleske
„Zum großen Wurstel“ darbietet (Mario¬
netten, Verlag S. Fischer), zahm und maßvoll.
Daß ein Spiel durch die Zuschauer und durch
den Dichter und Direktor fortwährend unter¬
brochen wird, und daß schließlich Personen aus
einem anderen Stück auf die Bühne kommen, ist
nicht neu und von der romantischen Schule —
man denke etwa an Tiecks „Verkehrte Welt“ —
bereits weidlich ausgebeutet. Auch die Gestalt
Sudermanns, der als Räsonneur im Stücke
auftritt, ist hier ohne sonderlichen Witz verwertet.
Gleichwohl vermag man Beziehungen zwischen
Grabbes „Scherz, Satire, Ironie“ und diesem
Wurstlspiel zu entdecken. Beidemal ist es der
Genius der Literatur, der sich gegen das ge¬
schwollene Pathos der hohen Tragödie empört.
Dr. Hans Landsberg.