II, Theaterstücke 17, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 0), Marionetten. Drei Einakter, Seite 31

17.4. MarionettenZ0kIus
Dramatische“
Grotesken.
Grabbe im Kleinen Theater.
Herr Professor Gubitz, übergab eines Tages
Heinrich Heine das tolle Erstlingsdrama Grabbes
„Theodor von Gothland“ der damals, im Jahre
1822, in Berlin studierte, mit den Worten:
„Lesen Sie das verrückte Zeug.“ — Und Heine
erwiderte: „Lieber Gubitz, das ist kein verrücktes
Zeug, das ist die Arbeit eines Genies.“ Von
diesem Grabbe, einer durchaus pathologischen
Natur, die ein Zeitlang von unseren Stürmern
und Drängern als der Heros des kommenden
Dramas ausposannt wurde, kursieren die aben¬
teuerlichsten Geschichten. So soll er als Militär¬
auditeur in Detmold eines Tages seinen Dienst¬
befohlenen den Eid in Frack und Unterhosen
abgenommen haben. In Berlin erzählt er, er
beabsichtige als Lakai Dienste zu nehmen und
wolle sich im Intelligenzblatte dazu mit dem
Beisatze anbieten, daß er auch Tragödien an¬
fertigen könne. In Düsseldorf, wo sich Immer¬
mann des heruntergekommenen Genies freund¬
schaftlich annimmt und ihn vom Alkoholteufel
zu retten sucht, macht dessen Geliebte, die Gräfin
Ahlefeldt, den wilden Menschen mit den langen
Zottelhaaren und den kurzen Beinkleidern mit
einer gebrechlichen alten Dame bekannt, der er
auf eine Anhöhe hinaufhelfen muß. Er gebärdet
sich dabei so wunderlich, daß ihm die Ahlefeldt
zuruft: „Was machen Sie denn Grabbe?“ Er
antwortet: „Ich schiebe Ihr Rhinozeroß hinauf.“
So toll und wunderlich wie der Mensch ist
trotz genialer Einzelzüge sein Werk. Und am
allertollsten und wunderlichsten sein Lustspiel
„Scherz=Satire, Ironie und tiefere
Bedeutung.“ Es gibt schwerlich etwas
Frecheres und Groteskeres in der gesamten
Weltliteratur. „Findet der Leser nicht,“ so heißt
es im Vorwort, „daß diesem Lustspiel eine ent¬
schiedene Weltansicht zugrunde liegt, so ver¬
dient es keinen Beifall. Im übrigen verspottet
es sich selbst, und werden daher die literarischen
Angriffe von den beteiligten Personen leicht ver¬
ziehen werden. Es wird noch bemerkt, daß dieses
Stück schon im Jahre 1822 geschrieben war und
auch in mehreren Gesellschaften vorgelesen
wurde.“ Die Handlung des Spiels ist von so
drastischer Tollheit, von so bissigem Humor, daß
man sie ihrem Inhalte nach unmöglich wieder¬
geben kann. Da geht etwa ein Freiherr über
die Bühne, der auf Wunsch des Teufels drei¬
zehn Schneidergesellen erschlägt, nachdem er sich
eine Sewviette vorgebunden hat, um sich seine
neue Weste nicht zu beschmutzen. Da schreibt
ein halbverrückter Schulmeister sich seine Ein¬
fälle ins Gesicht, weil er gerade kein Papier
zur Hand hat. Da wird der Dümmling Cottlieb
zum Genie ausposaunt, weil er Würmer hat,
und ihm der Rat erteilt, sich eine tere Katze
statt der Uhr in die Westentasche zu stecken,
damit man an seiner Zerstreutheit merkt, wie
genial er ist. Und der Teufel selbst, der sich
erfroren stellt, wird von den Naturhistorikern
bald für einen Rezensenten, für eine Pastors¬
tochter, für einen Blaustrumpf gehalten, bis
man ihn endlich durch die Unsittlichkeit der ge¬
sammelten Werke Casanovas in einen Käfig
lockt, aus dem ihn dann seine Großmutter,
eine blühende Frau im modischen, russischen
Winteranzug, befreit. Wenn wir hinzusetzen,
daß noch eine erhabene Ritterkomödie in dieses
seltsame Stück eingeschachelt wird und zum
Schluß nach Art der romantischen Komödien
der Verfasser selbst sichtbar wird, der „ver¬
maledeite Grabbe“ oder wie man ihn eigentlich
nenen sollte, die „zwergigte Krabbe“, so mag
man einen ungefähren Begriff bekommen von
der tollen, sprühenden, sich überschlagenden Aus¬
gelassenheit dieses Spiels. Grabbe macht darin
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gepanzert sich des deutschen Parnasses an¬
nähme und das Gesindel in die Sümpfe zurück¬
triebe, aus welchen es hervorgekrochen ist!“
Auch der Teufel weiß erbauliche Dinge von den
Literaturverhältnissen in der Hölle zu erzählen.
Die härteste Strafe eines Verdammten besteht
darin, daß er die „Abendzeitung“ von Hell und
den „Freimütigen“ Kuhns lesen muß. Shake¬
speare schreibt Erläuterungen zu Franz Horn
(dem Düntzer dieser Zeit). Dante hat den Ernst
Schultze zum Fenster hinausgeschmissen, Horaz
hat die Maria Stuart geheiratet und Schiller
seufzt über den Freiherrn von Auffenberg (der
damals alle historischen Ereignisse versifizierte).
Auch den Gestalten Schillers ist es schlecht genug
ergangen. So hat der Marquis Posa einen
Bierschank eröffnet mit der Aufschrift: Zur
Königin Elisabeth!
Für die bevorstehende Aufführung dieses
Stückes, das jedenfalls nicht fürs Theater ge¬
schrieben worden ist, kann man einige Befürch¬
stungen nicht unterdrücken. Es müßte in einem
rasend schnellen Tempo heruntergespielt werden
und in einem Stile, der wie ein Vorklang zum
Simplicissimus anmutet. In der Hauptsache
aber müßten ohne jede literarische Pietät die
zah'reichen Anspielungen auf die zeit¬
genössische Literatur ausgemerzt und
durch eine aktuelle, allgemeinverständliche
Satire ersetzt werden. Wir haben wahrhaftig
Schriftsteller genug, deren Similitalent den oben
erwähnten Poeten an Bedeutung nicht nachsteht.
Freilich gehört zu solcher Umarbeitung Geist und
Laune!
Mit Grabbe verglichen, sind die Marionetten¬
künste, die Schnitzler in seiner Burleske
„Zum großen Wurstel“ darbietet (Mario¬
netten, Verlag S. Fischer), zahm und maßvoll.
Daß ein Spiel durch die Zuschauer und durch
den Dichter und Direktor fortwährend unter¬
brochen wird, und daß schließlich Personen aus
einem anderen Stück auf die Bühne kommen, ist
nicht neu und von der romantischen Schule —
man denke etwa an Tiecks „Verkehrte Welt“ —
bereits weidlich ausgebeutet. Auch die Gestalt
Sudermanns, der als Räsonneur im Stücke
auftritt, ist hier ohne sonderlichen Witz verwertet.
Gleichwohl vermag man Beziehungen zwischen
Grabbes „Scherz, Satire, Ironie“ und diesem
Wurstlspiel zu entdecken. Beidemal ist es der
Genius der Literatur, der sich gegen das ge¬
schwollene Pathos der hohen Tragödie empört.
Dr. Hans Landsbers-
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