II, Theaterstücke 17, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 0), Marionetten. Drei Einakter, Seite 38

box 22/10
17.4. Marionetten— Zuklus
M
denen vor Jahren seine Anmaßung Leben zu mödie und endet wie eine Farce. Bleibt noch
Kleines Feuilleton.
dichten versuchte. Damals hatte er geglänzt und
immer ein sehr amüsanter Ulk übrig, hinter dem
sich verächtlich mit einem unbedeutenden
hie und da tiefere Bedeutungen lauern. Aber
18 „Marionetten.“
Freunde einen Spaß erlaubt. Ein junges
wer so reich ist wie Schnitzter, gibt nichts, wenn
Mädchen stellte sich nach des Dichters Geheiß,
er nur viel verschenkt. Wir wollen seinen ganzen
Ein neues Buch von Schuitler*) Aber es ist
als ob sie jenen kleinen Musikanten lichte, um
Reichtum.
durchaus der alte Schlißtenin seiner lächelnd
ihn endlich sicher und selbstvertrauend zu machen.
traurigen, kokett wehmütigen und äußerst kulti¬
Im „Großen Wurstel“, dem blinkenden Ab¬
Und nun sieht er die beiden als glückliche Ehe¬
vierten Welt. Es sind seine alten Spiele nach¬
schluß des Bändchens, vergeudet er ihn mit der
leute — ihr Kind, hatte es nicht sein von ihm
denklicher Ironie, die er darin seinen Menschlein
königlichen Freigebigkeit des echten Poeten.
längst vergessener Scherz in die Welt gesetzt? Er Die Leser dieses Blattes gedenken wohl noch mit
zu spielen erlaubt. Amüsant zappeln sie an den
ist sein mittelbarer Vater. Eine bittere Erkennt= Dankbarkeit jenes blendenden Feuerwerks voll
Drähten ihrer Schicksale. Die Drähte läßt des
nis; denn ihm selbst ist später die Geliebte ent¬
leuchtender Rätsel. Es ist ein Schauspiel ohne¬
Dichters tiefsinnige Laune diesmal sichtbar wer¬
glitten, das eigene Kind gestorben, der Geist
gleichen, wie hier ein Dichter sein eigener
den: Marionetten... Menschen werden zu
ausgeraucht, die Kraft auf Irrwegen ermattet,
Parodist wird. Der Puppenspieler hält seinen,
Puppen, Puppen zu Menschen. Spiel wird Ernst,
und nichts
ist
ihm geblieben wie sein
Puppen und sich die große Abrechnung.
und Ernst wird Spiel. Dies war ja immer sein
düster flackernder Hochmut. Aber auch der wird
Während andere Schaffende in jämmerlicher
Leitmotiv. Lügen wandeln sich zur Wahrheit um,
durch dies Wiedersehen ins Herz gestoßen.
Ehrfurcht vor sich zusammenknicken, ist hier die
Gaukelei gewinnt Gewalt und entscheidet unser
Denn er, der mit fremden Schicksalen zu spielen
größte geistige Freiheit. Noch hat kein Dichter
armseliges und doch wunderreiches Leben.
vermeinte, wie ein Kind mit bunten Bällen, hat
so leicht durch seine Geschöpfe und durch sich selbst
Zwischenspiele werden da zum entscheidenden
dabei sein eigenes unwissentlich verspielt. Dies
hindurchgesehen. Sich und sein Werk so fein
Endspiele, der Ruf des Lebens verröchelt als Glück hätte das seine sein können, ja, es war
und so bitter zu verspotten, ist eine schmerzliche
Brunstschrei. Aber dies alles ist, wenn man die
ihm bestimmt. Das Mädchen, das er dem
Kraft, die man nur nach bitteren Enttäuschun¬
Bewegungen der Puppen von obenher ansieht,
Freunde zuteilte, hatte ihn geliebt, hatte auf ihn
gen erwirbt. Wie viele Kunst muß versagt haben
von wo aus sie der Puppenspieler ja lenkt, gar
gewartet. Er kam nicht kommt erst jetzt, ein
oder schon vorher im Dichtergemüt vertrocknet
nicht sehr wichtig. Denn schließlich kommen alle
Erledigter, zu den Glücklichen. Aber er hüllt sich
sein, damit solche selbstinörderische Lustigkeit
Marionetten doch in den alten, dauerhaften
in seinen Stolz wie in einen dichten Mantel, und
entstehen konnte! Unvergleichlich aber, wie
Kasten
flieht wieder ins kalte Leben, das sich so hart
Schnitzler hier über die Auflösung seiner eigenen
Der erste der drei merkwürdigen Akte, die
an dem Harten rächte.
Kunst zur Auflösung jeder Kunst aufsteigt! Wie
Schnitzler in seinen neuen Band gesperrt hat,
Im zweiten Sviel des Buches, in dem „Tap¬
plötzlich die Puppen ihr erborgtes Leben ohne
heißt denn auch „Der Puppenspieler“. Dieses
feren Kassian“, flüchtet sich Artur Schnitzler auch
den Dichter, gegen ihn weiterleben wollen, die
Stück ist still und tief wie ein Bergsee. Unter¬
äußerlich in die Groteske. Das ist offenbar eine
Geschöpfe
gegen den Schöpfer aufstehen:
irdische Quellen der Tragik und Komik fließen
für uns bedeutungsvolle und eine sehr zukunfts¬
Promethidentrotz als graziöser Scherz. Puppen,
hinein. Da ist ein Dichter, dem alles Schreiben
reiche Form. Der Dichter springt über die
die ihre Seelen behalten wollen. Aber da zer¬
tot dünkt, Geräusch von Worten, Makulatur. Er
äußere Wahrscheinlichkeit der Dinge, um zur
schneidet des großen Unbekannten Schwert die
aber will Lebendiges schaffen, und statt
inneren Wahrheit der Idee zu gelangen. So
Drähte. Die Marionetten sind wieder gehorsame
sich an den Schicksalen seiner Traum¬
gewinnt er die Möglichkeit einer lebhaften
Sklaven — bis zu ihrem nächsten Aufstand.
gestalten zu beunruhigen,
erdreistet er
Drastik wieder zurück, die uns seit mehr als
Ueber ihnen aber steht mit nachdenklichem
sich, jene wirklicher Menschen zu
ver¬
einem Jahrhundert über Natur=Imitation ver¬
Lächeln der Dichter, der Puvpenspieler. Findet
wirren und so den Schöpfer zu spielen. Der
loren gegangen war. In der Tat hat der „Tap¬
mit spöttischem Ernst und kühler Weisheit den
Zufall — mit diesem Worte überbrücken wir
fere Kassian“ eine fast balladenhafte Bildlichkeit.
Sinn ihrer Leiden und Freuden, die sonder¬
leichtbeherzt den Abgrund zwischen unserer
Eine Illustration der Frauentreue, wie etwa die
baren Verwicklungen ihrer Schicksale. Und setzte
armen Einsicht und verborgenen Gesetzen
alte Erzählung von der „Witwe von Ephesus“.
vor ein Werk, das den Extrakt seines Schaffens
bringt ihn in das Haus zweier Menschen, an
Nur fehlt seiner Phantastik die tiefere Bedeutung,
enthält, mit der stolzen Bescheidenheit, die nur
seinen burlesken Spässen der Mut der äußersten
die Echten und Eigenen haben, den Titels
*) S. Fischer, Verlag, Berlin.
Unwahrscheinlichkeit. Er beginnt wie eine Ko= „Marionetten“...
Dr. Ludwig Bauer.