II, Theaterstücke 17, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 0), Marionetten. Drei Einakter, Seite 46

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17.4. Marionetten Zyklus
L


wieder empor; hier schon mit einem starken Bewußt= handen gekommen oder doch irgendwie entkräftet, auflösender Witz, diesmal stärker und schneller als“
sein ihrer Funktion, indem sie gewisse künstlerische vom Schicksal zerschmettert worden. Um die toten sie, führt uns rasch darüber hinaus ins dramatisch
Brocken spinnt er allerlei stolzen Wahn, läßt feine Leere. Deutlicher hätte sich der direkte Weg vom
Cebilde als einen Mißbrauch am Leben denunziert.
Gedanken einfam und abseits wuchern und treiben,
Tragischen zum Wurstelstück wohl kaum demonstrieren
Das richtige hohnvolle Satyrspiel zu den wirklich
lassen.
setzt sie an Stelle von Taten. Er bildet sich ein,
„Lebendigen Stunden". Der Satz: „Wer einen
Im „Tapferen Cassian“ ist dann schon alles
Schicksale anderer anrichten und einrichten zu
„Nero“ schreiben will, der muß Rom doch wenigstens
einleuchtend Menschliche ausgestrichen; die literari¬
können; aber gegen sein eigenes Schicksal hat er
innerlich angezündet haben“, ist ein grausamer
schen Marionetten werden nicht mehr erklärt, sondern
keine Wehr. Der Puppenspieler=Wahn hat ihn selbst
Künstlerwitz, in dessen grundlose Tiefe der psycholo¬
einfach vorausgesetzt. Die Puppen agieren, ohne zu
zur lebendigen Puppe gemacht. Unter Menschen,
gische Kredit vieler, vieler Dichter auf Nimmer¬
wissen, wie und warum, ohne zu fragen, von wein
wiedersehn zu stürzen droht. Nun, ganz so bös ist es die noch das Geringste wollen können — und wäre
es nur ihr Kind erziehen und ihren Tisch bestellen —
sie gehalten und gelenkt sind. Der feine Puppen¬
wohl nicht gemeint. Denn der dieses Wort im Stück
spieler Schnitzler hat ihnen nette Kostüme angezogen,
ausspricht, sagt es nicht etwa, weil es seine heilige, ist sein Platz nicht. Seine unentbehrliche Lüge, die
hat für bewegte Anmut und für ausgiebigen Spaß
wenn auch törichte Ueberzeugung, sondern weil es weiten Worte, die er für seinen Willen eingesetzt hat,
gesorgt. Ausgiebiger Spaß auf der Wurstelbühne
ziehen ihn wie mit mechanischer Gewalt durch die
seine notwendigste Lüge ist. Er kann (künstlerisch)
heißt aber, wenn einer vom andern erschlagen wird;
große und die kleine Welt, und jede Welt erscheint
sonst gor nicht leben; er fällt willenlos zusammen,
das geschieht denn auch. Ohne viel Umstände und
ihm immer nur mehr als eine Bühne voller Figuren,
eine leere Puppe. Erst an dem Wort „innerlich“,
moralische Begründung, aber nicht ohne tiefere
an denen er sich versuchen muß. Immer sieht er
an dieser Lüge von den unbegrenzten Möglichkeiten
Wurstelweisheit. Der Witz wird vom Aberwitz, die
geistig=seelischen Erlebens, zieht er sich mechanisch sich unter Marionetten, und will nicht merken, daß
Intelligenz von der Impertinenz abgestochen. Wer
nur er selbst zur Marionette verflucht ist, die, an
wie an einem Draht empor, zappelt lustig herum,
sich mehr vermißt, der kann mehr, das Glück ist bei
ein paar fixe Ideen gehängt, ihre spärlichen und
zündet auf seine ungefährliche Art Rom an und
der kräftigen Frechheit. Und das Schicksal, dessen
gleichgültigen Bewegungen ohue inneren Antrieb
schreibt gewiß noch seinen „Nero". Er ist durchaus
Marionetten wir sind, sagt Ja und Amen dazu. Sei
weitermimt.
ein psychologischer Wurstel; die erste richtige Mario¬
Nebenbei: Hier war eine Tragödie, noch dazu reich, sei geliebt, sei im Glück. Was nützt es Dir?
nette, die Arthur Schnitzler erfunden hat.
Im nächsten Moment vielleicht schon wird au irgend
Andre kamen nach. Und dann wurden drei dieser eine sehr echte und großartige, nämlich die Zer¬
einem verhängnisvollen Draht der stärkere Wurstel
kleinen, geistreich nachdenklichen Scheindramen zu störung eines starken Willens durch das Schicksal.
mit dem stärkeren Prügel heraufgezogen. Er haut
Und der Keim der Zerstörung lag in der Hybris,
einem Theaterabend vereinigt. Darin ist sehr lehr¬
Dir eins über den Kopf, nimmt alles was Dein war,
der Ueberhebung dieses Willens, die der übergeord¬
reich zu verfolgen, wie die künstlerisch=kritische Ver¬
läßt dich liegen und geht. Auf einmal bist du nun
nete Gesamtwille (Gesetz der Entwicklung oder mora¬
neinung der Willenskraft und Willensfreiheit schritt¬
weise aus der Gebundenheit exakter Seelenforschunglisches Gleichgewicht oder Untergang des Einzelnen bettelarm, mutterseelenallein, steinunglücklich oder
zur ausgelassenen Wurstelidee befreit wird. Ich weiß im Ganzen; das ist eben des Dichters persönliche gar mausetot. Arme Marionetten! Was können die
von ihrem Leben wissen!
nicht, ob diese Anordnung der drei Stücke mit der Sache) nicht dulden durfte. Also eine moderne Tra¬
Ja, was können wir von unserm Leben wissen?
Folge ihrer Entstehungszeiten übereinstimmt, aber gödie mit antikem Motiv; eine der schönsten und
Was bereutet alles das, was uns die Dichter davon
ihrem Verhältnis zur gemeinsamen Grundanschauung stolzesten Aufgaben für einen heutigen Dichter. Aber
was wir davon haben, ist ein Epilog. Hier ist nur sagen? Wissen sie es selber ganz genau? Ihre
eitspricht sie sicherlich. „Der Puppenspieler“ unter¬
das vernichtende Ergebnis jener Kritik am Willen Menschen — sind das wir, oder sind sie es selber,
nimmt es noch, das Bild eines wirklichen Menschen
oder sind es ganz fremde Geschöpfe, die dann aufe
zu geben. Er wird vom fanatischen Glauben an des Menschen, die das Drama selbst dargestellt hätte.
seinen Willen aufrecht gehalten und durchs Leben Die Phantasie des Dichters hat sich ein wertvolles einmal unter uns herumlaufen, als wären sie leben¬
gelenkt Aber der Wille selbst ist ihm längst ab= vielbedeutendes Menschenbildnis geschaffen; aber sein dig wie wir. oder als wären wir Puppen wie sie ?
e
Hier kehrt sich das Marionettenstück schon mit voll¬ Wurst
stem Bewußtsein gegen das psychologische Drama, ein a
dessen entfremdetes Schreckenskind es ist. Alle diese übrig
schnei
Fragen und mehr von ihrer Art stürzen im letzten
auf
der drei Puppenspiele: „Zuin großen Wurstel“!
Kom
ratlos durcheinander und finden keine Antwort.
Natürlich, denn die literarische Wurstelkomödie ist was
am
ja aus den Fragen erwachsen, auf die es keine Ant¬
irgen
wort gibt. Und alle versuchten Antworten und Er¬
klärungen, absichtsvolles Gestalten, plumpe oder
feine Beziehung zum Nahen und Weiten, lacht sie
nette
als sinn= und zwecklos hinweg. So kommen denn nicht
dreie
nur der Dichter selbst und seine Gestalten, sondern
leiten
auch Direktor und Publikum und fremdes Dichter¬
Wur
werk als Marionetten unter die Marionetten. Zwei
szeni
scharf gep, von andern geschaffene Figuren,
reinls
aften Wurstelgedanken am nächsten
die dem
gut
zur Hand sein mußten, kommen zu Gast: Bahrs
in 5
Meister, der das Wort vom Wurstel ja
selbst gern im Munde führt und dessen tragischer
Intik
Grundzug eben jene Hybris des persönlichen Willens
schla
ist, die, über ihren dramatischen Höhepunkt hinaus¬
schen
geführt, direkt in das Marionettenhafte abstürzen
eben
müßte, und Beer=Hofmanns Graf von Charolais,
Stügh
den ein öffentlicher Irrtum für puppenhaft willenlos
gedr
und ohne Charakter erklärt hat, bloß, weil er von
Anfang an wissentlich unter Notwendigkeiten steht,
diese
die stärker sind als er. (In der hiesigen Auf¬
viell
führung wurden diese beiden Figuren begreiflicher
wen
Weise weggelassen.) Zuletzt aber kommt der große
gluch
Unbekannte der Geist der Entwicklung, die Wahr¬
frisch
heit, die wir heute ewig glauben, das Positive, das
jung
wir jetzt suchen, das Gewissen der nächsten Kultur.
Dieser Letzte und Mächtigste unter allen haut die