eere
einen neuen Zyklus dar. Sie muten an wie sein
ausgeführte Radierungen, die ein Meister der bilden¬
den Kunst in seiner Mappe vereinigt. Jeder einzelne
von ihnen hat bereits an dieser Stelle seine
Würdigung erfahren, heute sei nur noch dem
gemeinsamen Leitmotiv, das sie durchklingt, ein
Wort gewidmet. Die „Marionetten“ können als eine
zweite Folge jener Einakter genommen werden, die
in den Neunzigerjahren zuerst vom Burgtheater auf¬
geführt worden sind. Wie „Paracelsus“, die Ge¬
fährtin" und „Der grüne Kakadu“ sind sie der Aus¬
druck des Lebensbildes, das dem Dichter vorschwebt.
Schnitzler ist ein Poet des Skeptizismus. Diese seine
Anschauung kleidet er in tiefernste Formen, aber er
läßt sie auch in Schilderungen von sihwermütiger
Anmut emporsteigen, oder er bettet sie in eine tolle
Groteske ein, wo erst ein bedeutsames Schlußwort
die Gesinnung des Dichters ausspricht. Gerne gestattet
er sich die uns vertraute Wiener Note, jene bezeich¬
nende Mischung von Sentimentalität und Selbst¬
ironie. Woran knüpft sich, so fragt er, aller Wille,
alle Hoffnung des Menschen? An Ziele, die er
keineswegs klar zu erkennen vermag, die ihm aber
in scheinbarer Deutlichkeit vorschweben. Und dies ist
sein Verhängnis. Das Wesen der Dinge bleibt ihm
unbekannt. Er lebt, strebt und wandelt in einem
dichten Nebel der Täuschungen, vorwärts getrieben
von blinder Leidenschaft, bis irgend ein Erlebnis,
eine Erfahrung vielleicht für einen Augenblick den
Schleier zerreißt und ihn Wahrheit, zumeist traurige
Wahrheit, ahnen läßt. Keiner, auch nicht der Beste,
der Stärkste, der am schärfsten Sehende, steht über
diesem Banne, der aller Sterblichen Schicksal bedeutet.
Vielleicht sind jene, die sich über solche Täuschungs¬
möglichkeit erhaben glauben, am schlimmsten dran.
Auch sie wissen nichts, aber sie glauben zu wissen.
Sie trifft jener Augenblick, da sie ihres Irrtums inne
werden, am schmerzlichsten. Dies ist das Los
des „Puppenspielers“. Da hat es der arme
Junge noch besser, den sein unbedenklicher Vetter, der
tapfere Kassian, niederstreckt. Der freche Knabe hatte
bisher im unbekümmten Gefühl seiner Jugendherrlich¬
keit die schönsten, üppigsten Träume von einer nahen
Erfüllung heißer Wünsche. Nun wird er rasch zu
Boden gefällt, und ihm bleiben nur wenige Augen¬
blick übrig, um der Hinfälligkeit seines Glückes be¬
wußt zu werden. Die Groteske „Zum großen Wurstel“
schüttelt einen ganzen großen Korb zappelnder
Menschlein aus. Schaulustiges, buntes Prater¬
Jublikum, Marionetten find's, wie die Steifen
da oben, die in der Bude vorgeführt werden. Vielleicht
nicht einmal so beweglich wie die bemalten Dinger,
die der schüchterne Dichter zusammengestellt. Sie werden
auch schließlich untereinander gemengt, nachdem die
Gestalt des Todes ihr schreckhaftes Wort ausgesprochen.
Aber der Spuk geht weiter. Ein Phantom schreitet
über die Bühne, das ein letztes Weisheitswort ver¬
kündet, vom täuschenden Schein, der uns alles
vorlügt, uns, die wir vielleicht auch nichts weiter
sind als Schein... Bezüglich dieses letzten Ein¬
akters wäre der Aufführung kräftigere Zu¬
sammenfassung zu wünschen gewesen. Das Ganze
machte den Eindruck des Fahrigen, und das Publikum
schien den Mut zu verlieren, weiterhin Gefolgschaft
zu leisten. Die Darstellung des „Tapferen Kassian“
opferte manche starke Wirkung, um den Schein des
Marionettenhaften festzuhalten. Die ungetreue Schöne
(Frau Glöckner) kam dabei recht schlecht weg. „Der
Puppenspieler“ ist eine der bedeutendsten Leistungen
des Herrn Kramer. Die Gestalt, die er hier ge¬
schaffen hat, liegt weitab von der ziemlich eintönigen
Galerie seiner Salonhelden. Sie zeigte feines, liebe¬
vollstes Erfassen und ein nicht gewöhnliches Ver¬
mögen der Darstellung. Die Vorstellung hat eine
recht beifällige Aufnahme gefunden wenn auch
zuweilen eine Außerung der Opposition laut würde.
Der Dichter konnte wiederholt vor der Rampe er¬
F. Zw.
scheinen.
Tnleago, Eieveland, Chrisuatk,
#n, London, Madrid, Mailand, Minncapelle.
new: Fork, Paris, Rom, San Francisco, Stockholm, Sä. Petess¬
burg, Toronto.
(Quellenangabe euse Geuden.
Ausschnitt aus:
Miendr Mltage. Zeitung
LFER1914
181
(Deutsches Volkstheater.) Woran es
lag, daß Schnitzlers „Marionetten“ hier zerbrachen?
Vielleicht daß dem Gros des Publikums, das erwartungs¬
voll zu einem Schnitzler=Abend gekommen war, lüstern nach
liebelnden Ironismen und Sentimentalitäten, nach dem
launigen Schnörkelspiel eines überlegenen Geistes, diese
Monotonie der dreifachen Drahttechnik, des eckigen, zapp¬
ligen Puppentanzes nicht behagte; vielleicht daß die grobe
Objektivität des Theaters den seinen Hauch zerstäubte;
vielleicht auch war das Premierenpublikum dieser Bühne
von Traum= und Geisterspielen schon übersättigt; genug.
die „Marionetten“ zerbrachen. „Der Puppenspieler“
hatte noch Leben; in den beiden Gestalten des Oboe¬
spielers und seiner Frau, von Herrn On=no und Erika
v. Wagner mit sanft gedrungener Künstlerschaft ver¬
körpert, war jenes leise, unbewußte Menschentum zu spüren,
das über geheime Welträtsel sacht und sicher hinweg¬
schreitet; dem Merklin des Herrn Krammer fehrten die
Schauer der Seelentiefe. Im „Tapferen Cassian“
hielt nur Frau Glöckner durch ihre possierliche parodisti¬
sche Laune den sinnigen Scherz aufrecht, alles sonst ward
zerklappert, zerstampft. Und die höhnisch aus allen Ecken
grinsende Burleske „Zum großen Wurstel"—ward
zum Praterbudenakt, in dem nur noch die Tschinellen der
Damenkapelle fehlten. Ein charakteristisches Symptom: daß
den malkontenten Herrn aus dem Publikum viele für echt
nahmen.
einen neuen Zyklus dar. Sie muten an wie sein
ausgeführte Radierungen, die ein Meister der bilden¬
den Kunst in seiner Mappe vereinigt. Jeder einzelne
von ihnen hat bereits an dieser Stelle seine
Würdigung erfahren, heute sei nur noch dem
gemeinsamen Leitmotiv, das sie durchklingt, ein
Wort gewidmet. Die „Marionetten“ können als eine
zweite Folge jener Einakter genommen werden, die
in den Neunzigerjahren zuerst vom Burgtheater auf¬
geführt worden sind. Wie „Paracelsus“, die Ge¬
fährtin" und „Der grüne Kakadu“ sind sie der Aus¬
druck des Lebensbildes, das dem Dichter vorschwebt.
Schnitzler ist ein Poet des Skeptizismus. Diese seine
Anschauung kleidet er in tiefernste Formen, aber er
läßt sie auch in Schilderungen von sihwermütiger
Anmut emporsteigen, oder er bettet sie in eine tolle
Groteske ein, wo erst ein bedeutsames Schlußwort
die Gesinnung des Dichters ausspricht. Gerne gestattet
er sich die uns vertraute Wiener Note, jene bezeich¬
nende Mischung von Sentimentalität und Selbst¬
ironie. Woran knüpft sich, so fragt er, aller Wille,
alle Hoffnung des Menschen? An Ziele, die er
keineswegs klar zu erkennen vermag, die ihm aber
in scheinbarer Deutlichkeit vorschweben. Und dies ist
sein Verhängnis. Das Wesen der Dinge bleibt ihm
unbekannt. Er lebt, strebt und wandelt in einem
dichten Nebel der Täuschungen, vorwärts getrieben
von blinder Leidenschaft, bis irgend ein Erlebnis,
eine Erfahrung vielleicht für einen Augenblick den
Schleier zerreißt und ihn Wahrheit, zumeist traurige
Wahrheit, ahnen läßt. Keiner, auch nicht der Beste,
der Stärkste, der am schärfsten Sehende, steht über
diesem Banne, der aller Sterblichen Schicksal bedeutet.
Vielleicht sind jene, die sich über solche Täuschungs¬
möglichkeit erhaben glauben, am schlimmsten dran.
Auch sie wissen nichts, aber sie glauben zu wissen.
Sie trifft jener Augenblick, da sie ihres Irrtums inne
werden, am schmerzlichsten. Dies ist das Los
des „Puppenspielers“. Da hat es der arme
Junge noch besser, den sein unbedenklicher Vetter, der
tapfere Kassian, niederstreckt. Der freche Knabe hatte
bisher im unbekümmten Gefühl seiner Jugendherrlich¬
keit die schönsten, üppigsten Träume von einer nahen
Erfüllung heißer Wünsche. Nun wird er rasch zu
Boden gefällt, und ihm bleiben nur wenige Augen¬
blick übrig, um der Hinfälligkeit seines Glückes be¬
wußt zu werden. Die Groteske „Zum großen Wurstel“
schüttelt einen ganzen großen Korb zappelnder
Menschlein aus. Schaulustiges, buntes Prater¬
Jublikum, Marionetten find's, wie die Steifen
da oben, die in der Bude vorgeführt werden. Vielleicht
nicht einmal so beweglich wie die bemalten Dinger,
die der schüchterne Dichter zusammengestellt. Sie werden
auch schließlich untereinander gemengt, nachdem die
Gestalt des Todes ihr schreckhaftes Wort ausgesprochen.
Aber der Spuk geht weiter. Ein Phantom schreitet
über die Bühne, das ein letztes Weisheitswort ver¬
kündet, vom täuschenden Schein, der uns alles
vorlügt, uns, die wir vielleicht auch nichts weiter
sind als Schein... Bezüglich dieses letzten Ein¬
akters wäre der Aufführung kräftigere Zu¬
sammenfassung zu wünschen gewesen. Das Ganze
machte den Eindruck des Fahrigen, und das Publikum
schien den Mut zu verlieren, weiterhin Gefolgschaft
zu leisten. Die Darstellung des „Tapferen Kassian“
opferte manche starke Wirkung, um den Schein des
Marionettenhaften festzuhalten. Die ungetreue Schöne
(Frau Glöckner) kam dabei recht schlecht weg. „Der
Puppenspieler“ ist eine der bedeutendsten Leistungen
des Herrn Kramer. Die Gestalt, die er hier ge¬
schaffen hat, liegt weitab von der ziemlich eintönigen
Galerie seiner Salonhelden. Sie zeigte feines, liebe¬
vollstes Erfassen und ein nicht gewöhnliches Ver¬
mögen der Darstellung. Die Vorstellung hat eine
recht beifällige Aufnahme gefunden wenn auch
zuweilen eine Außerung der Opposition laut würde.
Der Dichter konnte wiederholt vor der Rampe er¬
F. Zw.
scheinen.
Tnleago, Eieveland, Chrisuatk,
#n, London, Madrid, Mailand, Minncapelle.
new: Fork, Paris, Rom, San Francisco, Stockholm, Sä. Petess¬
burg, Toronto.
(Quellenangabe euse Geuden.
Ausschnitt aus:
Miendr Mltage. Zeitung
LFER1914
181
(Deutsches Volkstheater.) Woran es
lag, daß Schnitzlers „Marionetten“ hier zerbrachen?
Vielleicht daß dem Gros des Publikums, das erwartungs¬
voll zu einem Schnitzler=Abend gekommen war, lüstern nach
liebelnden Ironismen und Sentimentalitäten, nach dem
launigen Schnörkelspiel eines überlegenen Geistes, diese
Monotonie der dreifachen Drahttechnik, des eckigen, zapp¬
ligen Puppentanzes nicht behagte; vielleicht daß die grobe
Objektivität des Theaters den seinen Hauch zerstäubte;
vielleicht auch war das Premierenpublikum dieser Bühne
von Traum= und Geisterspielen schon übersättigt; genug.
die „Marionetten“ zerbrachen. „Der Puppenspieler“
hatte noch Leben; in den beiden Gestalten des Oboe¬
spielers und seiner Frau, von Herrn On=no und Erika
v. Wagner mit sanft gedrungener Künstlerschaft ver¬
körpert, war jenes leise, unbewußte Menschentum zu spüren,
das über geheime Welträtsel sacht und sicher hinweg¬
schreitet; dem Merklin des Herrn Krammer fehrten die
Schauer der Seelentiefe. Im „Tapferen Cassian“
hielt nur Frau Glöckner durch ihre possierliche parodisti¬
sche Laune den sinnigen Scherz aufrecht, alles sonst ward
zerklappert, zerstampft. Und die höhnisch aus allen Ecken
grinsende Burleske „Zum großen Wurstel"—ward
zum Praterbudenakt, in dem nur noch die Tschinellen der
Damenkapelle fehlten. Ein charakteristisches Symptom: daß
den malkontenten Herrn aus dem Publikum viele für echt
nahmen.