Theater, Kunst. Musik.
Deutsches Volkstheater. Zum ersten Male:
„Marionetten“
Drei Ejnakter von Artur
Schnitzler. —Ein interbssanter, gemischter Abend,
der im Zuschauer gemischte, Gefühle weckt. Die drei Stücke
sind sehr ungleich an Wert. Das nach Durchschnittsbe¬
griffen normalste und beste Stück, war das arste die
hübsche Charakterstudie „Der
Puppenspieler“.
Zwei Studienfreunde treffen sich
nach vielen Jahren
wieder. Der Eine, einst ein scheuer Unglücksvogel, lebt
jetzt mit Weib und Kind in behaglich bürgerlichem Wohl¬
stand; der Andere, einst als Genie nach höchsten Zielen
strebend, streift jetzt als Verschollener durch die Welt,
zwar ein armer Arbeiter, aber ein innerlich freier, der in
stolzestem Künstlerbewußtsein mit dem Leben spielt.
Die Menschen sind und waren Marionetten seines Willens.
Auch das Eheglück seines Freundes Eduard, den er eben¬
zufällig traf, hat er vor Jahren so begründet. Daß sich
Anna und Eduard fanden, war das Werk seiner Laune.
Das Familienglück des Freundes und des Mädchens, dessen
Liebe er einst von sich auf den andern lenkte, ist die Zu¬
fallsfrucht seines spielerischen Experimentes, das zugleich
ihn selbst in die Fremde, in die Armut, aber — in die
Freiheit führte. Menschen seiner Art müssen frei sein
und philosophisch mit dem Leben spielen. — Diese Szenen¬
folge ist ein wirklich fein ausgearbeitetes Charakterbild
von guter Bühnenwirkung. Und Kramer verlieh der
Gestalt dieses idealistischen Phantasten lebendige Wirk¬
lichkeit und kräftiges Interesse. — Viel, viel schwächer
war der folgende Einakter „Der tapfere Kassian.
Ein Puppenspiel“. Der Musikus und Luftikus
Martin will die Stadt verlassen. Sein Liebchen Sofie be¬
schwört ihn, treu zu bleiben. Aber kaum kommt Martins
Vetter Kassian, der bramarbasierende miles gloriosus, so
stürzt sich Sofie dem Herkules an den Hals und zum
Schluß zum Fenster hinaus. — Diese Verspottung eines
unzählige Male abgedroschenen Dramenmotives wird von
Edthofer, Glockner und Homma gespielt, aber
ganz im Stile des Puppentheaters, mit all der maschi¬
nellen, hölzernen Steifheit und Wackeligkeit, wie sie bei
wirklichen Puppen zu sehen ist. Ein paar spaßhafte Einzel¬
heiten kamen bei diesem originellen Experiment heraus.
Aber mehr war es nicht. Bloß eine kuriose Idee, eine
Künstlerlaune, ein lustiger Einfall. Sonst nichts. —
Be¬
deutungsvoller und merkwürdiger war das dritte Stück,
die Burleske „Zum großen Wurstel“. Eine Menge
literarischer Erinnerungen tauchten einem bei diesem
Einakter auf. Das alte, immer neue Motiv von der Bühne
auf der Bühne, ins Wienerische, ins Praterleben über¬
tragen: eine Praterbude; Wiener Volkstypen bei Würstl!
und Bier als naive oder kritische Zuschauer eines Mario¬
nettenspiels. Die Marionetten, die das kraßvolkstümliche
„Volksstück“ aufführen, sind gleich dem Publikum die
Schauspieler des Volkstheaters. In gruppenartigen Ko¬
stümen und mit sichtbaren Drähten agieren sie wie wirk¬
liche Marionetten auf ihrer Miniaturbühne. Das Publi¬
kum spielt bald mit. Es kommt zu erregtem Meinungs¬
austausch. Der Tod als „Wurstl“ erhöht die Span¬
nung. Da springt ein Herr im Parkett, nämlich
im wirklichen Parkett, wütend auf und fängt über das
Stück zu schimpfen an. Aber das ist nur Bluff; es gehört
mit in die ganze Burleske
genau so, wie in dem be¬
kannten Volksstück Er und seine Schwester“ Zum Schluß
werden die Marionetten spuckhaft lebendig und beginnen
einen grausigen Tanz, daß dem „Dichter dieses Stücks
die Haare sich sträuben. Da, im allgemeinen Schreck, ver¬
dunkelt sich die Bühne und ein dämonisch umstrahlter Un¬
bekannter durchhaut mit seinem Schwerte die Fäden
der rebellischen Marionetten,
die
jetzt plötzlich
umfallen. Mit diesem Schwerthieb
erklärt der
Geisterhafte, erprobt er,
ob
es
Puppen
oder
nur Menschen sind, die auf der Weltbühne agieren. Und
bedeutungsvoll schwinat er das Schwert auch über das
Publikum des Hauses hin, das freilich nicht umfällt.
So endet in mystisch=dämonischer Metaphysik diese Burleske.
Die Aehnlichkeit mit Tieckschen Stücken und die echt
romantische Vermengung von Bühne und Publikum liegt
auf der Hand. Die Wirkung dieser grotesken, mit tausend
Mitteln nach Effekt haschenden metaphysischen Burleske
war konfus. Endlich übertönte kompakter Beifall das
Zischen und Pfeifen. Ein Kunstgenuß war der Abend
nur zum kleineren Teile. Das Uebrige war bloß Experi¬
ment. Und dafür sind Bühne und Publikum“ nicht da.
Telephon 12.801.
„ODSERVEN
I. öaterr. beh. konz. Unternehmen für Zeilangs¬
Ausschnitte und Sibilographie.
Wien, I., Conoordiaplatz 4.
Vertretungen
in Berlin, Brüssel, Budapest, Chicago, Geveland, Christiania.
Oent, Kopenhagen, London, Madrid, Mafland, Minneapeila,
New-Terk, Paris, Rom, San Francisco, Stockholm, St. Peters¬
burg, Toronto.
rnhue
Ansechaltt aus (llustrirte Erenen-Zeitung, Wies
S
Sheater und Kunn.
(Deutsches Volkstheater.) Ein Schnitzler=s
Abend. Die drei Einakter „Der Puppenspieler „Der
tapfere Cassian und „Zum großen Wurstel“
die durch ein Leitmotiv (das Schicksal spielt mit den Menschen
wie mit Marionetten) zusammengehalten werden, wurden
gestern zum erstenmale im Volkstheater gespielt. Jarno hat
schon das erste und das dritte Stück an seinen literarischen
Abenden auf dem Theater mit Wirkung erprobt. Im Deutschen
Volkstheater stand das Publikum mertwürdiger Weise der
geistreichen Spielerei des tapferen Cassian und der entzücken¬
den feinsinnigen Praterwurstel=Komödie etwas befremdet und
fast animos gegenüber, und es meldete sich sogar an dem
Schnitzler=Abend eine Opposition, die tatsächlich den Erfolg be¬
einträchtigte. Die geteilte Aufnahme spricht dafür, daß die
Spiele, mit Ausnahme des ersten Aktes, eigentlich nicht aufs
Theater gehören. Das Volkstheater bereitete den Marionetten¬
Spielen eine sehr würdige Aufführung und besonders Herr
Kramer versuchte durch eine verständige und fleißige Regie
sich dem Dichter nützlich zu erweisen.
Telephon 12.801.
„OSSERVEN
I. österr. beh. konz. Unternehmen für Zeitungs
Ausschnitte und Bibllographie.
Wien, I., Conoordiaplats 4.
Vertretungen
in Bortin, Brüssel, Budapest, Chicago, Ceveland, Christiania,
Kopenhagen, London, Madrid, Mailand, Minnespolts,
We#-Verk, Paris, Rom, San Francisco, Stockholm, St. Pesess¬
burg, Toronte.
(Quellenangebe ## deser.
Kusschnitt aus:
Neue Badische Landes Zeitung
7 2. 1912.
Mannheim
1
Masken“ in Wien). Unser Wiener
Korzelmleneetegraphiert:
*Das Deutsche Volkstheater brachte am Sams¬
tag abend drei Einakter von Arthur Schnitzler, die
unter dem Gesamttitel „Marionetten“ vereinigt sind,
heraus. Zwei davon hatte Jamo bereits gegeben. Die
Aufnahme war flau, denn die Sentimentalität der kleinen
Stücke wirkte lästig.
Deutsches Volkstheater. Zum ersten Male:
„Marionetten“
Drei Ejnakter von Artur
Schnitzler. —Ein interbssanter, gemischter Abend,
der im Zuschauer gemischte, Gefühle weckt. Die drei Stücke
sind sehr ungleich an Wert. Das nach Durchschnittsbe¬
griffen normalste und beste Stück, war das arste die
hübsche Charakterstudie „Der
Puppenspieler“.
Zwei Studienfreunde treffen sich
nach vielen Jahren
wieder. Der Eine, einst ein scheuer Unglücksvogel, lebt
jetzt mit Weib und Kind in behaglich bürgerlichem Wohl¬
stand; der Andere, einst als Genie nach höchsten Zielen
strebend, streift jetzt als Verschollener durch die Welt,
zwar ein armer Arbeiter, aber ein innerlich freier, der in
stolzestem Künstlerbewußtsein mit dem Leben spielt.
Die Menschen sind und waren Marionetten seines Willens.
Auch das Eheglück seines Freundes Eduard, den er eben¬
zufällig traf, hat er vor Jahren so begründet. Daß sich
Anna und Eduard fanden, war das Werk seiner Laune.
Das Familienglück des Freundes und des Mädchens, dessen
Liebe er einst von sich auf den andern lenkte, ist die Zu¬
fallsfrucht seines spielerischen Experimentes, das zugleich
ihn selbst in die Fremde, in die Armut, aber — in die
Freiheit führte. Menschen seiner Art müssen frei sein
und philosophisch mit dem Leben spielen. — Diese Szenen¬
folge ist ein wirklich fein ausgearbeitetes Charakterbild
von guter Bühnenwirkung. Und Kramer verlieh der
Gestalt dieses idealistischen Phantasten lebendige Wirk¬
lichkeit und kräftiges Interesse. — Viel, viel schwächer
war der folgende Einakter „Der tapfere Kassian.
Ein Puppenspiel“. Der Musikus und Luftikus
Martin will die Stadt verlassen. Sein Liebchen Sofie be¬
schwört ihn, treu zu bleiben. Aber kaum kommt Martins
Vetter Kassian, der bramarbasierende miles gloriosus, so
stürzt sich Sofie dem Herkules an den Hals und zum
Schluß zum Fenster hinaus. — Diese Verspottung eines
unzählige Male abgedroschenen Dramenmotives wird von
Edthofer, Glockner und Homma gespielt, aber
ganz im Stile des Puppentheaters, mit all der maschi¬
nellen, hölzernen Steifheit und Wackeligkeit, wie sie bei
wirklichen Puppen zu sehen ist. Ein paar spaßhafte Einzel¬
heiten kamen bei diesem originellen Experiment heraus.
Aber mehr war es nicht. Bloß eine kuriose Idee, eine
Künstlerlaune, ein lustiger Einfall. Sonst nichts. —
Be¬
deutungsvoller und merkwürdiger war das dritte Stück,
die Burleske „Zum großen Wurstel“. Eine Menge
literarischer Erinnerungen tauchten einem bei diesem
Einakter auf. Das alte, immer neue Motiv von der Bühne
auf der Bühne, ins Wienerische, ins Praterleben über¬
tragen: eine Praterbude; Wiener Volkstypen bei Würstl!
und Bier als naive oder kritische Zuschauer eines Mario¬
nettenspiels. Die Marionetten, die das kraßvolkstümliche
„Volksstück“ aufführen, sind gleich dem Publikum die
Schauspieler des Volkstheaters. In gruppenartigen Ko¬
stümen und mit sichtbaren Drähten agieren sie wie wirk¬
liche Marionetten auf ihrer Miniaturbühne. Das Publi¬
kum spielt bald mit. Es kommt zu erregtem Meinungs¬
austausch. Der Tod als „Wurstl“ erhöht die Span¬
nung. Da springt ein Herr im Parkett, nämlich
im wirklichen Parkett, wütend auf und fängt über das
Stück zu schimpfen an. Aber das ist nur Bluff; es gehört
mit in die ganze Burleske
genau so, wie in dem be¬
kannten Volksstück Er und seine Schwester“ Zum Schluß
werden die Marionetten spuckhaft lebendig und beginnen
einen grausigen Tanz, daß dem „Dichter dieses Stücks
die Haare sich sträuben. Da, im allgemeinen Schreck, ver¬
dunkelt sich die Bühne und ein dämonisch umstrahlter Un¬
bekannter durchhaut mit seinem Schwerte die Fäden
der rebellischen Marionetten,
die
jetzt plötzlich
umfallen. Mit diesem Schwerthieb
erklärt der
Geisterhafte, erprobt er,
ob
es
Puppen
oder
nur Menschen sind, die auf der Weltbühne agieren. Und
bedeutungsvoll schwinat er das Schwert auch über das
Publikum des Hauses hin, das freilich nicht umfällt.
So endet in mystisch=dämonischer Metaphysik diese Burleske.
Die Aehnlichkeit mit Tieckschen Stücken und die echt
romantische Vermengung von Bühne und Publikum liegt
auf der Hand. Die Wirkung dieser grotesken, mit tausend
Mitteln nach Effekt haschenden metaphysischen Burleske
war konfus. Endlich übertönte kompakter Beifall das
Zischen und Pfeifen. Ein Kunstgenuß war der Abend
nur zum kleineren Teile. Das Uebrige war bloß Experi¬
ment. Und dafür sind Bühne und Publikum“ nicht da.
Telephon 12.801.
„ODSERVEN
I. öaterr. beh. konz. Unternehmen für Zeilangs¬
Ausschnitte und Sibilographie.
Wien, I., Conoordiaplatz 4.
Vertretungen
in Berlin, Brüssel, Budapest, Chicago, Geveland, Christiania.
Oent, Kopenhagen, London, Madrid, Mafland, Minneapeila,
New-Terk, Paris, Rom, San Francisco, Stockholm, St. Peters¬
burg, Toronto.
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S
Sheater und Kunn.
(Deutsches Volkstheater.) Ein Schnitzler=s
Abend. Die drei Einakter „Der Puppenspieler „Der
tapfere Cassian und „Zum großen Wurstel“
die durch ein Leitmotiv (das Schicksal spielt mit den Menschen
wie mit Marionetten) zusammengehalten werden, wurden
gestern zum erstenmale im Volkstheater gespielt. Jarno hat
schon das erste und das dritte Stück an seinen literarischen
Abenden auf dem Theater mit Wirkung erprobt. Im Deutschen
Volkstheater stand das Publikum mertwürdiger Weise der
geistreichen Spielerei des tapferen Cassian und der entzücken¬
den feinsinnigen Praterwurstel=Komödie etwas befremdet und
fast animos gegenüber, und es meldete sich sogar an dem
Schnitzler=Abend eine Opposition, die tatsächlich den Erfolg be¬
einträchtigte. Die geteilte Aufnahme spricht dafür, daß die
Spiele, mit Ausnahme des ersten Aktes, eigentlich nicht aufs
Theater gehören. Das Volkstheater bereitete den Marionetten¬
Spielen eine sehr würdige Aufführung und besonders Herr
Kramer versuchte durch eine verständige und fleißige Regie
sich dem Dichter nützlich zu erweisen.
Telephon 12.801.
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*Das Deutsche Volkstheater brachte am Sams¬
tag abend drei Einakter von Arthur Schnitzler, die
unter dem Gesamttitel „Marionetten“ vereinigt sind,
heraus. Zwei davon hatte Jamo bereits gegeben. Die
Aufnahme war flau, denn die Sentimentalität der kleinen
Stücke wirkte lästig.