II, Theaterstücke 17, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 0), Marionetten. Drei Einakter, Seite 73

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17.4. Marionetten zukins
Ausschnitt aus:
IS E 7 Osterreichische Rundschau, Wien
vom:
Wiener Theater.
Wo es keine Zugstücke abzuleiern gab,
benutzten die Wiener Bühnen den Fasching,
die Zeit des Aufmischens, zum Aufwärmen
alter Theatergenüsse und ein (Zufall fügte
es, daß „Harl Cöstäs harmlosé Pössenheiter¬
keit auf zwei Wiener Bühnen wieder flüchtig
auflebte. Bot im Lustspieltheater die
Wiederaufführung des „Blitzmädels“ Frau
Niese Gelegenheit, von einer Rolle Besitz zu
ergreifen, die ihren großen und kleinen
Soubrettenkünsten mit reineren und ur¬
sprünglicheren Mitteln dient als ihr Haus¬
und Leibdichter Buchbinder, der von der
guten alten Wiener Possenschule nur die
derbe Zweckmäßigkeit übernommen hat,
nicht aber auch den Witz, der die Mittel
heiligt, so bewies das Deutsche Volks¬
Londen, mauid, Mailane
ork, Paris, Rom, San Francisco, Stockholm,
burg, Toronto.
theater mit der Aufführung des „Bruder
sche Anmut ein und erschien durch die zykli¬
(Quallenangabe ohne Gewähr.)
Martin“, daß es mit Herrn Thaller an der
sche Zusammenfassung zu einer Bedeutung
Ausschnitt aus:
Spitze wohl ein auf dem sicheren Grunde
emporgekünstelt, die den Stücken nicht zu¬
Das Forum, Wien
einer lebendigen Überlieferung gefestigtes
kommt. Man fühlte sich unwillkürlich ver¬
Ensemble besitzt, das berufen wäre, dem
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leitet, nach einem tieferen Sinn zu suchen,
Volksstücke neue künstierische Aufgaben und
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und wie viel man auch hinein= oder heraus¬
Deutsches Volkstheater. „Marionetten“, drei
Möglichkeiten zu eröffnen, jedoch kein Publi¬
zudeuten geneigt war, es kam nicht mehr
kum, das die naive Empfänglichkeit dafür
Einakter von Artur Schnitzler.Där -sich der
heraus, als was uns schon Goethe gelehrt
Stisonerfolg noch nichtn die — im
mitbrächte. Zum Mindesten kein Publikum,
hat: „Du glaubst zu schieben und du wirst
G
das für eine volkstümliche Darbietung die
rigen dankenswerte — Renovierung der Klassiker¬
geschoben!“ Die Darstellung des Deutschen
aufführungen nicht von den Repertoiresorgen befreien
gleichen Preise bezahlte wie für irgendeine
Volkstheaters war redlich bemüht, den
kann, geschah es, dass bald nach Pierre Wolffs, Puppen¬
Tagessensation und stünde jene künstlerisch
Puppencharakter der Spiele festzuhalten.
noch so hoch über dem eingebildeten Wert
spiel“ Schnitzlers „Marionetten“ an die Reihe kamen.
Wer aber in der „Fledermaus“ oder in der
Sünst hätte sich das Volkstheater jedenfalls mehr an das
dieser. Es war darum ein Fehlgriff, die
„Urania“ den „Tapferen Kassian“ auf der
Melectat variatio“ gehallen. Als „Puppenspieler“,
Aufführung des „Bruder Martin“ nicht als
Münchener Puppenbühne gesehen hat, der
Wier zu schieben glaubt und selbst geschohen wird, bot
eine Montagsvorstellung zu ermäßigten
konnte sich nicht verhehlen, daß es weit
Preisen anzusetzen und es hatte beinahe den
Leopold Kramer eine schöne Leistung. „Der
spassiger wirkt, Schauspieler von Marioyetten,
Anschein, als sollte damit bewiesen werden,
tapfere Cassian“ gelangte durch Hans Homma
als diese von jenen nachgeahmt zu teieen
daß das Volksstück nicht mehr zieht; ein
und Josefine Glöckners reizende parodistische Art
Fehlgriff auch darum, weil ein ausverkauftes
zu einer hübschen Bühnenwirkung. Die Burleske „Zum
grossen Wurstel“ liest sich sehr angenehm,
Haus bei ermäßigten Preisen noch immer
mehr trägt als ein leeres bei vollen.
auf der Bühne zersplittert sich die Satire und wird malt.
Es will überhaupt bedünken, als hätte
Die drei Puppenspiele wären durch Leopold Kramers
das Deutsche Volkstheater in der nervösen
hübsche Inszenierung etwas für literarische Feinschmecker
Hast nach dem noch immer nicht gefundenen
gewesen; aber das schmackhafteste Dessert enttäuscht
Saisonschlager ein wenig die Besonnenheit
einen hungrigen Magen, wofür Schnitzler nicht verant¬
verloren. Anders ließe es sich kaum erklären,
wortlich ist. Das Deutsche Volkstheater hat momentan
daß es drei Wochen nach der deutschen Ur¬
ziemliche Besetzungs- und auch Repertoiresorgen. Die
Müller ist noch nicht ersetzt, die Hannemann durch
aufführung der französischen Komödie
„Puppenspiel“ drei ältere, schon von anderen
Erika v. Wagner vorläufig auch noch nicht, und die
Aufführungen her bekannte Einakter von
Entlassungsgesuche mehren sich. Soll elwa Fräulein
Artur Schnitzler brachte, die von der gleichen
Reinau die Hauptstütze des Volkstheaters werden? Die
Sentenz ihr ethisches Dasein fristen. Mephistos
erste Geige zu spielen, und zwar Solo, dürfte ihr vielleicht
Wort: „Du mußt es dreimal sagen!“ hat
behagen, weniger aber dem Publikum.

auf der Bühne nur dann Geltung, wenn
jedesmal eine andere Form, ein anderes
Gleichnis dafür gefunden wird. In den drei
Einaktern Schnitzlers aber wird einzig und
allein das Puppenspiel zum Vergleich heran¬
gezogen, um uns zu belehren, daß wir
Menschen die anderen wie Puppen zu lenken
wähnen, dieweilen wir selber nur Hampel¬
männer sind. In dem ersten, dem „Puppen¬
spieler“ ist freilich nur vergleichsweise vom
Puppenspiel die Rede. Dafür müssen im
zweiten, dem „Tapferen Kassian“, Schau¬
spieler Marionetten nachahmen und der
(gleiche Scherz wiederholt sich in der Burleske
„„Zum großen Wurstel“, nur daß dabei das
PPublikum mitspielt und die Bühne auf der
Bühne sich, wie im „Theatralischen Unsinn“,
in den Zuschauerraum erstreckt. Das Deutsche
Volkstheater hat Artur Schnitzler keinen
Dienst erwiesen, indem es diese drei Ein¬
akter unter dem Titel „Marionetten“ zyklisch
zur Aufführung brachte. Was einzeln und
zwischen fremde Stücke eingestreut, als
Bagatelle einer von ironischen Hemmungen
sich befreienden Dichterlaune erfreute, büßte
in den Wiederholungen die leichte künstleri¬