II, Theaterstücke 17, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 0), Marionetten. Drei Einakter, Seite 90

17.4. Marionetten—zuklus
— —U e.
Puppenspieler“, Man ahnt. Nein, man weiß. Man
kennt diese tiefsinnigen, zweidentigen Titel, die
soviel Resignation atmen. Ich rücke mich zurecht,
denn ich werde die „Wahrheit“ erfahren. (Bitte,
Herr Grieg, Musik!)
Das verbummelte Genie Merklin (ich kannie
ihn noch, da er Ulrik Brendel hieß) kehrt nach
einem langjährigen Knut Hamsun-Dasein ins alte
Europa, nach Wien, zurück: Da trifft er nun
einen alten Freund, den Oboespieler Jagisch, des¬
sen Kismet determiniert zu haben, er sich einbildet.
Merklin lebt nämlich in dem Wahne, Besitzer
telepathischer Kräfte zu sein, Menschen durch Ge¬
dankenbestrahlung in ihren Entschlüssen bestim¬
men zu können.
(Seitdem man das Fernlenkhoot erfunden hat,
ist diese Idee aus der Literatur in das Technische
sinübererlöst worden.)
An einem glüähenden Abend, einmal in der Ju¬
end, hat sich Merklin, der mit Freunden und
reundinnen in den Wienerwald gepilgert war,
anz prononziert als Anwalt des Lebens gefühlt.
an hatte sich mit Merklin verwechselt, und Merk.
in lagerte im großen Rosa des Abends, wie Goethe
uf dem Bilde des Tischbein lagert, mit dem Lyn¬
eusauge ober der steil gesenkten Nasc, das Pathos
n der herablehnenden Hand, wie ein vornehm¬
lachlässiges Taschentuch. Um ihn schwärmten die
ffädchen. Zwei davon zielten auf ihn. Eine da¬
on spürte er. Da sah er seinen Freund Jagisch
lasitzen, schüchtern, dunkei, voll Feigheit
vährend das Blut der Mädchen strahlte, Da fühlle
ferklin die erhabene Verpflichtung, das Outsider¬
tom: Jagisch dem Kosmos einzuverleiben, cs
anisch zu machen, und aus der Uberfülle der
Mädchen, warf er ihm eines an den Hals. Es soll
hm Liebe, vorspielen, ihn mutig machen, sein
selbstbewußtsein wecken
Merklin reckt den Willen zur Macht.
Anna hieß diese Ariadne. Und nun kommt
Merklin zurück, und sichl, daß Leben geworden
st, aus seinem Imperatorenspiele. Die, die er nur
als Stimulans dachte, ist Jagisch Weib geworden.
Die Puppe hat die Dröhte zerschnitten, und mensch¬
liche Figur angehommen. Und über dem Puppen¬
spieler gibt es noch einen Regisseur .. Ist das
nun „Wahrheit“ schlechthin, oder nur eine ihrer
sphärischen Flächen?
Als Kunsiwerk erkenne ich diesen wehmüti¬
gen, szenischen Aphorismus nicht an. Als Schnitz¬
lers persönliche Erfahrung? Dies anzunehmen,
hin ich allzu diskret.
Was bleibt?
Zeitströmung. Die Claque als Kriterium.
Resignation als Weltanschauung. Wir sind in
Wien. Dem zukünftigen Venedig, wie Bahr sagt.
Dann hören wir den „Tapferen Cassian“.
Der ist beinahe eine neue Gattung. Die, der
humorvollen Satire. Die Frage ist nur: wozu war
der Dichter zu schwach? Zum Humor oder zur
Satire? (Kompromisse entstehen durch Zellrei¬
Aber auch in diesem Akte sehe ich ein Kom¬
pliment vor der Zeitströmung, (lbsens Kleinbür¬
ger sagen: „Lokalverhältnisse.)
Man weiß, vornehmlich aus Sirindberg, es .geht“
gegen das Weib, gegen die Wissenschaft, gegen das
Männchen. Voilä.
Sehnitzler, den der Golistrom berührle w
2
box 22/11
zu Konstatierungen da würe!
„Wie sich der Arzt das zurechtlegl!“(Gocthe
im Gesprüch zu Eckermann über Rehbein.)
Als deiu##. Stück führte man den „Großen
Wurstel“ auf. Darüber habe ich kein Urteil, da¬
von keine Ansicht. Ich betrachte als eine subtile
Arl geistiger Zuchtwahl zu manchen Dingen der
Kunst und des Lebens, in kein Verhältnis zu kom¬
men.
Ich denke; der „Große Wurstel“ ist eine Rede
pro domo, eine Verteidigung des Marionettensland¬
punkts. Sie ist unnötig. Die Stücke sind gut, die
Technik zu wählen, internste Angelegenheit des
Dichters.
Das Publikum war eigentlich begeistert. So
applaudiert man in Paris Herrn Bataille oder
Brieux. Notre poéle. Von den Schauspielern
möchte ich keinen hervorheben. Sie hatten alle
den Stil dieser Stücke, Sie hatten es nicht nötig
„J'accuse“ zu rufen, noch pathetisch zu sein.
Paris von Gütersloh.