II, Theaterstücke 17, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 3), Zum großen Wurstel. Burleske in einem Akt (Marionetten), Seite 10

Ausschnitt aussent
17. 3 1906
vom:
Wsissieltheater, literarischer Einakter¬
abend.] Jetzt hat Herr Direktor Jarno sogar einen echten
Griechen in der Schar seiner literarischen, Autoren, noch dazu
einen, der nicht eigennlich fürs Theater schrieb, wenn er sich
auch der größeren Lebhäftigkeit wegen der Dialogform zu be¬
dienen pflegten Alsoz ein Experiment in zweifacher Richtung,
das doppekt geglücknzist. Der alte Lukianos erwies sich in seiner
„Fahrt über den Styx“ nicht nur als ungeheuer jung — von
dieser gewissen ewigen Jugend, die man erst nach dem Tode
gewinnt — sondern auch als recht theaterwirksam. Seine Technik
ist eine hochmoderne Er bringt Menschen auf die Bühne und
läßt sie reden; aus ihrer Leidenschaft, aus ihrem Herzen heraus.
Und siehe da, dieses Herz, das cor humanum, ist heute genau
dasselbe, das es im zweiten Jahrhundert nach Christi Geburt
war, es hat dieselben Wünsche, dieselben Laster und dieselbe
Not wie all die zeitgenössischen Herzen rund um uns herum,
die sich noch im Leven abzappeln. Noch heute gibt es Tyrannen
und Schuster, und noch heute sterben die Reichen, die viel
zurücklassen, nicht so gerne wie die Armen, die nichts ver¬
lassen, und noch heute waggoniert sie alle der Tod gelassen ein
einen nach dem andern, tausend und vier Stück im ganzen.
und setzt den Schuster dem Tyrannen aufs Genick, wenn sonst
Ihr
kein Platz in seiner Fayce frei ist.... Paul Lindau, der den
geistreichen griechischen Dichter auf unsere Bühne führte, hatte
leichtes Spiel. Er brauchte den Dialog nur in zwei Bilder zu
zerlegen — diesseits und jenseits vom Styx — und die mise en
scène vorschreiben, alles übrige besorgt Lucian. Lindau gibt
gleichsam nur die auf dem Theater unerläßliche Schminke.
Immerhin war es eine Tat, für die wir ihm dankbar sind. —
Der zweile Einakter, „Mamzell Courasche“ von Erich
Korn, gibt ein Bild aus dem Dreißigjährigen Kriege. Aber
es war Korn wohl weniger um den Dreißigjährigen Krieg zu
tun als um die Kostüme dieser Zeit, die sich sehr gut machen
auf dem Theater. Sein Talent neigt zum Acußerlich=Effektvollen,
zum Opernhaften; er wäre ein vorzüglicher Opern= und
Operettenlibrettist, einer, dem sogar etwas einfällt. Das beweist
er auch in diesem neuen ziemlich langen Einakter, dessen erste,
durchaus operettenhafte Hälfte die erfreulichste Partie des Werkes
ist. Dann wird die Sache tragisch und endigt mit einem Degen¬
stoß, dem Spertini zum Opfer fällt, der junge Gatte der
Mamzell Courasche, der, um in einer Wette 50 Dukaten zu ge¬
winnen, sich anheischig gemacht hat, seine Frau in der ersten
Nacht zu prügeln. Da sie dazu freiwillig nicht zu haben ist,
will er sie zwingen, und bei dieser Gelegenheit ersticht sie
Wie gesagt, der frivole erste Teil dieser Tragödie
ihn..
ist uns lieber, wird auch besser gespielt. Nur Fräulein
Helm, ein großes Talent, rettete den fatalen Schluß
des Stückes. — Zum Magenschluß wurde dann eine
Burleske von Arthur Schnitzler serviert,
ein Lecker¬
bissen. Der Dichter gibt
hier, nachdenklich heiter mit
sich selbst beschäftigt, wie seine Art ist, unter der Devise
„Zum großen Wurstel" geistreich chargiertes Bild des
eigenen Theaters, nei, des Theaters überhaupt. Das Publikum
sitzt auf der Bühne, an Wirtshaustischen, im Prater. Im
Hintergrund ein kleines Theater. Ein Herr tritt vor, der früher
Hutschenschleuderer war und jetzt Theaterdirektor geworden ist,
und kündigt in kurzer Rede, die von einer hinreißenden Komik
ist, den Beginn der Komödie an. Dann folgt diese, ein Mario¬
nettenspiel. Ihre Handlung erzählen, hieße das Stück ab¬
schreiben, das so viel an Handlung enthält wie alle Schnitzler¬
schen Stücke zusammen. Alle Figuren unseres Dichters geben
sich hier ein heiteres Stelldichein; der Dichter, das süße Mädel,
der Freund, der Fürst, die verheiratete Frau, die gern vergißt,
daß sie es ist. Manchmal mutet die Sache wie eine Parodie
auf den „Schleier der Beatrice“ an, und immer setzt ihr Genuß
die intime Kenntnis der Schnitzlerschen Schriften voraus. Ihr
Erfolg ist eine Probe auf die eigene Popularität: Selbst¬
bespiegelung — aber keine unliebenswürdige. Denn ein Dichter¬
kopf grüßt aus diesem Spiegel, den eine schöne Serenität ver¬
klärt; einer, den das Leben nichts mehr angeht, der nur noch
in souveräner Künstlerlaune damit spielt. Man denkt an
Wagners schönes Wort: „Man wird allmächtig, wenn man
mit der Welt nur noch spielt.“ So ist jetzt Schnitzler. Das be¬
weist er auch in diesem Puppenspiel durch die Art, wie er mit
seinen eigenen Gestalten und Motiven umspringt. Der An¬
fänger läuft jedem Einfall nach und ist in die letzte seiner Ge¬
stalten noch heiß verliebt: Der Meister weiß, was er kann,
und macht sich darüber lustig.
In die schauspielerischen
Ehren des Abends teilten sich die Herren Jarno, Knei¬
dinger, Dumont und Gutmann. Herr Straßni
bewies als düsterer Kanzlist in sechs Versen wieder einmal,
daß er ein Künstler ist, und Herr Hofer als Direktor war
vorzüglich. Die Aufnahme der drei Stücke war ungleich; nach
dem zweiten erschien der Autor, und das dritte gefiel wirklich.