II, Theaterstücke 17, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 3), Zum großen Wurstel. Burleske in einem Akt (Marionetten), Seite 14

Lustspieltheater. Man hat gestern den alten
Lücianus achtungsvoll abgelehnt und den jungen
Erich Korn sehr unsanft behandelt. Und solches
geschah bei einem zu wohlthätigem Zwecke veranstalteten
Premièrenabend, zu welchem #in sehr vornehmes
Publicum gekommen zwat! Die Theaterbesucher
blieben in weiter Distanz von dem Spötter von
Samosate. Es war ein Wagniß, eine seiner Satiren auf
die Bühne zu bringen und selbst die geschickte Be¬
arbeitung von Paul Lindau vermochte nicht Theil¬
nahme für den Dichter zu wecken, den einige Forscher
neben Voltaire stellen möchten. Lucianus hat den
hellenischen Götterhimmel entvölkert, die Markt¬
schreier, die Philosophensecten, die Heuchler ge¬
die Kyniker
besonders scharf
geißelt und
hergenommen. Kyniskus, der Philosoph, geht auch
durch die Satire „Die Fahrt über den Styr“
die gestern die Vorstellung eröffnete. Neben ihm
treten auf der Tyrann, der die Welt mit
Schandthaten erfüllte, Reichthümer anhäufte und
Der
gekrönte Unhold
sein Volk bedrückte.
will nicht in Charon's Nachen steigen. Er hängt am
Leben, während der arme Schuster, der mit dem
König in die Unterwelt ging, den Tod wie einen
Erlöser vom freudlosen Dasein grüßt. Der grausame
Fürst, der in Schätzen wühlte, will durch Jammern
und Betteln den Fährmann über den Styx er¬
weichen — dem Enterbten des Glückes thut sich der
Himmel im Grabe auf. Und der Schluß? Der Reiche
darf nicht Lethe trinken; der Tod nivellirt Alles
und Alle, in die Gefilde der Seligen gehen
der Philosoph und der Schuster ein, die von
den Wonnen der Welt Nichts genossen haben.
Lucianus läßt scharfgespitzte Pfeile nach allen Seiten
fliegen. Eine Scene rief laute Heiterkeit hervor,
als der Richter der Unterwelt zur Illustrirung der
Verbrechen des Wollüstlings zwei Zeugen vorruft:
das Sopha und die Lampe. Das Sopha will aus
Scham Nichts verrathen und die Lampe erzählt
nur kurz, sie habe dem Bösewicht geleuchtet ...
Eine erstelassige Darstellung hätte alle Pointen des
Dialogs zugeschliffen. Das Ensemble des Lustspiel¬
theaters stand einer ungewohnten Aufgabe gegenüber.
„Mamzelle Courasche“ hieß die zweite
Novität. Ein Bild aus dem dreißigjährigen Kriege
von Erich Korn. Man kennt den Autor in Wien. Er
hat sich vor Jahren im Deutschen Volkstheater mit
einer Pantomime „Colombine“ starken Beifall geholt.
Gestern ging er an einem Erfolge vorbei. Die Geschichte
ist craß, die Voraussetzung eine unhaltbare. Ein
italienischer Fechtmeister, der eine Soldatendirne als
Frau sich erkor, wettet mit Officieren, er werde in
der Hochzeitsnacht sein Gespons öffentlich peitschen!
Ein Gefühlsmensch, dieser welsche Kerl. Sein junges
Weib rennt ihm den Degen in den Leib. Man hatte
den Dialog um die Hälfte kürzen müssen. Die langen,
peinlichen Auseinandersetzungen wirkten erkältend
und lenkten die Aufmerksamkeit von hübschen
Details ab. Die Premièrengäste spürten heraus, daß
in den Kostümen aus dem dreißigjährigen Kriege
decadente, modern gesehene Menschen stecken ...
Der Einacter rief bei einem Theile des Publicums
starke Opposition hervor. Den Fechtmeister spielte
Herr Bulß sehr gut. Er blieb immer discret und
charakteristisch. Mit einer Episodenrolle, einem
gichtischen lüsternen General, gab Herr Dumont
eine neuerliche Talentprobe. Für die Troßdirne
fehlte Frau Helm der sinnliche Reiz. Dieses süße
Lagermädel, das vom General abwärts liebt, muß
alle Teufel im Leibe haben. — Arthur Schnitzler
„Zum
hatte das letzte Wort. Seine Burleske
großen Wurstl“ verbreitete lustige Stimmung im
Hause. „Spielt im Wurstelprater, am Abend,“ heißt
es auf dem Zettel. Man sieht in einem Wirthshaus¬
garten ein Marionetten=Theater. Unten Publicum —
oben Mimen, die an Drähten zappeln. Dazwischen der
Dichter und der „Director“; dieser ein ordinärer, unge¬
bildeter Ausrufer, den Herr Hofer köstlich verkörperte.
Schnitzler war in bissiger Laune, als er dieses Stück
schrieb. Er führte Geißelhiebe gegen die moderne
Production, gegen die Coulissengenerale und das
Publicum, die nur in Sensationen schwelgen und
von einem Ringkämpfer Unterhaltunghoffen. Der Poet
wird brutalisirt und von den Schauspielern verhöhnt,
die ihm ihr Leben verdanken. Auch ein Theaterscandal
wird gelegt. Zum Schlusse schafft ein Mann mit
dem Schwerte Ordnung. Er schneidet die Drähte
durch und die „Künstler“ fallen um. Er sagt den
Leuten im Theater einige Wahrheiten und der
Vorhang fällt. Director Jarno sprach die kleine,
aber wichtige Rolle mit scharfer Betonung. Rauschen¬
der Beifall begleitete die prächtigen Einfälle
Schnitzler's und Jarno konnte für die ehrenvolle
Aufnahme der Dichtung danken. Der Director kann
auch seinen Mitgliedern danken, die in diesem Ein¬
—sch.
acter famos waren.
Telephon 12801.
„OBSERVER
I. österr. behördl konz. Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte
Wien, I., Concordiaplatz 4.
Vertretungen
in Berlin, Budapest. Chicago, Christiania, Genf, Kopenhagen,
London, Madrid, Mailand, Minneapolis, New-York. Paris, Rom,
San Francisco, Stockholm, St. Petersburg.
(Quellenangabe ohne Gewähr.)
Ausschnitt auszutsches Volkst## #t Wien
17 3
vom:
Lustspieltheater. Zu wohltätigem Zwecke wurde
gestern ein literarischer Abend, der drei Einakter bra¬
veranstaltet. Der griechische Philosoph Lukianos,
im III Jahrhunderte, nach Christi Geburt wirkte und i
seiner „falirischen Schärfe den Beinamen des „griechist
Voltäike“ erhiekt, mächte den Anfang. Seine Sat#
„Die Fahrt über den Styx“ erlebte die Premiere vor dem
Wiener Püblikum in der deutschen Bearbeitung durch
Paul Lindau. Sie ist ein scharfgezeichnetes Spiegel¬
bild der Gesellschaft, in der sich der Philosoph
bewegte. Die Seelen der Abgeschiedenen müssen vor
dem Richter der Unterwelt ihren Lebenslauf ent¬
hüllen. Während der Philosoph Kyniskus und der
arme Schuster Mycillus in die Gefilde der Seligen ein¬
gehen, wird der Tyrann Megapenthes (von Herrn Vall¬
berg sehr wirkungsvoll dargestellt) verdammt. In¬
szeuierung und Darstellung waren sehr stimmungsvoll und
stilgerecht. Besonders Fräulein Joseffy bot als „Parze
Klotho“ eine anerkennenswerte Leistung. Sehr angenehm—
Hofer auf
fiel auch der Gesang des Herrn
der hinter den Kulissen mit Harmoniumbegleitung ein Lied
zu singen hat.
An zweiter Stelle stand „Mamzell
Courasche“. Ein Bild aus dem 30jährigen Kriege von
Erich Korn. Ein brutales, auf haarscharfer Schneide
balanzierendes Stück aus dem Lagerleben, das jedoch
starke Wirkung übt. Eine Dirne, die im Lager
wohlbekannt ist,
wird von einem italienischen
Fechtmeister zur Frau genommen. Dieser, ein lockeres
Bürschchen, läßt sich mit Offizieren aus Gewinnsucht in
eine Wette ein, daß er in der Brautnacht seine Frau vor
den Augen der Wettenden schlagen werde. In dem Weibe
erwacht jedoch die „Mamzell Courasche“, die auf Wällen im
Schlachtgewühle gestanden und die Fahne gerettet hat,
und ehe sie sich von ihrem Manne demütigen läßt, sticht
sie ihn nieder. Die schwierige Rolle der „Mamzell Cou¬
rasche“ lag in den Händen der Frau Angela Helm, die sie
in glänzender Weise durchführte. Rührend als hingebungs¬
volles Weib, erschütternd in dem tragischen Schlußakkorde.
In diesem Rollenfache darf man von ihrer vollendeten
Künstlerschaft noch vieles Schöne erhoffen. Ihr prächtiger
Spielgenosse war Herr Bulß, der ebenfalls eine fein ab¬
getönte Leistung bot. Herr Dumont, den wir immer als
tüchtigen Schauspieler schätzten, überraschte uns trotzdem durch
die meisterhafte Darstellung eines „Simplizissimus“=Generals.
Die Herren Nerz, Valberg, Kneidinger und
[Strauß fügten sich den bereits Genannten trefflich bei,
und da auch die Ensembleszenen vollkommen klappten, er¬
freute sich der Einakter einer wohlgerundeten Dar¬
stellung. Er fand denn auch lebhaften Beifall,
in den sich zwar auch einiger Widerspruch
mengte, der vielleicht den, wie bereits gesagt, stellenweise
etwas brutalen Effekten galt. Den Beschluß bildete eine.
Burleske von Artur Schnitzler, „Zum großen Wurstel“.
Ein Spiegelbild des Lebens, alles Marionetten, die an
sichtbaren oder unsichtbaren Fäden gezogen werden, zum
Schlusse kommt der „Unbekannte im schwarzen Mantel“.
die Kritik, und durchschneidet die Fäden und man erkennt
was Mensch, was Wurstl ist. Die Weltgeschichte ist das
Weltgericht. Das wird im Rahmen einer Praterbude in
burlesker Weise doziert. Das Publikum lachte am passen¬
den Orte. Von den Darstellern muß an erster
den
Stelle Herr Hofer genannt werden, der
„Direktor“, der Praterbude in Maske und Ton
ungemein charakteristisch gestaltete und sich mit seiner großen
Rekommandeuransprache Separatapplaus holte. Alle übrigen,
die ebenfalls gut waren, nennt der Theaterzettel.
Das Publikum wußte mit dem Stücke nichts anzu¬
fangen, applaudierte aber trotzdem, dasselbe Publikum,
das, zum Teile wenigstens, Lucian auszischte. Wir wurden
von einem Herrn aus dem Publikum gefragt, wer sich
eigentlich hinter dem Pseudonym des Lucian verberge. So
r. P.—
dürchgefallen ist noch selten ein Publikum.