II, Theaterstücke 17, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 3), Zum großen Wurstel. Burleske in einem Akt (Marionetten), Seite 15

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Wien, I., Concordiaplatz 4.
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in Berlin, Budäpest, Chicago, Christiania, Genf, Kopenhagen,
London, Madrid, Mailand, Minneapolis, New-Vork. Paris, Rom,
San Francisco, Stockholm, St. Petersburg.
(Quellenangabe ohne Gewähr.)
Ausschnitt arsterr. Volks Zeitung, Wien
17. — 1900


Lustspieltheater. Eine Vorstellung zum Besten
des „Ersten öffentlichen Kinderkrankeninstitutes in Wien“.
Ein Satiriker scheint das Programm des Abends zu¬
sammengestellt zu haben. Das Haus gefüllt von Aerzten,
praktischen und solchen, die es vorgeben, nicht zu sein:
Professoren und Dozenten. Und auf der Bühne in allen
drei Stücken, die da aufgeführt wurden, ein Sterben
und Verderben, der Tod in verschiedenen Gestalten, im
dritten Stücke sogar der Tod als Sensen¬
mann. Für einen Totengräberverein wäre die
Auswahl zweifellos
passender gewesen. Das
erste Stück „Die Fahrt über den Styx“ ist eine
Satire des Lucian, für die deutsche Bühne bearbeitet
von Paul Lindau. Charon, der Fährmann, „trans¬
portiert“ die Seelen der Verstorbenen über den Styx,
seine heidnische Variation des biblischen Wortes: Eher
kommt ein Kamel durch ein Nadelöhr, denn ein Reicher
in den Himmel, Ein armer Flickschuster, ferner ein Philosoph,
der durch Erkenntnis die Jugendtorheiten abgestreift, sie
gelangen in das Gefilde der Seligen, der mörderische
Tyrann, der blutdürstige König, der seiner Wollust
und Habsucht Menschenopfer gebracht, erleidet hingegen
die härteste Strafe: er darf nicht vom Quell der Ver¬
gessenheit trinken. Trotz leidlich guter Darstellung, in
deren Vordergrund Fräulein Joseffy und die Herren
Dumont, Valberg und Guttmann standen,
wollte sich nicht die richtige Stimmung einstellen
und der Beifall begegnete einer entschiedenen Opposition.
Auch „Mamzell Courasche“ ein kräftig ge¬
zeichnetes Bild aus dem dreißigjährigen Kriege von
dem talentvollen Berliner Schriftsteller Erich Korn,
litt an den Folgen der überstandenen Satire,
trotzdem die marligen Gestalten eines heldenhaften
Mädchens und einer Reihe von Söldnern meisterhaft
entworfen und durchgeführt erscheinen, die besonders von
Fräulein Helm und den Herren Bulß, Dumont,
Strauß, Nerz und Kneidinger markig repräsen¬
tiert wurden. Nichtsdestoweniger konnte der Verfasser
wiederholt Hervorrufen folgen. Den Schluß machte eine
einaktige Burleske „Zum großen Wurstl“ von
Artur Schnitzler. Wenn ich Herrn Schnitzlei gut
verstanden habe — doch bürge ich nicht dafür — so macht
er sich in seiner Puppenkomödie über das Theater mit allem,
was drum und dran lustig über den Dichter, der mit
sich, dem Direktor, den Darstellern und dem Publikum
unzufrieden ist; den Direktor, der im Interesse der
Wirkung das Feinempfinden des Dichters durch Zutaten
vergröbert; die Darsteller, die, als sie die üble Stimmung
des Publikums wittern, sich über den Poeten lustig
machen, und endlich über die Verständnislosigkeit des
Publikums und der — Kritik! Ich wurde aus dem
Ganzen nicht klug, den Leuten rings um mich
herum erging es nicht besser und so bleibt mir
nichts anderes übrig als das kritische Schwert aus der
Hand zu legen und dem sonst so charmanten Dichter zu¬
zurufen: Gute Nacht, Herr Doktor! Auf Wiedersehen bei
einem Ihrer Stücke, in welchem Sie besser gelaunt und
leichter zu fassen sind.
A. L.
I. österr. behördl. konz. Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte
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(Quallenangabe ohne Gewähr.)
Ausschnitt aus:
ee Wienor laurnal
vomf 3. 1306
(Lustspieltheater.) Ein lierarischer Abend mit einer
nicht ganz nach der Regel geschnittenen Physiognomie: zum Anfang
die lebendige Satire eines Autors, der seit sechzehn Jahrhunderten
tot ist, zum Schluß die Satire eines Modernen, der, das Leben
als Puppenspiel ansieht, und dazwischen ein robustes Theaterstück.
Zum Anfang war Lukian. Man kennt ihn noch in den germanisti¬
schen Seminaren, und das ist die einzige Fühlung, die er mit
der Gegenwart unterhält. Vor Jahren hat nun Paul Lindau,
der allerlei Experimenten nachhing, einige der Dialoge des
griechischen Spötters für die deutsche Bühne bearbeitet. Man spielte
sie eine zeitlang mit Erfolg, aber nach Saisonschluß verschwanden sie,
so wie es der Gegenwartsbrauch heischt. Jetzt taucht im Lustspiel¬
theater einer der Dialoge wieder auf: „Die Fahrt über den Styx“.
das seltsam=phantastische Totengespräch. Lukian ist modern in dem,
was er zum Gegenstand seines Hohnes macht; die Masken einer
angeschminkten Kultur fallen ab, und die Fratze guckt grinsend
hervor. Ein Sozialkritiker also. Die abgeschiedenen Seelen
den Richter, geführt zu werden, der die Bösen straft und
die Guten belohnt. Sie ziehen alle vorüber; die arm und elend
waren, dürfen in die Gefilde der Seligen eintreten und jene, die ein
Leben ohne Fehl geführt haben. Der Tyrann aber wird für
seine Missetaten auf Erden neben Tantalos an den Felsen ge¬
schmiedet und der Lethetrunk wird ihm versagt. Diese Satire setzt
ein Publikum mit gewissem gleichartigen literarischen Niveau
voraus, wenn sie so eindringlich wirken soll, wie sie müßte. Vor
Zuschauern, denen nur das Aeußerliche allein sinnfällig wird,
ist sie der Empfänglichkeit nicht ganz sicher. Freilich fordert hier
auch die Darstellung besondere Qualitäten. Die Satire wurde zu
schwer, zu feierlich aufgefaßt. Das Burleske dieses Unterwelt¬
gerichtes kam nicht richtig heraus. Den Mittelakt bildete eine
Novität von Erich Korn, dem Verfasser der vielgespielten
Komödie „Colombine“. Es ist ein Bild aus dem dreißig¬
jährigen Kriege und betitelt sich „Mamzell Courasche“. Herr Korn
hat einen sicheren Blick fürs Theatralisch=Wirksame; seine Feder
zeichnet mit starken Strichen. Das Theatralische ist bei ihm stets
eindringlicher als die psychologische Vertiefung. Darum muß das
Aparte in der szenischen Führung ihm mit viel größerer Gewißheit
den Erfolg bringen. So wird ein Mangel durch einen Vorzug
wettgemacht. Mamzell Courasche ist eine tapfere Soldatendirne, die
im Lager unter den Offizieren gern gesehen ist. Sie hat mit vielen
nähere Freundschaft geschlossen, aber sie sehnt sich danach, nicht
nur die Ehren des Mutes zu tragen, sondern auch als Weib
wieder Ehre zu besitzen. Ein italienischer Fechtmeister heiratet sie
und sie wird ihm sicher ein treues Ehegemahl sein. Aber in der Braut¬
nacht hänseln die Offiziere den jungen Gatten und fordern ihn zu
der Wette heraus, daß er sich nicht getrauen werde, Madame
Courasche zu schlagen. Er hält die Wette; aber sie, die ihm wie ein
Hund ergeben sein will, kann solchen öffentlichen Schimpf nicht dulden.
Wie er die Peitsche hebt, stößt sie ihn mit dem Degen nieder.
Es ist ein Akt voll Spannung, sehr hübsch aufgeputzt durch ein
flottes musikalisches Intermezzo von Oskar Strauß. Die Wirkung
war stark. Die Darsteller der Hauptrollen, Frau Helm und Herr
Bulß, setzten ihr ganzes Können ein. Die eine voll Leiden¬
schaftlichkeit bei den Höhepunkten, der andere mit sicherem Ma߬
halten an den gefahrvollen Stellen. In Episoden fielen die
Herren Dumont und Kneidinger angenehm auf. Der Autor
wurde lebhaft gerufen, doch mischte sich
in den Beifall
Den Abschluß des Abends machte ein
auch Zischen.
amüsantes, nicht mehr neues Marionettenspiel von Artur
Schnitzler „Zum großen Wurstl“. Schnitzler spottet ein wenig über
sein Handwerk. Auf dem Podium einer Praterbude häugen die
ewig alten Figuren der Komödie an Schnüren, und man sieht,
wie sie der Dichter zieht. Es ist eine lustige Kasperliade, deren
Pointen nach den Autoren, den Darstellern, dem Publikum und
der Kritik zielen. Ein ironischer Spaß, der nur manchmal dünn
wird. Die Herren Hofer, Jarno, Guttmann und Straßni machten
ihre Sache sehr gut. Man applaudierte, spottete also seiner selbst
und wußte nicht wie.
8—
* ChI. f. „