II, Theaterstücke 17, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 3), Zum großen Wurstel. Burleske in einem Akt (Marionetten), Seite 43

Wi
box 22/9
17.3. Zun FrossenArstel
Wien, I., Concordler:
Vertretungen
in Berlin, Budapest, Chicago, Genf, London, New-Vork,
Paris, Rom, Mailand, Stockholm, Christiania, St. Petersburz.
(Quellenangabe ohne Gewähr.)
Ausschnitt a
Böhne und Weit, Berlin
vom:
—NIUS

Im Lustspieltheater gab es einen sehr interessanten Einakterabend: eine Satire von
Lucian „Die Fahrt über den Stpx“, die Haul Lindau für das Berliner Theater bühnenmäßig
einrichtete und deren glänzende Aufführung in Berlin mir nach lebendig vor Augen steht, einen
kräftigen Akt von Erich Korn, „Mamsell Courage“, und ein ironisches Spiel von Schnitzlern
„Zum Großen Wurstel“. Erich Korns Dramolet ist ein Stück Grimmelshausen, mit starker Faust
auf die Bühne gesetzt. In der straffen, gedrungenen Kemposition, in der Herausarbeitung des
Effekts, der theatermäßig ist, ohne durch Theatralik zu verletzen (Theatralik ist doch nur die ver¬
stimmende Absichtlichkeit der Wirkung, die nicht genügend menschlich motiviert ist), merkt man
einen großen Sinn für szenische Kunst. Ein Lagerbild aus dem dreißigjährigen Kriege. Eine Dirne,
die aber trotz aller leichtfertigen Aventuren ein tapferes Mädel ist, und wenn sie auch mit allen
Oflizieren scharmuziert, dann doch brav in der Schlacht mittut, hat endlich einen Mann gefunden,
der sie heiratet, sie ehrlich machen will. Dieser Mann ist ein welscher Fechtmeister, ein eitler
Fant. Die Offiziere hänseln den jungen Gatten, denn sie ärgern sich, daß er nun das schöne
Mädel für sich allein haben soll. Sie reizen ihn, sie sticheln und spot'en so unverschämt, bis er
die freche Wette eingeht, daß er in der Brautnacht sein Weib schlagen wird. Er erntet den ver¬
dienten Lohn, denn Courage, die voll innerer Ehrlichkeit demütig zu dem Manne aufschaute, der
ihr Selbstachtung wiedergeben wollte, die ihn wirklich liebte (wenn auch vielleicht nur aus Dank¬
barkeit), empört sich und ersticht ihn, ehe er sie mit der Heitsche erreicht. Die erste Hälfte des
Stückes ist ganz ausgezeichnet. Die Sprachbehandlung ist famos, jede Figur lebt individuellstes
Leben, die Stimmung ist ohne Mätzchen glänzend getroffen. Der brutale Humor hat packende
Kraft. Der zweite Teil des Aktes (die Szene zwischen den Gatten) ist weit schwächer. Nicht
in der Führung, sondern in der Diktion. Der Verfasser wollte zuviel Pfpchologie entwickeln, zu
viel „Innerlichkeit“ aufrollen. Die Mamsell spricht viel zu viel und viel zu schön. Schade! Das
kleine Ding nahm den Anlauf zu einem Kunstwerk. Und viel weiter als über den Anlauf kommt
auch Schnitzlers Groteske nicht hinaus. Der feine Gedanke, der dem Spiel zugrunde liegt, ist
ein Lieblingsgedanke Schnitzlers (fast könnte man sagen: der Lieblingsgedanke): Wir alle sind
Marionetten. Wir sind stolz auf unsere Freiheit, auf unser Wollen, und wir hängen und tanzen
doch alle an Fäden. Und da gibt es einen Augenblick im Stück, wo „der große Unbekannte“
auftritt und das Schwert, das die Fäden zerreißt, weit über Bühnchen und Bühne hinaus übers
Dublikum schwingt, einen Augenblick wo wir im Tiefsten erschauern und die Hand des Dichters,
des Meisters in Wahrheit über uns fühlen. In diesem Augenblick reckt sich Schnitzler zu einer
Größe empor, die er noch nie erreicht. Das Marionettenspiel freilich, an dem Schnitzler exempli¬
fiziert, das Marionettenstück, das auf einer Praterbühne aufgeführt wird, ist eine Selbstverspottung
und Selbstironisierung, die doch nur ganz intimen Freunden und etwaigen Schnitzlerforschern
völlig verständlich ist. Hier hätte der Dichter, statt seiner selbst zu spotten und sein eigenes Theater
zu karikieren, eine Satire der Kunst und des modernen Lebens liefern können, die uns lachend
erschüttert hätte. Aber er wollte wahescheinlich nur für sich selbst Komödie spielen, und seine
bittere Selbstironie hat einen gar wehmätigen Klang. Ein Scherzo auf zerrissenen Saiten! Dör¬
manns „Frau Baronin“ (deren Uraufführung unter dem Titel „Die Mama“ im Münchener
Schauspielhause stattfand) folgte dem Einakterabend. Das Stückkfand hier eine bei weitem freund¬
lichere Aufnahme als seinerzeit in München. Es war ein ganz entschiedener Erfolg, wenngleich die
komischen und drastischen Einzelheiten aus dem gut geschilderten Sumpfmilien (Dörmann scheint
von diesem Milien gar nicht loskommen zu können!) wirkte als die recht leichtsinnig geführte
Handlung. Die Aufführung war sehr gut. Jarno gab den Jobber Grabner und lieh der ab¬
gebrauchten Judentppe eine innerliche Tragik — Rassentragik möchte man sagen —, an die der
Dichter wohl selbst kaum gedacht hat. Frl. Hofteufel brachte für die Baronesse, die reine
Blume im Sumpfe, den frischen Reiz ihrer Jugend mit. Kann man einer jungen Dame etwas
Schöneres nachrühmen? Und Frl. Hosteufel ist ganz entzückend jung.
Rudolf Lothar.
)In der Buchausgabe, S. Zischers Verlag, Berlin 1906, Iik 2.—, mit den Einaktern „Der Huppenspieler“ und
„Der lapfere Cassian“ unter dem Titel „Marionetten“ vereinigt.
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