II, Theaterstücke 17, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 3), Zum großen Wurstel. Burleske in einem Akt (Marionetten), Seite 44

WI
17.3. Zum grossenArstel
Telephon 12801.
„OBSERVER‘
I. österr. behördl. konz. Unternehmen für Zeitungs-Ausschritte
Wien, I., Concordiaplatz 4.
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in Berlin, Budapest, Chicago, Christiania, Genf, Kopenhagen.
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San Franeisco, Stockholm, St. Petersburg.
(Quallenangabe ohne Gewähr.)
Ausschnitt aus:
Vorhang Auf, Wien
vom 9/0
Und nun zu Arthur
Schulinler dessen msgezeichnete Durleskte „Zum großen
Wülstel Tebhaft interessierte. Warum er den Schauplatz
gerade in den Prater verlegte, diese Frage ist ein Problem,
welches sich jeder nach seiner Art lösen soll. Mir wäre
für diese feine moderne Groteske ein anderer Schauplatz
lieber. Oder wenn schon — denn schon! Seine Zuseher
sind für Praterbesucher viel zu sanft, sie lassen die
Vorgänge auf der Bühne, die für ihren ldeenkreis eitel
Blödsinn bedeuten, viel zu ruhig über sich ergehen.
Solche Naturkinder pflegen noch Bierkrügel auf die
Uberhaupt die gewissen Neben¬
Bühne zu werfen
figuren, denen man bei dem Serenissimusspielen so gerne
begegnet, sind zu wenig hervortretend. Der Wohlwollende,
der Bissige und der Naive sind Gestalten, aus denen
Schnitzler mehr hätte machen sollen. Auch der Räsoneur
Natürlich sticht wie immer bei Schnitzler, die liebenswür¬
dige und graziöse Form und die satirische Art des Dialogs
hervor. Auch dieses Stück war brillant inszeniert und
wurde dementsprechend gespielt. Namen zu nennen ist
überflüssig, alle standen ehrenvoll auf ihren Plätzen. Jarno
spielte „einen Unbekannten im schwarzen Mantel“. Eine
Rolle mit einigen sehr tiefsinnigen Sätzen. Er bewies, daß
man auch mit ganz kleinen Rollen sein Auditorium faszi¬
nieren kann. Natürlich nicht nur mit seiner Rolle,
sondern auch mit denjenigen seiner Mitglieder. In jedem
steckt ein Teil seiner großen Regiekunst. Und deshalb
müssen sie ihm auch dankbar sein
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Der jüngste literarische Abend im Lust¬
spieltheater, der zu wolltätigem Zwecke ver¬
anstaltet wurde, brachte dre Einakter, von denen
die beiden ersten „Die Fahrt über den Styx“
und „Mamsell Courasche“ wirklich literarische
Bedeutung haben, was man Schnitzlers „Zum
großen Wurstel“ nur bedingungsweise zuerkennen
kann. „Die Fahrt über den Styx“ ist ein, von
Paul Lindau für die moderne Bühne herge¬
richtetes Werk, dessen Autor — der griechische
Philosoph Lukianos — schon seit 1700 Jahren
tot ist. Das haben die wenigsten „Literaturfexe“
bei der Erstaufführung im Lustspieltheater gewußt,
denn der alte Philosoph läßt seine Figuren Reden
führen, die ganz modern klingen und Lindau tat
das Seine dazu, um den Modergeruch und das
Mumienhafte, die in einzelnen Ideen stecken, zu
übertünchen. Eine Dame, die in den Literatur¬
salons sogar ziemlich viel Einfluß hat und nicht als
Bildungsprotzingilt, meinte ganzharmlos: „Esist ein
bißchen Dante nachempfunden“. Verehrte Gnädige!
Nun wissen Sie, warum ich auf Ihre Bemerkung
keine Antwort gab. Sie haben mich wirklich in
eine peinliche Verlegenheit gebracht. Frl. Joseffy
und die Herren Valberg und Hofer wirkten
verdienstvoll im Geiste des alten Griechen. „Mam¬
zell Courasche“ ist ein nicht schlecht gemachtes
Ding und läßt an allen Ecken und Enden eine
gewisse Originalität erkennen, die unbedeutende
Episoden zu hübschen Effekten bringt, ohne auf¬
dringlich zu werden. Die erste Hälfte des Stückes
ist sogar reizend gemacht, doch der Schluß paßt
nicht in den leichten Ton der Entwicklung; er
ist zu tragisch und das gefiel den Leuten nicht,
die wohl keine Zähmung der Widerspenstigen,
aber doch auch keinen Mord erwartet hatten.#
Das Zischen war jedoch keinesfalls am Platzen
und wenn Herr Korn Zeugen braucht, daß viele
Leute, unbefangene und sachverständige Leute, seinem
Werkchen und den Darstellern Frau Helm, den
Herren Bulß, Dumont, Valberg, Kneidinger
und Nerz aufrichtig Beifall gespendet haben, so
stelle ich mich gerne zur Verfügung. Ich habe
viele solche gesehen. Und nun Schnitzler! Gestatten
Sie, Herr Doktor, daß ich unterscheide zwischen
mir als Menschen und mir als Kritiker. Ich###
kenne Ihre Werke, deshalb kannte ich auch alle
Ihre Personen, die von den Herren Jarno,
Hofer, Guttmann und Straßni so
trefflich verkörpert wurden. Was aber soll sich
ein Theaterbesucher denken, der Ihre liebens¬
würdigen Gemeinheiten nicht gelesen hat? Wie
soll so ein Prolet in modernen Literaturfragen,
der vielleicht noch Schiller, Goethe oder Lessing
in die Literatur einrechnet, den Weg finden zum
Verständnis Ihrer Geistesblitze? Wie kann
jemand, der sich über die Art Ihrer Persiflagen
jund Satyren nicht unterrichtet hat, Sie und
Ihre Arbeit erfassen? Oder ist dieses Werkchen
wieder nur für eine kleine Gemeinde geschrieben?