II, Theaterstücke 17, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 1), Der tapfere Cassian. Puppenspiel in einem Akt (Generalprobe), Seite 25


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hagen, London, Madrid, Mailand, Minneapolis, New-Vork,
Paris, Rom, San Francisco, Stockholm, St. Petersburg.
(Quellenangabe ohne Gswahr.)
□ Ausschnitt aus:
7. MILEZ 1908
Wiener Deutsches Tagblatt, Wien
E vom:
Crenn
Marionettentheater in der „Fledermaus“.
(Wer viel ins Theater geht, kommt von Zeit zu Zeit
immer wieder zur Erkenntnis, daß alles dramatische Ver¬
gnügen schließlich darauf hinausläuft, was Shakespeare in
seinem „Sommernachtstraum“ ausgesprochen hat: „Das
Beste in dieser Art ist nur Schattenspiel und das
Schlechteste ist nichts Schlechteres, wenn die Einbildungs¬
kraft nachhilft.“ Und parallel mit dieser zeitweisen Er¬
kenntnis laufen die immer wiederkehrenden Versuche, das
alte Puppenspiel wiederzubeleben. Ich erinnere mich noch,
als es in Wien ein ständiges Marionettentheater gab. Es
war nächst der Hernalser Linie in einer Holzbude unter¬
gebracht. Bevor ich noch eine Ahnung von der Bedeutung
eines Jakob Ayrer oder Hans Sachs hatte, habe ich dort
ihre Schwänke kennen gelernt. Freilich in entstellter Form,
aber doch so treu nach der lebendigen Ueberlieferung, daß
ich sie später bei der Lektüre wieder erkennen konnte.
Auch die Bekanntschaft mit Dr. Faust habe ich dort
früher gemacht, als mit Goethes weltumspannender
Faustdichtung. Und als ich zu Beginn der achtziger Jahre
die Mittelschule verließ, wurde ich Zeuge, wie Richard
v. Kralik und Josef Winter den Versuch unternahmen,
durch Nachdichtung einiger Puppenspielstücke das Mario¬
nettentheater, das sich nur mehr auf dem ehemaligen Holz¬
platzel als Krippenspiel erhalten hatte, von neuem zu be¬
leben. Nun hat der Münchener Schriftsteller Paul Braun
den Versuch wieder aufgegriffen und hervorragende bildende
Künstler zur Mitarbeit herangezogen, um eine künstlerische
Wiederbelebung des Marionettentheaters anzubahnen. Die
durch hyperraffinierte Bühnenkünste genährte Sehnsucht
des Publikums nach den Freuden kindlicher Einfalt kam
seinem Versuche auf halbem Wege entgegen und er hat
in München so großes Glück mit seinem Unternehmen,
daß er es jetzt auf Reisen führt. Von heute an ist
es in den Nachmittagsstunden zwischen 5 und 7 Uhr
im Kabarett „Fledermaus“ zu sehen. Gestern war Ge¬
neralprobe vor geladenen Gästen, die sich sichtlich aufs
allerbeste unterhielten. Es gibt in der Tat nichts Spassigeres
als diese grotesken Puppenbewegungen, und alle echte
Bühnenkomik ist auf sie zurückzuführen. Am deutlichsten
merkt man dies, wenn Kasperl in die Aktion tritt. Da
kann man noch so griesgrämig sein, man muß über ihn
lachen, ob man will oder nicht. Wenn er nicht mittut,
gibt es kein volles Puppenvergnügen. Darum kann die
Wahl von Artur Schnitzlers. Puppenspiel „Der
tapfere Cassian“ keine sehr glückliche genannt
werden. Hier bestreitet zu sehr das Wort den Witz und so
viel man auch die schönen Dekorationen bewundern mochte
und die köstlich wiedergegebenen Gesten, womit die
Puppen den Dialog begleiteten, es fehlte an
der Einfalt, es fehlte an dem naiven Geiste wahrer
Puppenhaftigkeit. Diesen fand man erst in dem mit
unglaublicher Zauberei vermischten Drama „Das Eulen¬
schloß“ von Franz Graf v. Pocci am Werke. Hier
trat auch Kasperl in seine vollen Rechte. Wie er den
Minister spielte, zu dessen Würden er unverhofft kam, das
gewährte gestern ein besonders pikantes Vergnügen, weil
ein wirklicher Minister, Dr. Geßmann, unter den ge¬

ladenen Gästen vertreten war. Im Kabarett „Fledermaus“
werden die Puppenspiele ohne Zweifel vorübergehend ihre
Schuldigkeit tun. Daß aber von ihnen eine dauernde
Wiederbelebung des Marionettentheaters ausgehen werde,
ist kaum zu erwarten. Dazu bieten die Kinematographen¬
theater mit ihren ungleich stärkeren Reizungen eine zu ge¬
fährliche Konkurrenz.
Theater und Kunst.
#
Marioneftentheater.
k. 8. Das Kabarét#“Fledermaus“ bringt eine
künstlerische Delikatesse nach der anderen. Zuerst
die Shweltern Wiesenthal, dann die marok¬
kanische Tfnzekin, und jetzt dieses entzückende
kleine Maribnettentheater Münchener Künstler.
Herr Peuk Brann hat es vor einigen Jahren
gegründet, und — wenn ich mich recht erinnere
gelegentlich der großen Ausstellung in
Nürnberg zum erstenmal dem Publikum vor¬
geführt. Jetzt besitzt dieses Puppenspiel in
München sein eigenes Heim, berühmte Maler
entwerfen die Dekorationen für diese Bühne
und liefern ihr auch zugleich die Schauspieler.
Repertoirestütze ist der liebenswürdige Graf
Pocci, ein italienischer Münchener, Zere¬
monienmeister unter König Ludwig I., und als
Dichter lustiger Kinderreime, als Illustrator
wie als Autor reizender Kasperlkomödien übers
Grab hinaus berühmt. Herr Paul Brann, der
das Marionettentheater leitet, sei übrigens auch
auf die „Volksbühnenspiele“ aufmerksam ge¬
macht, die Pöhnl gesammelt hat. „Der liebe
Augustin“
der sich darin findet, gäbe Ver¬
anlassung zu den schönsten Altwiener Szenerien
und zu entzückenden Puppen. Und könnte mit
seiner melancholisch=heiteren Poesie ein Zugstück
werden.
Gestern wurde vor einem geladenen Publi¬
kum „Der tapfere Cassian“ von Arthur Schnitz.
ler aufgeführt, ein zierliches, kleines Meister¬
werk von einer unbeschreiblichen Anmut und
voll nachdenklicher Schönheit. Dieses Stückchen,
das der Dichter selbst „ein Puppenspiel“ nennt,
kann nirgends besser, reizvoller und echter
herauskommen als in der Darstellung von
Marionetten. Alles, was daran unwirklich,
phantastisch, grotesk und von freischweben¬
der Leichtigkeit ist, wird da doppelt deut¬
lich. Die Figuren, die vom Prof. Ignatius
Taschner herrühren, sind außerordentlich
charakteristisch, und ihre Bewegungen haben
eine deliziöse Lebendigkeit. Es ist manchmal
gar nicht, als ob Puppen agieren würden, son¬
dern als sähe man traumwandelnde Menschen
aus der Ferne. Nach dem Cassian kam „Das
Eulenschloß“, dessen Untertitel lautet: Ein mit
unglaublicher Zauberei vermischtes Drama in
vier Aufzügen, von Franz Graf von Pocci, mit
Musik von Alfred Pauer. Die Figuren dazu hat
Prof. Jakob Bradl gemacht, und man muß
zum Beispiel die drei Bauern sehen, die einfach
wunderbar komisch wirken. Vielleicht gibt dieses
Münchener Marionettentheater, das jetzt auch
bei uns großen Erfolg haben dürfte, den
Wiener Malern die Anregung, eine ähnliche
Kasperlebühne zu machen. Es wäre doch zu
hübsch, wenn wir auch in Wien solch ein künst¬
lerisches Spielzeug besäßen, es wäre bei der
„Fledermaus“ in guten Händen, und man
könnte hundert reizende Dinge damit an¬
fangen.
Der Generalprobe wohnte Minister Dr. Ge߬
mann mit dem Abg. Axmann bei, ferner
Prof. Klimt, Oberbaurat Wagner, Prof.
Kolo Moser, Prof. Hoffmann und viele
Künstler, Schriftsteller und Schauspieler.
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