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17.2. Der tanferCassian
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Ich hätte sonst nichts weiter zu sagen, als daß Fräulein Fladnitzer als
Colombine unmöglich ist, während sie im dritten Dings eine Zofe in Männer¬
höschen recht forsch gibt. Herr Schroth singt an diesem Abend drei Par¬
tien. Sein Tenor scheint mir allemal im Herbst Frostbeulen zu bekommen.
Und das ist schade; denn als Schauspieler leistet Schroth neben Kafe das
beste im ganzen Opernensemble. Kase: ihm mag Herr Oskar Straus vor
allem die Hand drücken; denn seine Kunst rettete den Abend in erster Linie.
Und dann: wie unser herrliches Orchester selber aus lauter tauben Nüssen
noch immer einen Christbaum ganz wunderhübsch zu schmücken weiß!
Um eine Bescherung aber handelte es sich an diesem Straus=Abend. Um
eine schöne Bescherung.
apl.
Der Schiller=Zyklus des Stadttheaters.
Von Moritz Wirth.
Die Räuber (19. Oktober). — „Es ist merkwürdig,“ sagt Li#be im
„Burgtheater“, XIII, „was dies erste Stück Schillers den Leuten zu schaffen ge¬
macht, was für lodernde Sympathien, was für grimmige Antipathien es ge¬
weckt hat. Der ganz neue Kern eines Genies, welcher zum ersten Male vor
den Menschen erscheint, macht eben als ganz neu und unerhört den heftigsten
Eindruck.“ Der große „Schreck“, führt Laube weiter aus, sei „an den
„Räubern“ immer haften geblieben“; das Burgtheater gewann in ihnen ein
„unverwüstliches Zugstück". Sollte das nicht mehr so sein? Sollte selbst
diese titanische Urkraft der Zeit zum Opfer gefallen sein? Nein und Ja.
Die unerhört gewaltige, von Akt zu Akt bis zum Entsetzlichen wachsende
Leistung Herrn Walters als Franz riß das Haus mit sich fort, sprengteaber
auch das Stück völlig auseinander. Auf gleicher Grundlinie, wenn auch
natürlich nicht bis zur selben Höhe aufragend, bewegten sich nur noch Fr. Mon¬
nard, die zeigte, daß Amalia eine lebensvolle Gestalt, nur aus einer weicheren,
einfacheren Zeit als die unfrige, sein könne, und der Hermann des Herrn
Brügmann. Das wäre das Nein. Das Ja besorgten die übrigen Darsteller
und Szenen. Was nützte es, daß unsere ersten Kräfte, die Herren Decarli,
Huth, Kothe, Zadeck und alle anderen ihr Bestes getan haben werden; aber
man sah es nicht, es verlor sich durch den Gegensatz des sich mehr und mehr
entfaltenden Spieles Herrn Walters in eine schattenhafte Unwirksamkeit.
Und so, mit diesem klaffenden Gegensatze des Eindrucks, ist das Stück in
der Tat kaum weiter haltbar.
Was tun? Man könnte den Franz so abschwächen, daß die übrigen
Teile wieder herausträten. Wie weit, wie Schillers würdig, müßte der Ver¬
such lehren. Aber man wird eher auf das Stück, als auf diesen Franz in
ihm verzichten. So bleibt nur der zweite Weg, alles übrige zur Ebenbüftig¬
keit mit Franz zu steigern. Und das erscheint möglich. Z. B. das Räuber¬
lied mit seinen grell naturalistischen Dissonanzen müßte zu diabolischer Höhe
anschwellen; dem Lager fehlte ein mächtig loderndes Feuer. Der Sonnen¬
untergang war ein elegisches Verglimmen hinter einem hohen und sehr nahen
Bergrücken, das noch dazu kein Ende nahm; so stirbt kein Held. Die rote
17.2. Der tanferCassian
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Ich hätte sonst nichts weiter zu sagen, als daß Fräulein Fladnitzer als
Colombine unmöglich ist, während sie im dritten Dings eine Zofe in Männer¬
höschen recht forsch gibt. Herr Schroth singt an diesem Abend drei Par¬
tien. Sein Tenor scheint mir allemal im Herbst Frostbeulen zu bekommen.
Und das ist schade; denn als Schauspieler leistet Schroth neben Kafe das
beste im ganzen Opernensemble. Kase: ihm mag Herr Oskar Straus vor
allem die Hand drücken; denn seine Kunst rettete den Abend in erster Linie.
Und dann: wie unser herrliches Orchester selber aus lauter tauben Nüssen
noch immer einen Christbaum ganz wunderhübsch zu schmücken weiß!
Um eine Bescherung aber handelte es sich an diesem Straus=Abend. Um
eine schöne Bescherung.
apl.
Der Schiller=Zyklus des Stadttheaters.
Von Moritz Wirth.
Die Räuber (19. Oktober). — „Es ist merkwürdig,“ sagt Li#be im
„Burgtheater“, XIII, „was dies erste Stück Schillers den Leuten zu schaffen ge¬
macht, was für lodernde Sympathien, was für grimmige Antipathien es ge¬
weckt hat. Der ganz neue Kern eines Genies, welcher zum ersten Male vor
den Menschen erscheint, macht eben als ganz neu und unerhört den heftigsten
Eindruck.“ Der große „Schreck“, führt Laube weiter aus, sei „an den
„Räubern“ immer haften geblieben“; das Burgtheater gewann in ihnen ein
„unverwüstliches Zugstück". Sollte das nicht mehr so sein? Sollte selbst
diese titanische Urkraft der Zeit zum Opfer gefallen sein? Nein und Ja.
Die unerhört gewaltige, von Akt zu Akt bis zum Entsetzlichen wachsende
Leistung Herrn Walters als Franz riß das Haus mit sich fort, sprengteaber
auch das Stück völlig auseinander. Auf gleicher Grundlinie, wenn auch
natürlich nicht bis zur selben Höhe aufragend, bewegten sich nur noch Fr. Mon¬
nard, die zeigte, daß Amalia eine lebensvolle Gestalt, nur aus einer weicheren,
einfacheren Zeit als die unfrige, sein könne, und der Hermann des Herrn
Brügmann. Das wäre das Nein. Das Ja besorgten die übrigen Darsteller
und Szenen. Was nützte es, daß unsere ersten Kräfte, die Herren Decarli,
Huth, Kothe, Zadeck und alle anderen ihr Bestes getan haben werden; aber
man sah es nicht, es verlor sich durch den Gegensatz des sich mehr und mehr
entfaltenden Spieles Herrn Walters in eine schattenhafte Unwirksamkeit.
Und so, mit diesem klaffenden Gegensatze des Eindrucks, ist das Stück in
der Tat kaum weiter haltbar.
Was tun? Man könnte den Franz so abschwächen, daß die übrigen
Teile wieder herausträten. Wie weit, wie Schillers würdig, müßte der Ver¬
such lehren. Aber man wird eher auf das Stück, als auf diesen Franz in
ihm verzichten. So bleibt nur der zweite Weg, alles übrige zur Ebenbüftig¬
keit mit Franz zu steigern. Und das erscheint möglich. Z. B. das Räuber¬
lied mit seinen grell naturalistischen Dissonanzen müßte zu diabolischer Höhe
anschwellen; dem Lager fehlte ein mächtig loderndes Feuer. Der Sonnen¬
untergang war ein elegisches Verglimmen hinter einem hohen und sehr nahen
Bergrücken, das noch dazu kein Ende nahm; so stirbt kein Held. Die rote