II, Theaterstücke 17, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 2), Der Puppenspieler. Studie in einem Aufzuge, Seite 1

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17. Marionetten
17.1. Der Punpenspieler box 22/5
LEOPOLD KATSCHER
BUDAPEST 1.
Váresmajorgasse 33.
er New-Yorker Staats-Zeitung, 12. Juli 1903.
sen? Ei, verehre doch auch gleich dem dick¬
offenbar um keinen Preis ärgern zu wollen
Georg (beinahe vor sich hin): Grau sein
Der Puppenspieler.
nasigen Kapitän einen goldenen Chrono¬
schien.
Ansae M
beweist nichts. Auch die Jahre beweisen
meter, und jedem von der Mannschaft eine
„Sie mögen Recht haben, liebes Fräu¬
Studie in einem Aufzuge von Arthur Schnitzler.
nichts. Giebt es nicht Menschen, die noch
Tausenddollars=Lebensversicherungspolice,
lein,“ sagte er. „Gut zu tanzen, das erfor¬
mit sechzig oder siebzig Jahren Väter wer¬
Personen:
dafür, daß sie Deinen kostbaren Leichnam
dert viel Uebung. Und dazu hatte ich
den — oder Feldzüge mitmachen? Kann
glücklich herüber gebracht haben! Es ist
Georg Merklin.
eigentlich niemals Zeit. Jetzt habe ich wohl
man solche Leute alt nennen? Nein. Nur
wirklich großartig — man meint gerade Du
manchen freien Abend, doch nun bin ich zu
Eduard Jagisch, Obosspieler.
Eines beweist, daß man zu alt ist — der
wärst so'n geschwollener Kohlenbaron oder
bequem geworden, um mit den Jünglingen
Anna, seine Frau.
Tod. Alt sind nicht die Hundertjährigen,
Kupferkönig! — Jetzt willst Du schlafen,
um die Wette zu hüpfen. Habe auch nie
Beider Sohn, acht Jahre alt.
alt sind, die morgen sterben müssen. (Zum
denn morgen früh werden wir wahrschein¬
besondere Lust zum Tanz empfunden und
Ein Dienstmädchen.
Fenster hinausweisend): Diese junge Dame
lich bei Zeiten herausgetrommelt? Schlafe
ihn jetzt nur erwähnt, weil ich weiß, daß
ist uralt, wenn sie an der nächsten Ecke todt
Bescheiden, aber behaglich eingerichtetes
doch, wer hindert Dich! Du hast wohl
er den Damen Vergnügen macht.“
zusammenstürzt.
Zimmer. Zwei Fenster, Blick auf
Furcht, daß Du keine Gelegenheit mehr
„Ich danke“, sagte Meta, indem es sich
Eduard (zu ihm hin): O, ich dachte, Du
Dächer, Hügel, blaßblauen Früh¬
findest, thranenfeuchten Abschied von Dei¬
um ihre Mundwinkel verächtlich kräuselte.
erblickst meine Frau, sie muß nämlich je¬
lingshimmel. Rechts Ein¬
ner Blondine zu nehmen. Ihre Adresse
„Es thäte mir leid, Sie in Ihrer Behag¬
den Augenblick kommen. ... Nein, nein,
gangsthür, links auch
hast Du wohl schon — wird das eine zärt¬
lichkeit zu stören, wenn ich Sie vielleis zu
sie ist es nicht.
eine Thür.
liche Korrespondenz geben! Aber nimm'
einem Tanz verführte.“
Georg: Es hätte mir auch leid gethan.
Eduard Jagisch von rechts. Schmächtiger,
Dich gut in Acht, Alterchen — ich visitire
Solche spitze Reden führte das Mädchen,
Eduard: Leid — warum denn?
bartloser Mann von etwa 40 Jahren, be¬
Dir regelmäßig die Taschen und Gnade
die zum Glück wenig beachtet wurden. Der
Georg: Nun, ich habe Grund, mit sol¬
Dir, wenn ich etwas finde! So, nun
scheiden und nett gekleidet; im Gehaben
Kunstzeichner schien an die üble Laune sei¬
chen Bemerkungen vorsichtig zu sein.
schlafe und träume von dem herzigen We¬
ein wenig befangen, liebenswürdig. Gleich
ner Dame schon gewöhnt, auch die Mutter
Eduard: Wie meinst Du das?
sen!
hinter ihm Georg Merklin, etwa 50 Jahre,
kargte schon mit den mißbilligenden Blicken
Georg: Ich will Dir eine Geschichte er¬
Ich habe das seltsame Paar, wie gesagt,
ziemlich grauer Vollbart, dichtes graues
an die Tochter, weil sie wußte, daß sie
zählen, die mir vor ein paar Jahren auf
nie persönlich gesehen, doch dem Zimmer¬
Haar; abgetragener Ueberzieher mit auf¬
nichts nützten, der Vater rauchte gemächlich
der Eisenbahn passirt ist. Es war früh
kellner zufolge war „Mrs. Growley“
gestelltem Kragen, dunkle, etwas fettig
seine Pfeife und sah nur manchmal mitlei¬
um 6 Uhr, ein Wintermorgen. Mir gegen¬
fat, fair and forty, und der Märtyrer
glänzende Beinkleider, weicher Hut, stau¬
dig zu dem jungen Mann hinüber, als wolle
über
sitzt ein Mensch, lehnt in der Ecke
schmächtig, ungemein schüchtern und von
bige, vertretene Schuhe, aber in seinem
er sagen: „Ja, siehst Du, mein Junge;
und schlummert. Ich kenn' ihn nicht, ich
fast abschreckender Häßlichkeit.
Auftreten eine gewisse auch äußere Vor¬
warum mußtest Du Dich an dieser Angel
hab' ihn nie gesehen, er interessirt mich
nehmheit.

verbeißen?“ Die anderen bemerkten kaum
nicht im allergeringsten. Plötzlich geht mir
den kleinen Krieg, plauderten und lachten
Eduard: Ja, nun wären wir zu Hause.
durch den Kopf: Stirb! Und mit diesem
(Für das „Sonntagsblatt der N. Y. Staats=Zeitung“.)
froh durcheinander.
Tritt ein, Georg, ich heiße Dich willkom¬
Gedanken sah ich ihn eine geraume Weile
Metas ältere Schwester, die Gärtnerin,
men. Ich kann Dir gar nicht sagen, wie
an. Er schläft weiter und rührt sich nicht.
Diesitzengebliebene Hyacinthe.
eine hübsche junge Frau mit gebräuntem
sehr ich den Zufall preise, wie sehr ich mich Ich blicke wieder zum Fenster hinaus in
Skizze von Th. von Liska.
Gesicht, so um die dreißig herum, achtete in¬
freue.
(Er legt Hut und Ueberzieher
die beschneite Landschaft, wie es meine Art
Der Eisenbahnzug, der in die Umgebung
dessen wohl auf das böse Spiel. Nach
auf das Sofa.) So. — Willst Du nicht
ist, und vergesse den Kerl vollrommen. Wir
der Stadt führte, war überfüllt. Kein
ablegen?
einiger Zeit sagte sie zu dem jungen Mäd¬
kommen in Wien an. Ich erhebe mich
Plätzchen war leer in den Waggons, ja, die
chen: „Willst Du nicht mit mir in den
Georgz (hält seine Uebenzieher mit eini¬ steige aus, der Andere nicht. Der Andere
Leute standen zwischen den Sitzbänken um¬
Garten kommen? Ich zeige Dir meine
bleibt sitzen, regungslos. Ich rufe Leute)
ger Absichtlichkeit fest): Danke, dante.
her, der hohen Obrigkeit spottend, die das
schönen Blumen.“ Das Mädchen merkte,
Evuard (betrachtet die Kleidung herbei — man trägt ihn hinaus erw
streng untersagt hatte. Die Menschen wol¬
daß ihr die Schwester etwas zu sagen hatte,
todt ... todt. Die Aerzte nannten es Herze
Georg's; über sein Gesicht gleitet ein Zug
len sich eben aus der ganzen Stadt in's
und folgte ihr willig, schon, weil sie es
schlag.
des Mitleids, das er aber nicht merken
Grüne flüchten. Und einen schönen Sonn¬
schön fand, den stillen Verehrer allein zu
Eduard: Jedenfalls ein sonderbarer Zu¬
lassen will): Ja, Du hast Recht, es ist ei¬
tag unbenützt zu lassen, wäre wahrhaftig
lassen.
fall.
was kühl. Aber natürlich, man heizt doch
Sünde. In manchen Waggons waren
„Ja, was hast Du denn gegen diesen
Georg: Zufall? — Weißt Du denn, wie
nicht mehr Ende April — nicht wahr? —
durchweg Bekannte, Nachbarn aus der näm¬
jungen Mann?“ fragte die Schwester im
viel Tag für Tag auf der Welt geschieht,
Willst Du nicht Platz nehmen? (Georg
lichen Straße. Väter und Mütter und
Garten. „Die Mutter sagt, er sei ein präch¬
weil es irgend Jemand insgeheim wollte
bleibt stehen.) Nun, Georg, weißt Du auch,
Kinder. Die Väter rauchten gemüthlich
tiger Junge mit schöner Zukunft. Früh
oder auch nur leichtfertig aussprach? Ahnst
wie lange es her ist? Mehr als elf Jahre
ihre Pfeife, die Mütter hatten unendlich
mit seinen Geschwistern verwaist, habe er
Du etwas von der geheimnisvollen Macht,
... jawohl, mehr als elf Jahre haben wir
∆.
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viel miteinander zu reden. Die Tochter
die Kleinen erzogen, unterrichten lassen, auf
die in schöpferischen Naturen steckt? — Ich
einander nicht gesehen. Und das Sonder¬
flirteten mehr oder minder verschämt mit
die Bahn des Erwerbs geführt. Dabei blieb
begab mich zu einem Kommissär und theilte
bare ist, daß es gerade gestern elf Jahre
den stillen und lauten Anbetern, die sie mit
ihm noch Zeit, sich vom einfachen Arbeiter
waren.
ihm den Sachverhalt mit. „Setzen Sie
sich führten. Die halbwüchsigen Schwester¬
zum Kunstzeichner emporzuringen. Er
mich ins Gefängnis, Herr“ sagte ich, „denn
Georg: Gestern?
chen saßen dabei, ganz still, wie die Mäus¬
macht die Entwürfe zu den neuartigen, se¬
offenbar bin ich es, der diesen Herrn er¬
Eduard: Ja, ich weiß, daß es gerade der
chen, und lauschten auf die vieldeutigen
zessionistischen Kunstgegenständen in seiner
mordet hat. Dabei empfinde ich nicht die
achtundzwanzigste April war. Denn der
Reden, von denen so viel zu lernen war.
Fabrik für Silber= und Goldwaaren. Er
geringste Reue.“ Aber der Kommissär
Abend an dem wir das letztemal zusam¬
Die kleinen Buben und Mädchen stopften
hat ein vorzügliches Einkommen, seine
setzte mich nicht ins Gefängnis — er sahr
men waren, ist mir gewissermaßen unver¬
sich die Backen voll mit Kuchen oder Obst
Chefs schätzen ihn, seine Arbeiten werden
mich so einfältig an wie Du und entließ
geßlich geblieben und hat noch in der Er¬
und bildeten beständige Schrecknisse für die
auf den Kunstausstellungen ausgezeichnet.
mich wieder.
innerung einen seltsamen Zauber.
erwachsenen Mädchen, deren frische Früh¬
Ich finde ihn hübsch, angenehm und ge¬
Eduard (freudig): Ja, Du bist es! Du
Georg: Fern.
lingskleider sie zu besudeln drohten.
müthlich. Er sieht Dich gern. Zum Ehe¬
bist der Alte! Georg, Georg! — Wo nur
Eduard: Da geht nun eine so lange Zeit
„Wohin fahren Sie denn, Frau Nach¬
mann würde er sich ausgezeichnet eignen. Er
meine Frau heute, gerade heute so lange
hin, in der man gar nichts von einander
barin?“
liebt seine Ruhe, erträgt Deine Launen mit
bleibt! Wie erstaunt wird sie sein.
gewußt hat — und nun trifft man einan¬
„Zu meiner Tochter, der Gärtnerin. Sie
himmlischer Geduld, thäte alles, was Du
Du kannst Dir ja denken, daß ich häufig
der zufällig auf der Straße. Und so hätte
wissen, sie hat einen wunderschönen Blu¬
willst. Warum kommst Du ihm nicht
von Dir gesprochen habe, Georg. Aber
man vielleicht sein ganzes Leben in der
mengarten. Ein ausgezeichneter Handel.
freundlicher entgegen?“
darf ich Dir nicht eine Cigarre anbieten?
gleichen Stadt leben können, ohne einander
Es ist bei ihr gar so schön, wir sind immer
„Ich weiß nicht“, sagte Meta, „aber er
Georg: Danke, nein, danke; ich rauche
zu begegnen.
ganz berauscht von Blumenduft. Besonders
fällt mir auf die Nerven.“
nicht mehr. Ich yabe mir diese überflüs¬
Georg: Allerdings.
meine Meta, die soviel Poetisches hat.“
„Ach“, sagte die Schwester, „Du hast
sigen Dinge abgewöhnt. Nein, nein, laß
Eduard: Aber ohne meine Schuld. Denn

Meta, die das Poetische hatte, saß da¬
schon Nerven?“
nur „ich würde es nicht mehr gut vertragen.
was mich anbelangt, so habe ich Dich ge¬
„Mich verdrießt eben seine Gutmüthig¬
neben und machte ein recht verdrossenes Ge¬
Eduard: Wie Du willst. Aber setz' Dich
sucht, habe nach Dir geradezu geforscht —
keit. Warum läßt er sich von mir alles ge¬
sicht. Dies galt namentlich ihrem stillen
doch wenigstens. Und sag' mir endlich,
zum mindesten in den letzten drei Jahren,
Verehrer, dem Kunstzeichner Fritz Stein¬
fallen! Ich weiß nicht, warum, aber es
was Du die ganze Zeit über gemacht hast.
seit ich wieder aus Amerika zurück bin.
lein, der den Ausflug auf Einladung der
reizt mich, ihn aufzubringen. Es würde
Ich kann es so gar nicht begreifen, daß man
Es lag mir sehr daran, Dich wieder zu
mir entschieden Vergnügen machen, ihn
Frau Mutter mitmachte, obschon ihm das
überhaupt nichts mehr von Dir gehört hat,
finden.
äraerlich, wüthend# sehen. Wenn er so
Fräulein Tochter nicht besonders gewogen
daß Du so gut wie
S