II, Theaterstücke 17, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 2), Der Puppenspieler. Studie in einem Aufzuge, Seite 2

„Drich derbriegr r
ichte ein rcht verdrossenen Ge
galt namentlich ihrem stillen keit. Warum läßt er sich von mir alles ge¬
fallen! Ich weiß nicht, warum, aber es
m Kunstzeichner Fritz Stein¬
reizt mich, ihn aufzubringen. Es würde
Ausflug auf Einladung der
mir entschieden Vergnügen machen, ihn
mitmachte, obschon ihm das
ärgerlich, wüthend zu sehen. Wenn er so
chter nicht besonders gewogen
eine Kaffeetasse zu Boden schlüge und da¬
sehr hübscher Bursche, groß,
vonliefe, als wollte er nie wiederkommen!
uherzigen Augen, die wie ver¬
Dann würde ich alles thun, um ihn wieder
en, wenn sie bewundernd die
gut zu machen.
s jungen Mädchens betrachte¬
Schönheit war mehr niedlicher
„Wirklich? Aber ich warne Dich davor“,
sagte die Schwester. „Das scheint mir einer,
ger Art. Warum müssen sich
mit den treuherzigen Augen
der .. der nicht wiederkäme, wenn er ein¬
Kaprizengesichtchen vergaffen?
mal bös geworden und weggerannt. Du
mußt mich nicht so überlegen belächeln! Du
n, unbeholfenen Kerle in diese
magst ja viel Macht über ihn haben — aber
ligran=Geschöpfchen mit den
ich würde bedauern, wenn Du zu spät ein¬
Blicken, den nervös zuckenden
und dem Stumpfnäschen?
sähest, wie sehr Deine Schwester recht hatte.
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nziehungskraft der Kontraste?
So wie Du thust, ist nicht klug gethan.
he Fügung der sonst grund¬
Glaubst Du, alle Tage findet sich ein Freier,
wie dieser? Ein hübscher, anständiger
ehung? Oder ein bösliches
orgen wirkender dämonischer
Mensch mit guten Aussichten, der Dich
liebt und Geduld hat mit einer jungen
Gans? Du wirst lange suchen müssen, bis
Urgrund solcher Dinge erfor¬
Du wieder so einen findest, und wenn Du
einen gefunden hast, ist es so sehr fraglich,
andelte ihn. Alle seine Ver¬
ob er Dich nehmen wird. Die Jahre ver¬
spräch in Fluß zu bringen, sie
fließen rasch, manches hübsche Lärvchen ver¬
er Unterhaltung zu fesseln, sie
hlüht gar schnell, junge Mädchen sind keine
nen Gegenstand oder eine Be¬
Waare, die mit den Jahren an Werth ge¬
interessiren, scheiterten an ihrer
winnt. Und später wird von ihnen jeder
Einsilbigkeit, an ihrer ent¬
genommen, wie er auch sei, und das Leben
erbohrtheit, alle seine liebens¬
gestaltet sich dann recht mühevoll und trüb¬
lnnäherungsversuche kläglich
selig. Und was das traurigste, solch dum¬
assen. Lange hatte sie schon
mes Ding muß sich täglich sagen: „Dir ist
Landschaft bewundert, wie an
recht geschehen. Besser hast Du es nicht
Die Telegraphenstangen, die
verdient.“
vorüberzufliegen schienen,
„Du hast ja eine schöne Meinung von
enbar mit einer Gewissenhaf¬
mir und machst mir schöne Aussichten!“
n Mensch bei ihr vorausgesetzt
sagte Meta mit weinerlicher Stimme.
wandte sie den Blick in das
„Na, es ist nicht übel gemeint“, sagte die
fehlte er niemals, mit schwär¬
Schwester lächelnd. „Thu' übrigens, was
hlgefallen auf einem dickköpfi¬
Du willst. Und nun schau' meine Blumen
rigen Unteroffizier zu weilen,
an. Diesen Wald von Stöcken mit den
ieft schien in die geheimnisvol¬
weißen Rosen! Ist das nicht herrlich?
ungen einer älteren, umfang¬
Und da meine Hyazinthen! Aber schau —
, die seinem Herzen zweifellos
ei, ei
da ist eine sitzengebliebene
und eine unglaubliche Menge
Blume —“
sehr appetitlich aussehender
„Sitzengebliebene Blume?“
aus ihrem seidenen Handtäsch¬
förderte.
„Sitzengebliebene Hyazinthen, ja. Man
heißt sie so. Es kommt bei manchen vor,
nicht zu verkennenden Zeichen
daß die Blüthentraube mi, den Blättern zu
tblieben vollständig wirkungs¬
gleicher Zeit emporschießt. Dann erstickt sie
verliebten Kunstzeichner, den
zwischen den Blättern und kommt nicht zur
mit Genügsamkeit und Geduld
rechten Entfaltung. Aber es giebt eine
, wie wenige Sterbliche. Sie
Arzenei dafür. Geh', reiche mir einmal die
e, sie wußte es, daß ihn nichts
kleine Kanne dort vom Brunnenrande.“
vermochte, und ein ohnmäch¬
Meta holte die Kanne herbei, und die
zsloser Groll erfüllte sie des¬
Gärtnerin begoß mit ihrem Inhalt die
n. Sie hätte, der Himmel weiß
„sitzengebliebene Hyazinthe“.
egeben, ihm wehe thun zu kön¬
„In dem Wasser ist bereits die Arznei“,
mochte beginnen, was sie wollte,
sagte sie. „Man giebt in dieses Kännchen
nicht zu Stande. Sie hätte
etwa fünfzig Tropfen davon. Eine Lö¬
n vor Wuth, er aber lächelte
sung von Pottasche, Salz, Salpeter. Das
rachtete sie entzückt, und die
hilft. Die Blume schießt darauf energi¬
lte von dem Ziegeldecker, der
scher empor, gewinnt sogar an Farbe. Es
Jahren, kurz vor ihrer Hoch¬
ist eine recht scharfe Arzenei, aber mit an¬
che gefallen war, und der Zug
derer so scheint es, sind Blumen, die sitzen
weiter, an allen Telegraphen¬
zu bleiben drohen, nicht zu retten.“
ei, und gelangte endlich an das
Das junge Mädchen blickte die Schwester
groß an. Merkte sie etwas? Nahm sie sich
nan in der Stube des lauschi¬
die Arzenei zu Herzen?
hauses, das ganz und gar von
Es scheint so, denn als sie zur Gesell¬
bildem Wein umsponnen war.
schaft zurückgekehrt, schenkte sie dem jungen
amilie war da, die Schwester
Kunstzeichner ein liebenswürdiges Lächeln
und Kuchen und Honig aufge¬
und sagte ihm, sie wolle ihm zu Liebe zur
konnte nichts essen, und der
Waldwiese gehen. Er war ganz glücklich,
und da er sie noch nie so freundlich, beinahe
ther Seelenruhe eines der gro¬
zärtlich gesehen, gerieth er nach und nach
oie nach dem anderen.
in den siebenten Himmel und warf sich
tie er genug. Sie hatten schon
mächtig in die Brust.
werde nie geschehen. Nun aber
„Was sich der heute einbilden mag!“ sagte
blauen Augen zu ihr in bedin¬
die Gärtnerin lächelnd zu ihrem Mann.
rgebenheit und sagte:
„Das endet heute mit einem Heirathsan¬
vir nicht, Fräulein Meta, den
trag, laß sie nur vorausgehen! Sie hat
zur Waldwiese machen, den
ihn ja lieb, sie ist nur ein junges, dummes
rten Anwesenden zu wünschen
Ich habe ihr etwas gesagt, das
Ding.
ist wirklich sehr hübsch dort,
scheint gewirkt zu haben —“
ldesduft kommt von den Ber¬
„Was denn?“ fragte der Mann.
ne sehr gute Kapelle spielt zum
„Das mußt Du nun gerade nicht wissen“.
und eine fröhliche Menge ergeht
oser Lustigkeit —“
erwiderte die Frau. „Ihr könnt' Euch
einbilden, soviel Ihr wollt, Ihr sogenann¬
Man spielt zum Tanze auf!
ten Herren der Schöpfung! Sogar für
ie dabei? Sie können ja über¬
freie Wesen könnt Ihr Euch halten, die
tanzen! Wenigstens nicht gut
Euer und unser Geschick bestimmen! Aber
ein gescheites Mädel windet Euch doch um
s, behagliches Lächeln umspielte
des jungen Mannes, der sich den kleinen Finger.“
sucht, habe nach Dir geradezu geforscht
zum mindesten in den letzten drei Jahren,
seit ich wieder aus Amerika zurück bin.
Es lug mir sehr daran, Dich wieder zu
finden.
Georg (der auf demselben Fleck stehen
bleibt, sich im Zimmer umsieht, gleichgil¬
tig): Warum?
Eduard: Warum? Ich sehnte mich nach
Dir — jawohl! Begreifst Du das nicht?
Denke doch, wie viel wir in früherer Zeit
mit einander verkehrten; besonders in der
letzten Zeit meines Wiener Aufenthaltes.
In meinem kleinen Zimmer in der Nu߬
dorferstraße wat es, woo Du uns Dein
Stück vorlasest.
Georg (am Fenster): Ein hübscher Blick.
Eduard: Ja, das find' ich auch. Darum
bin ich so weit herausgezogen. Trotzdem
es manchmal seine mißlichen Seiten hat,
insbesondere wenn ich spät Abends aus
der Oper nach Hause fahren muß, bei
schlechtem Wetter. Wenn es schön ist, geh'
ich manchmal zu Fuß, auch im Winter.
Es dauert doch nicht mehr als drei Viertel¬
stunden. Und dafür ist man dann gerade¬
zu auf dem Land. Es ist sogar ein klei¬
ner Garten bei dem Haus; zwar dürfen
wir ihn nicht betreten, aber es ist doch für
das Kind von Vortheil, wenn es so den
Kopf nur zum Küchenfenster hinauszu¬
strecken braucht und den Duft der Blu¬
men
Ceorg (wendet sich plötzlich um): Du
bist verheirathet?
Eduard (ein wenig erschrocken, daß er
sich zu früh verrathen hat): Allerdings bin
ich das.
Georg: Ja, warum sagst Du mir denn
das nicht gleich?
Eduard: Ich wollte Dich eigentlich über¬
raschen. Ja, hm ... nun ist es heraus.
Georg: Schon lang?
Eduard: Nun, wie man's nimmt. Je¬
denfalls steht es fest, daß meine Frau so¬
eben unsern Buben von der Schule abholt,
und unser Bub ist acht Jahre alt — ja¬
wohl.
Georg: Ahl
Eduard: Ja. Und ich darf sagen, daß
ich glücklich bin — vollkommen glücklich —
schattenlos glücklich.
Georg (kopfschüttelnd): Glücklich
Ich würde nicht wagen, ein solches Wort
so kühn hinauszuschmettern. Das ist viel¬
leicht eine Art, Unheil heraufzubeschwören.
Eduard: Ich fürchte kein Unheil mehr.
Georg: Da hast Du Dich ja sehr ver¬
ändert.
Eduard (vergnügt): Findest Du?
Georg: Wenn ich mich erinnere, was Du
damals für ein ängstlicher, verschüchterter,
ja man kann sagen armseliger Bursche ge¬
wesen bist ..
Eduard: O!
Georg: Ja, bleiben wir dabei: ein ge¬
drückter, armseliger Bursche. Und jetzt!..
Eduard: Nun, ich habe eben das Gefühl,
daß alles Unglück hinter mir liegt. Jetzt
kommt nichts Böses mehr. Ich weiß es.
— Nun ja, der Tod. Aber der kommt für
uns Alle. Ich denke nicht an ihn. Und
übrigens, ich versichere Dir, hat der Tod
nichts mehr Schreckliches, wenn man einmal
Weib und Kind hat, die Einen beweinen
werden. Ich weiß nicht, wie Du über
diese Dinge denkst.
Georg: Ich habe weder Weib noch Kind
stehe also dem Tod ohne Sympathie ge¬
genüber. — Warum siehst Du mich so an?
Wie findest Du, daß ich ausschaue?
Eduard: Gut, gut — vorzüglich!
Georg: Grau.
Eduard: Grau. . .. Nun, auch ich be¬
ginne — sieh nur, hier an den Schläfen.
Und Du bist ja beinahe zehn Jahre älter
als ich.
Georg: Ich kannte Einen, der mit sieben¬
undzwanzig Jahren schneeweiß war.
Ich
— Merlet!
Eduard: Natürlich
Ich
kannt' ihn ja auch . . . schneeweiß.
treff' ihn noch zuweilen, aber man kennt
Ja, das Leben! —
sich nicht mehr..
Er war ja auch an jenem Abend, an jenem
unvergeßlichen Abend in unserer Gesell¬
schaft.
doch wenigstens. Und sag' mir endlich,
was Du die ganze Zeit über gemacht hast.
Ich kann es so gar nicht begreifen, daß man
überhaupt nichts mehr von Dir gehört hat,
daß Du so gut wie —
Georg: Daß ich verschollen war. Nun
ja, sprich's nur aus. Ich versichere Dir,
es thut gar nicht weh, verschollen zu sein.
Und ich glaubte nicht, daß Menschen mei¬
ner Art überhaupt etwas Besseres zustoßen
kann.
Eduard: Aber ... damals schien es doch
— wir erwarteten Alle .. . Du warst doch
auf dem Wege, etwas Großes zu werden.
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Georg: Wer sagt Dir, daß ich es nicht ge
worden bin? Müssen es denn die Andern
merken? Wenn Du Deine Oboe verkauf¬
test oder wenn Deine Finger und Lippen
gelähmt würden, daß Du nicht mehr bla¬
sen könntest — wärest Du ein geringerer
Virtuose als zuvor? Oder nimm an, Du
hättest keine Lust mehr und würfst sie ein¬
fach zum Fenster hinaus, weil ihr Klang
Dir nicht genügt — wärst Du dann kein
Künstler mehr? Oder wärst Du's nicht
vielmehr erst recht, wenn Du's zum Fenster
hinunter geworfen hättest, Dein Instru¬
ment, das so ohnmächtig ist im Vergleiche
zu der göttlichen Musik in Deinem Hirn?
Eduard: Ohnmächtig — ja! Sieb' was
Du da sagst, ich hab' es öfters gefühlt.
Georg: Nun, ich habe sie zum Fenster
hinuntergeworfen, meine Oboe. — Die
Dummköpfe haben ausgeschrieen: Es fällt
ihm nichts ein! Ich lasse sie schreien. Dem
wahren Künstler kann nie etwas einfallen,
denn er hat Alles in sich — er hat die in¬
nere Fülle. Das ist es, darauf kommt es
an.
Eduard: Es ist mir, wie wenn ich Dich
gestern zum letztenmal gehört hätte —
wahrhaftig! Ich kann es nicht fassen, daß
wir uns heute zum erstenmal wiedersehen
seit jenem Abschiedsfest am 23. April.
Georg: Es war doch kein Abschiedsfest.
Nur zufällig -
Eduard: Für mich war es eins. Ich
hatte ja schon meinen Vertrag für Boston
in der Tasche. Erinnerst Du Dich nicht
mehr? Man trank auf meine Zukunft; Du
hieltest sogar eine Rede. Erinnerst Du
Dich nicht —? Ah, was für ein Abend!
Wie an einen Traum denk' ich an ihn zu.
rück. Als wär' es überhaupt der erste
Frühlingsabend, den ich erlebt habe. Wir
saßen unter hohen Bäumen, an zwei langen
Tischen, die man hatte zusammenrücken
müssen. Auf den Tischen brannten Wind¬
lichter. Merlet, der Schneeweiße, saß da
— dort Habicht, der junge Schauspieler mit
den glühenden Augen — ort jene Geigen¬
spielerin, die noch im selben Jahre starb.
Und Deine Geliebte von damals war ganz
in Weiß gekleidet, hatte dunkelrothe Rosen
im Haar — und später, als außer uns gar
keine Leute mehr im Garten waren, lag sie
zu Deinen Füßen, den Kopf an Deine Knie
gelehnt. Sie hieß Irene.
Georg: Ja. Sie hieß Irene. — Uebri¬
gens erinnere ich mich sehr wohl, daß Du
Dich an jenem Abend auch nicht eben zu
beklagen hattest.
Eduard: O nein, durchaus nicht. Hab'
ich's denn gethan? Ich hatte mich keines¬
wegs zu beklagen.
Georg: Hast Du sie wiedergesehen? Ich
meine, ob Du sie nach jenem Abend über¬
haupt noch einmal wiedergesehen hast?
Eduard (als verstünde er nicht): Irene?
Georg: Nein, nein, die Andere. Die an
Deiner Seite saß; die Blonde mit dem
Kindergesicht. Hast Du die nicht wieder¬
gesehen?
Eduard: Diese Blonde? Nein. Ich
hatte doch meinen Contrakt in der Tasche,
für Boston. Nach ein paar Wochen mußt'
ich jedenfalls fort. Das hatt' ich ja unter¬
schrieben. Was sollte mir da irgend eine
Blonde mit einem Kindergesicht?
Georg: Es war ein schönes Wesen.
Eduard: O ja, schön war sie wohl. Eine
Freundin von Irene, wenn ich mich recht
entsinne.
Georg: Ja, ich denke, daß sie befreundet
waren, soweit Frauen das eben sein kön¬
A