II, Theaterstücke 17, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 2), Der Puppenspieler. Studie in einem Aufzuge, Seite 64

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17.1. Der Punnensnieler
behren; wir bedauern, daß Hauptmann die flücktige Skizze
überhaupt aus der Schublade genommen hat. Die Haupt¬
Feuilleton.
mann=Pbilologen erzählen, daß der Dichter das ganze Werk
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in drei Tagen geschrieben habe. „Es ist die Zeit von einem
guten Werke nicht das Maß.“ Mozart hat die „Don Juan“=
Ouvertüre in einer Nacht geschrieben und mancher arbeitet
Wiener Theater.
sein Leben lang an einem Quark, der dabei breit, nicht stark
(Gastspiel des Berliner „Lessing=Theaters“ im „Theater an der Wien“.
wird. Was soll uns also die Wissenschaft von der dreitägigen
„Der Puppenspieler“ von Apshur Sch##l##. — „Elga“. —
Geburt? Sollen wir uns einreden, daß hier eine übergewal¬
„RohmerF)¬
tige Phantasie mit Michelangelesken Hammerschlägen gearbei¬
( Wien, 6. Mai.
tet habe? Wir sehen nur, daß ein ganz unausgetragenes Ge¬
Berliner Schauspieler in Wien zu Gast. Was be¬
bilde mit allen Gebrechen des ersten, unkontrollierten Einfalles
kritiklos der Bühne übergeben worden ist. Gleich der Rahmen
rechtigt sie zu diesem Auftreten? Bringen sie einen neuen
ein psychologisches Monstrum. Der Ritier träumt, wie ein
Stil, besondere Künste der Re### oder Künstler von ganz be¬
Kolportagedichter, der sich an einer Chronik überlesen hat.
sonderer Prägung? Keines von den dreien. Ihr Naturalis¬
Stücke träumen nur Dichter im Halbschlaf, nicht aber müde
mus schmeckt immer noch nach dem Rezept — man spreche ab¬
Rittersleute. Häite Hauptmann es etwas weniger eilig mit
gehackt, als suche man die Worte — ihre Regie erhebt sich nicht
über die jeder besseren Großstadtbühne, ihre vortrefflichen
der Abschüttelung des Stoffes gehabt, wäre er sicher selbst
Künstler, wie die Herren Bassermann, Rittner, Reicher und
darauf gekommen, statt des weinseligen Reitersmannes einen
Frau Triesch, finden ihresgleichen auch an den Wiener Bühnen
fahrenden Poeten in die Turmzelle zu führen, dem sich aus
— was ist also die Legitimation ihres Gastspiels? Sie brin¬
all den Düsterkeiten des Gemachs, aus irgend einem Bilde an
gen einige Stücke, die man in Wien noch nicht gesehen hat,
der Wand, aus den abgerissenen Worten des Klost. bruders
und den Klängen der Totenmesse recht wohl im Halbschlummer
„Der Puppenspieler“ von Arthur Schnißzler und
Hauptmanns „Elga“, die siebenteilige Schauerballade
ein farbiges Traumgebilde hätte zusammenbrauen können.
nach Grillparzers „Kloster von Sendomir“. Warum hat man
Nun aber müssen wir uns mit der fatalen okkultistischen Hilfs¬
diese Stücke in Wien noch nicht gesehen? Stellen sie Anfor¬
vorstellung begnügen, daß die Geister der Begebenheiten im
derungen an die Darstellung, denen man in Wien nicht ge¬
Raume umgehen und sich dem Schläfer stellen. Neuroman¬
tischer Spuk mit altromantischen Requisiten. Ebenso unecht
wachsen ist? Nein, gewiß nicht. Vielleicht Bassermanns Pup¬
ist das Balladenpathos der Traumgestalten, sind die mit neu¬
penspieler, der gescheiterte Georg, der sich in den Größenwahn
flüchtet, wäre schwer zu ersetzen. Aber verlangt diese nach¬
modischstem Flitter behängten Gestalten selbst, vor allem die
Elga mit ihrer Hofmannsthalischen Lebensphilosophie. Der
denkliche „Studie“ wirklich nach der Bühne? Ist aus der Dar¬
stellung mehr herauszuholen als aus der aufmertsamen Lek¬
Tod hat sie lachen gelehrt. Nur die Gefahr bereitet ihr Ge¬
türe? Im Gegenteil. Die greifbare Wirklichkeit verdunkelt
nuß. Dekadentenweisheit in Sendomir. Und die Parole der
hier den Sinn des Spiels, der bedeutsamer ist, als der Büh¬
literarischen Revolution hieß doch Echtheit! Wir fürchten,
jetzt heißt sie Tantieme. Dennoch: Rittner als Starschinski
nenvorgang. Man kann mit dem Buche in der Hand oder im
Kopfe höchstens konstatieren, ob sie es „treffen“ auf der Bühne,
greift aus Herz. Männliche Kraft, Wärme und Intelligenz
wie der Engländer mit dem Baedeker in der Hand konstatiert,
in einem Darsteller heisammen sind nicht alltäglich. Einen
ob die Gegend auch richtig ist. Bassermann trifft's; stellt den
schweren Stand hat Frau Triesch in Wien. Ihr sprödes,
rauhes Organ, das Uebermaß ihres Augenspiels, manches un¬
über Bord gespülten, bettelsiolzen Uebermenschen so merk¬
würdig glaubhaft und fast rührend hin, daß man den drama¬
erfreuliche physiognomische Detail werden von dem Eindruck, den
turgischen Fehlgriff der Aufführung nicht bedauert. Kommt
ihre starke schauspielerische Intelligenz und der Einsatz ihrer gan¬
auch der Dichter nicht recht zur Geltung, so doch ein großer
zen, nicht geringen Kraft machen müßten, in Abzug gebracht.
Schauspieler. Aber was ist mit Hauptmanns „Elga“? Wäre
Man müßte sie „gewöhnen“ sagen die Wiener, die Verständ¬
für die dämonische Polin in Wien keine Darsiellerin zu fin¬
nis genug für die Leistung haben und ihrem Befremden gern
höflichen Ausdruck geben.
den gewesen wie Frau Triesch, zein Starschinski wie Herr
Rittner? Andere, aber weder bessere noch schlechtere? Ge¬
Als Rebekka West in „Rosmersholm“ hatte sie aber
wiß, man hätte sie gefunden. Warum hat man in Wien von
doch namentlich in der Schlußszene vollen Erfolg. Sie schien
einer Aufführung der „Elga“ abgesehen? Weil man sich lei¬
selbst geadelt im Adel der Selbstüberwindung, den sie darzu¬
nen den Kosten entsprechenden Erfolg davon versprechen
stellen hat. Man trägt den sieghaften Ton, mit dem sie in den
hat. Und mit Recht. Der stilwidrig. romantis#e Spuk im
Tod aebt, aus dem Hause mit fort. Und wie wirkte wieden
kuriosen Rahmen eines Trauerspiels märe hier durchgefallen.
dies Drama adeliger Seelen! Man erkennt erst die Größe des
Wäre und ist durchgefallen. Die Berliner kommen also nach
Dramatikers Ibsen, wenn man ihn mit sonst ganz re¬
Wien, um ein Stück zu zeigen das man hier nicht sehen
spektahlen Poeien, beispielsweise mit Schnitzler, vergleicht.]
wollke. Justament. Eine Appellation an das Wiener] Hier wie dort ein tieferer Sinn der Dichtung, der über die
Publikum gegen seine Theaterdirektoren. Die Appellation hat. Bühnengeschebnisse weit hinausweist. Aber während bei
das erstrichterliche Urteil bestätigt. Wir können „Elga“ ent= Schnitzler der Sinn alles ist und die Figuren und Geschehnisse 1

nur Schatten, läßt Ibsen die symbol
kaum ahnen, ja er versteckt sie mit
mit er ja den Gestalten vom Leb
allein zum Lebensblute spricht.
ethische, ja politische Gedanken sin
gödie eines Pfarrhauses verborgen,
fache Vorgang selbst auf diejenigen
danken nichts ahnen. Und hinter
ahnenden der Sinn des Ganzen au
wüsten Triebe in adeliger Atmosphä
brunst in christlicher Zucht, und de
losigkeit der christlichen Askese, die L#
gangsgeschlechts, das den Kinder,
froher Lebensbejahung doch nicht di
viel Traditionen auf den nur de
Freilich der ganze Ideenschatz des
noch erst gehoben werden, und dann
üben. Den Anfang hat ein mer
Wienerin „Henrik Ibsens pol
gemacht, auf das ich bis zur Gele
sprechung jetzt schon hinweisen möcht
Die Darstellung der Berliner i
als Rosmer ist zwar etwas zu schn
der ja doch einen wilden Rausch in
Herr Marx als Rektor spricht
Herren, die mit gefalteter Zunge di
hervorquetschen, aber verständig spiel
mann als Ulrik Brendel ist klassi
giert, da dämpft er und wirkt gerade
allem also doch ein interessantes
wahrer Grund der Wunsch sein,
fremder Gäste die letzten Theatergro
saisonmüden Publikums zu locken, #
Geld wert und lehrt, was wir a
wollen, gerechter sein auch gegen die
Auslese des Nordens sehr wohl
können.