II, Theaterstücke 17, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 2), Der Puppenspieler. Studie in einem Aufzuge, Seite 65

box 22/6
17.1. Der Purnenspieler
behren; wir bedauern, daß Hauptmann die flüchtige Skizze
überhaunt aus der Schublade genommen hat. Die Haupt¬
mann=Philologen erzählen, daß der Dichter das ganze Werk
euilleton.
777
in drei Tagen geschrieben habe. „Es ist die Zeit von einem
guten Werke nicht das Maß.“ Mozart hat die „Don Juan“¬
Ouvertüre in einer Nacht geschrieben und mancher arbeitet
ner Theater.
sein Leben lang an einem Quark, der dabei breit, nicht stark
wird. Was soll uns also die Wissenschaft von der dreitägigen
essing=Theaters“ im „Theater an der Wien“.
Geburt? Sollen wir uns einreden, daß hier eine übergewal¬
ele“ von Auther &
lr. — „Elga.—
tige Phantasie mit Michelangelesken Hammerschlägen gearbei¬
„Robmersh###
tet habe? Wir sehen nur, daß ein ganz unausgetragenes Ge¬
E Wien, 6. Mai.
bilde mit allen Gebrechen des ersten, unkontrollierten Einfalles
lauspieler in Wien zu Gast. Was be¬
kritiklos der Bühne übergeben worden ist. Gleich der Rahmen
n Auftreten? Bringen sie einen neuen
ein psychologisches Monstrum. Der Ritier träumt, wie ein
ste der Regie oder Künstler von ganz be¬
Kolportagedichter, der sich an einer Chronik überlesen hat.
Keines von den dreien. Ihr Naturalis¬
Stücke träumen nur Dichter im Halbschlaf, nicht aber müde
noch nach dem Rezept — man spreche ab¬
Rittersleute. Hätte Hauptmann es etwas wreniger eilig mit
i die Worte — ihre Regie erhebt sich nicht
der Abschüttelung des Stoffes gehabt, wäre er sicher selbst
ren Großstadtbühne, ihre vortrefflichen
darauf gekommen, statt des weinseligen Reitersmannes einen
erren Bassermann, Rittner, Reicher und
fahrenden Poeten in die Turmzelle zu führen, dem sich aus
ihresgleichen auch an den Wiener Bühnen
all den Düsterkeiten des Gemachs, aus irgend einem Bilde an
Pegitimation ihres Gastspiels? Sie brin¬
der Wand, aus den abgerissenen Worten des Klosterbruders
ie man in Wien noch nicht gesehen hat,
und den Klängen der Totenmesse recht wohl im Halbschlummer
ieler“ von Arthur Schnitzler und
ein farbiges Traumgebilde hätte zusammenbrauen können.
Elga“, die siebenteilige Schauerballade
Nun aber müssen wir uns mit der fatalen okkultistischen Hilfs¬
loster von Sendomir“. Warum hat man
vorstellung begnügen, daß die Geister der Begebenheiten im
i noch nicht gesehen? Stellen sie Anfor¬
Raume umgehen und sich dem Schläfer stellen. Neuroman¬
hrstellung, denen man in Wien nicht ge¬
tischer Spuk mit altromantischen Requisiten. Ebenso unecht
ewiß nicht. Vielleicht Bassermanns Pup¬
ist das Balladenpathos der Traumgestalten, sind die mit neu¬
siterte Georg, der sich in den Größenwahn!
modischstem Flitter behängten Gestalten selbst, vor allem die
zu ersetzen. Aber verlangt diese nach¬
Elga mit ihr Hofmannsthalischen Lebensphilosophie. Der
irklich nach der Sühne? Ist aus der Dar¬
Tod hat sie lachen gelehrt. Nur die Gefahr bereitet ihr Ge¬
bzuholen als aus der aufmerksamen Lek¬
nuß. Dekadentenweisheit in Sendomir. Und die Parole der
Die greifbare Wirklichkeit verdunkelt
literarischen Revolution hieß doch Echtheit! Wir fürchten,
Spiels, der bedeutsamer ist, als der Büh¬
jetzt heißt sie Tantième. Dennoch: Rittner als Starschinski
ann mit dem Buche in der Hand oder im
greift aus Herz. Männliche Kraft, Wärme und Intelligenz
katieren, ob sie es „treffen“ auf der Bühne,
in einem Darsteller beisammen sind nicht alltäglich. Einen
nit dem Baedeker in der Hand konstatiert,
schweren Stand hat Frau Triesch in Wien. Ihr sprödes,
richtig ist. Bassermann trifft's; stellt den
rauhes Organ, das Uebermaß ihres Augenspiels, manches un¬
n, bettelstolzen Uebermenschen so merk¬
erfreuliche physiognomische Detail werden von dem Eindruck, den
d fast rührend hin, daß man den drama¬
ihre starke schauspielerische Intelligenz und der Einsatz ihrer gan¬
der Aufführung nicht bedauert. Kommt
zen, nicht geringen Kraft machen müßten, in Abzug gebracht.
hi recht zur Geltung, so doch ein großer
Man müßte sie „gewöhnen“, sagen die Wiener, die Verständ¬
was ist mit Hauptmanns „Elga“? Wäre
nis genug für die Leistung haben und ihrem Befremden gern
PPolin in Wien keine Darstellerin zu fin¬
höflichen Ausdruck geben.
rau Triesch, kein Starschinski wie Herr
#ober weder bessere noch schlechtere? Ge¬
Als Rebekka West in „Rosmersholm“ hatte sie aber
efanden. Warum hat man in Wien von
doch namentlich in der Schlußszene vollen Erfolg. Sie schien
r „Elga“ abgesehen? Weil man sich lei¬
selbst geadelt im Adel der Selbstüberwindung, den sie darzu¬
tsprechenden Erfelg davon versprochen
stellen hat. Man trägt den sieghaften Ton, mit dem sie in den
t. Der stilwidrige romantische Spuk im
Tod acht, aus dem Hause mit fort. Und wie wirkte wieder
gnes Trauerspiels wäre hier durchgefallen.
dies Drama adeliger Seelen! Man erkennt erst die Größe des
gefallen. Die Berliner kommen also nach
Dramatikers Ibsen, wenn man ihn mit sonst ganz re¬
sick zu zeigen, das man hier nicht sehen
spektablen Poeien, beispielsweise mit Schnitzler, vergleicht.
Ent. Eine Appellation an das Wiener] Hier wie dort ein tieferer Einn der Dichtung, der über die
sie Theaterdirektoren. Die Appellation hat
Bühnengeschehnisse weit hinausweist. Aber während bei
irteil bestätigt. Wir können „Elaa“ ent¬] Schnitzler der Sinn alles ist und die Figuren und Geschehnisse 1
Mden n
a
nur Schatten, läßt Ibsen die symbolische Bedeutung des Spiels
kaum ahnen, ja er versteckt sie mit tausend Vexierkünsten, da¬
mit er ja den Gestalten vom Lebensblut nichts nehme, das
allein zum Lebensblute spricht. Wie viel tiefe philosophische,
ethische, ja politische Gedanken sind in dieser schlichten Tra¬
gödie eines Pfarrhauses verborgen, und wie wirkt doch der ein¬
fache Vorgang selbst auf diejenigen, die von allen diesen Ge¬
danken nichts ahnen. Und hinterher muß auch den Nichts¬
ahnenden der Sinn des Ganzen aufgehen, die Bändigung der
wüsten Triebe in adeliger Atmosphäre, der hellenischen Lebens¬
brunst in christlicher Zucht, und doch auch wieder die Glück¬
losigkeit der christlichen Askese, die Lebensunfähigkeit des Ueber¬
gangsgeschlechts, das den Kinderglauben verloren und zu
froher Lebensbejahung doch nicht durchdringen kann, weil zu
viel Traditionen auf den nur dogmatisch Befreiten lasten.
Freilich der ganze Ideenschatz des nordischen Tiefbohrers muß
noch erst gehoben werden, und dann erst wird er volle Wirkung
üben. Den Anfang hat ein merkwürdiges Büchlein einer
Wienerin „Henrik Ibsens politisches Testament“
gemacht, auf das ich bis zur Gelegenheit eingehenderer Be¬
sprechung jetzt schon hinweisen möchte.*)
Die Darstellung der Berliner war gut. Herr Reicher
als Rosmer ist zwar etwas zu schmächtig für den Träumer,
der ja doch einen wilden Rausch im Weibe hervorrufen soll,
Herr Marx als Rektor, spricht den Bühnenjargon älterer
Herren, die mit gefalteter Zunge die Töne aus dem Gaumen
hervorquetschen, aber verständig spielen beide. Herr Basser¬
mann als Ulrik Brendel ist klassisch. Wo ein anderer char¬
giert, da dämpft er und wirkt gerade dadurch doppelt. Alles in
allem also doch ein interessantes Gastspiel. Mag auch sein
wahrer Grund der Wunsch sein, mit dem stärkeren Reiz
fremder Gäste die letzten Theatergroschen aus den Taschen des
saisonmüden Publikums zu locken, das Gebotene ist doch sein
Geld wert und lehrt, was wir am wenigsten unterschätzen
wollen, gerechter sein auch gegen die Heimischen, die mit dieser
Auslese des Nordens sehr wohl den Vergleich aushalten
können.