II, Theaterstücke 17, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 2), Der Puppenspieler. Studie in einem Aufzuge, Seite 83

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17.1. Der Puppenspieler
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Samstag
erdrosseln, das der Ort der ehebrecherischen Zusammenkünfte war. Diest
einzige Abweichung von der sonst strenge respektierten Vorlage wa
geboten, denn der Dramatiker brauchte die Konfrontation de
beiden Rivalen, auf die der Erzähler ohneweiters hatte verzichter
dürfen. Die autobiographischen Mitteilungen des in der Novell
allzu geschwätzigen, als Klosterbruder büßenden Grafen sind vor
Hauptmann durch den bequemen Ausgang des Traumvorgange
in die Bühnenerscheinung gezogen worden. Im übrigen decken sic
der „fremde Stoff“ und dessen Bühnenbearbeitung in manche
wichtigen Szene vollkommen. So zum Beispiel, als Star
schenski den Oginski verfolgt, der ihm entwischt und mi
der kupplerischen Zofe Dortka, welche den Verdacht von ihre
Herrin ablenken möchte, zornbebend vor Elga tritt. „Kalt uni
teilnahmslos bat sie ihn anfangs, die Ruhe des Hauses nich
durch sein lautes Schelten zu stören, und als er fortfuhr und die
Entfernung des Mädchens begehrte, da erklärte sie mit steigende:
Wärme, ihr gebühre, über das Verhalten der Dienerinnen zu
richten; sie selbst werde untersuchen und entscheiden. Der Graf
außer sich, zog das Mädchen vom Boden auf, sie gewaltsam aus
dem Zimmer zu bringen, aber Elga, hochglühend vor Zorn
sprang hinzu, ergriff des Mädchens andere Hand, riß sie zu sich
indem sie ausrief: „Nun denn, so stoß auch mich aus dem Hausé
denn darauf ist es doch wohl abgesehen! Daß ich dick
gekannt wie jetzt! Unglückliche, die ick
früher so
bin,“ fuhr sie laut weinend fort, „gekränkt, miß.
handelt! aber schuldlose Diener sollen nicht um meinetwillen
leiden!“ Dabei zeigte sie dem Mädchen mit dem Finger auf die
Tür ihres Schlafgemaches; dieses verstand den stummen Befehl
und ging eilig hinein. Elga folgte und schloß die Tür hinter sich
ab“ . . . Sogar alle in diesem Absatz enthaltenen Regiebemerkungen
sind übernommenworden. Man müßte weiters auch die Episodehersetzen,
in der Starschenski dem kleinen Töchterchen, das mit dem Schmuck der
Mutter spielt, die Kassette abnimmt, wobei deren doppelter Boden
aufspringt und das Miniaturbild Oginskis sichtbar wird, mit
dem Klein=Elga eine so fatale Familienähnlichkeit hat. Kurz, von
den Tantièmen, die „Elga“ erzielt, müßte von Rechts wegen ein
guter Teil der Stiftung zufließen, deren Chronik den Namen
Gerhart Hauptmanns wiederholt verzeichnet, zur Erhöhung des
Grillparzer=Preises.
Geht man den inneren Gründen nach, die Hauptmann ver¬
anlaßt haben mögen, die Grillparzersche Erzählung auf die Bühne
zu verpflanzen, so kann man wohl kaum lange in Zweifeln be¬
sangen sein. Es imponirteihm der hoch aufgetürmte Hügel dramatischer
Rohmaterialien. Grillparzer, der als Jüngling seinenersten dramatischen
Löwenwurf „Die Ahnfrau“ auf einer in Mödling spielenden
löschpapierenen Geistergeschichte aufgebaut hatte, erlag später mit
seinem „Kloster bei Sendomir“ einer Geschmacksverirrung seiner
Zeit. Vielleicht ärgert es einen deshalb so besonders, ihn in den
Fußstapfen der Ritter= und Räuberromanfabrikanten Spieß,
Cramer usw. zu sehen, weil die zweite Novelke, die wir von ihm
haben, der herrliche „Arme Spielmann“ ist. Jene in jedem Sinne
vielverschlungenen, beim Pöbel aller Stände so beliebten
„romantischen Sagen aus der Vorzeit“ waren, wie Vischer
richtig sagt, „ausgewalkte Balladen“. Nach Grimm aber ist jede
richtige Ballade (an eine Schillersche darf man also nicht denken)
ein Drama in einer Nußschale. Jede knappe, lakonische Strophe
ein Aktschluß, mindestens eine große Szene. Die Ballade kennt
ein Ziel, kümmert sich nicht um die Wege, auf denen es zu
erreichen ist. Das geehrte Publikum wird ersucht, mitzudichten.
In dieser Erlaubnis liegt ein großer Zauber, von dieser Freiheit
des einzelnen, sich je nach seinen Phantasiemitteln mit schöpferisch zu
betätigen, leben ja unsere modernen Symbolisten. Hauptmann
hat „Elga“ dem Maeterlinck einfach vor der Nase weggedichtet.
Aber mußte nicht notwendigerweise doch ein Buchdrama (im guten
Sinne des Wortes) entstehen? Die Plastik des szenischen Vor¬
ganges kennt jene Konzession nicht; sie heischt, alles so zu
nehmen, wie es dargeboten wird. Sie ist selbstherrlich und ver¬
bittet sich vom Zuschauer träumerisches Ausspinnen abseits der
Direktionslinie, auf der die Handlung mit gebundener Marschroute
und mit bestimmten Etappen dahinzieht.
Wenn Franz Grillparzer, der — obwohl dies manche deutsche
Literaturgeschichte noch immer nicht zugeben will — immerhin auch
einigen Blick für die dramatische Tauglichkeit von Stoffen besaß,
AA
riesten
telkup