Theater und Bunst.
Theater an der Wien.
(Gastspiel des Berliner Lessing=Theaters: „Ela“ von Gerhart Haupt¬
mann. — „Der Puppenspieler“ von Artur Schnitzler.)
Direktor Brahm hat gestern an der Wien ein Gefantgastspiel
begonnen, das ohne Zweifel Erfolg haben wird. Er bringt uns
einige neuere Stücke, die wir sonst in Wien schwerlich sehen würden;
sogar Wiener Stücke, da nun einmal der Weg von Wien nach
Wien über Berlin führt. Das ist selbstverständlich eine Verkehrt¬
heit, aber wer ist stark genug, alle verkehrten Dinge in unserem
Theaterleben gerade zu biegen?
„Elga“ gehört nach Wien, schon weil Hauptmann darin eine
Novelle Grillparzers dramatisiert hat. Es ist das „Kloster bei
Sendomir“, diese schaurige Profaballade, in der noch Ahnfrau¬
stimmungen spuken. Zwei Reiter übernachten im Kloster zur Zeit
König Johann Sobieskis und ein düsterer Mönch erzählt ihnen,
welcher Mord durch die Erbauung dieses heiligen Hauses gesühnt
werden soll. Der Graf Starschenski hat die schöne Tochter eines
vervehmten Edelmannes geheiratet, das Bettelkind Elga. Sie wird
untreu, ihr Töchterchen stammt von Vetter Oginski, der ihr Kindheits¬
gespiele gewesen. Starschenski kommt dahinter und setzt Oginski im
Verließturm gefangen. Er schleppt Weib und Kind zum heimlichen
Gautengericht dahin. Oginski entspringt durch das Fenster, Elga
aber soll Gnade erlangen, wenn sie das Kind des Ehebruches töte.
In ihrer Feigheit greift sie bereits nach der mörderischen Nadel, da
macht der empörte Graf sie nieder. Nun büßt er, als geringster der
Laienbrüder, in dem von ihm gegründeten Sühnhause. Grillparzer
erzählt das mit der knappen Sachlichkeit einer Zeit, die noch
„objeitiv“ zu sein vermeinte; in kurzen, dicht gedrängten Strichen
deren jeder sitzt, wo er sitzen soll. Eine Ausmalung der Stimmung
mit stilistischen, sprächlichen, melodischen Mitteln findet nicht stalt.
Auch keine chemische Analyse der Empfindungen.
Der Dichter von heute schlägt jenes stimmungsmalerische und
dieses gefühlschemische Verfahren kin. Als theatralisches wie als
szenisches Gebilde ist sein Stück ein Aufbau von schauerlichen
Elementen. Die Liebe des hypochondrischen Grafen ist Ab¬
götterei, Fetischanbetung, die Erwiderung von Seite Elgas eine so
perfide, daß sic fast schon pervers zu nennen ist. Sie hat die moral
insanity der verführerischen Heren, der netten kleinen Blut¬
sangerinnen aus der Vampyrsphäre. Ihr fehlt der Sinn für ein
bestandiges Glück, sie ist zu sinnenwach dazu und zu hetzbedürftig,
zu samtpfötig und krallenscharf, bei all ihren Mätzchen und
Schmätzchen zu sehr Tigerkätzchen. Eigentlich hat sie es schon so von
ihrer Mutter — nicht bei Grillparzer, aber bei Hauptmann. Es ist
Vererbungstheorie in ihr; am Türpfosten der wunderschönen Mutter
hat sich seinerzeit sogar ein liebestoller Knecht erhängt. Und ein hysterischer
Zug muß auch in ihren Nerven sein, denn sie schreit im Schlaf mit einer
Stimme, die gar nicht die ihrige ist, und hat Träume, die sich wach
wieder melden und schließlich gar eintreffen. Und der Mond, wenn
er „furchtbar hell“ ist, scheint ihr weh zu tun. Sie kennt die fliegende
Angst und das ahnungsvolle Grauen ... und dabei lacht sie „fast
zu viel“. Sie hat das gewisse Lachen, das die von Hause aus Ver¬
dammten haben. Sie kann hell lachen, wenn sie allen Grund hätte,
krampfhaft zu weinen. Als sie noch das Bettelkind war und ihren
alten Vater in Lumpen verrecken sah, da sah sie sich den Tod genau
an, und der lehrte sie „auf ganz besondere Weise lachen über vielerlei
ernste Dinge des Lebens“. Ob sie den Grafen Starschenski je geliebt
hat, ob sie den Vetter Oginski wirklich so liebt, sie weiß weder das
eine noch das andere genau. Jedenfalls weigert sie sich, mit dem
Vetter zu fliehen; Armut, das ist nichts für sie. Sie braucht den
warmen Schoß der Ueppigkeit und eine Menge schöne Sachen zu
Putz und Genäschigkeit, und auch einen Gatten, um ihm allerlei
niedliche Schändlichkeiten antun zu können.
und auch
einen Liebhaber, der unerlaubt ist und Gefahr bringt. Mit Verlaub
und ohne Gefahr, was wäre das für ein Leben? „Sie schüttelt mit
fatalem Lacheln den Kopf“, wenn man ihr so einen vernünftigen
Vorschlag macht, wie Durchgehen. Nein, sie muß Wagnisse wagen
können, hinterrücks, und Schleichwege schleichen und sich ins zier¬
lichste aller Fänstchen lachen, wenn der Mann so ganz „in Torheit
ertrunken“, sie erwürgen möchte und umarmen muß. Selbst eine leise
Zerknirschung gehört mit zu diesem leckeren Gemengsel von Gefühlen,
die sie sich zu Gemüte führt. „Ich werde noch schlechter werden,
wenn du kommst,“ befürchtet sie . . . und freut sich darauf. Sie ist
schließlich aus der Rasse, aus der zu Heines Zeit „des Henkers
Töchterlein“ und dergleichen grausame Weiberchen hervorgingen. Der
moderne Dichter behandelt sie aber nach den Regeln der neuesten
Psychonathologie und strekt nach Illusion, die sich auf einer Frauen¬
abteilung sehen lassen kann.
Die Klinik freilich ist mit aller romantischen Szenenkunst
traktiert. Man denkt an das Vehmgericht im Götz. Nur ist der
Vehmrichter hier der Gatte und der Schauplatz jener gewisse Turm.
Hohe Kerzen brennen, ein blankes Schwert ragt. Ein schwarzer Vor¬
hang geht auseinander und auf dem Bette liegt die Leiche des
Gerichteten. Elga wird mit ihr konfrontiert. Sie hat die Wahl zwischen
dem Toten und dem Lebenden und wirft sich in wahnwitzigem
Schmerz über die Leiche und speit dem Gatten, den sie doch wieder
nehmen möchte, ihren Fluch ins Gesicht. Also der hat sie geliebt.
Es ist experimentell festgestellt und unn weiß sie es wenigstens auch
selbst ... Was mit ihr weiter geschieht, erfährt man nicht, denn der
Traum ist aus. Nämlich, es war blos ein Traum, den
der Ritter der ersten Szene im schauerlichen Turmgemach
des Klosters hatte, das ihm zum Uebernachten angewiesen worden.
Was bei Grillvarzer der gräfliche Mönch dem Ritter erzählt, träumt
dieser in der Hauptmannschen Einkleidung. Schaudernd erwacht er
im Morgengrauen und sucht ohne Abschied das Weite. Für szenische
Wirkung ist durch diese Veranstaltungen und Wandlungen einiger
Raum geschaffen. Sie ist übrigens von der Regie wenig herausgearbeitet,
der Schauerapparat spielt mit Maß. Der Fall Elga an sich kann nicht
sonderlich aufregen, weil die Gestalten doch, wie schon in der Novelle,
für den jetzigen Geschmack zuviel Unpersönliches an sich haben. Sie
zeigen ein allgemeines Wesen, von mehr tyoischen Zügen; „der“
Gatte, „der“ Geliebte und so fort, woraus schließlich „die" Situation
sich zusammenstellt. Das fordert natürlich zu stilistischer Darstellung
auf, wie ja auch bei Maeterlinck; es wäre der Balladenstil festzu¬
halten, worauf sogar manches Sprachliche hinweist, förmliche
Refrainstellen zum Beispiel.
Auf solche Erwägungen läßt man sich jedoch nicht ein, es ist
gar kein Versuch gemacht, den Stil dieses Stückes zu suchen. Der
gangbare Realismus ist sicherer und er tut ja auch seine Schul¬
digkeit. Herr Rittner spielt den Grafen mit bekannter Kraft und
einer Fähigkeit zur Selbsthilfe, die ihn an etlichen schwierigen Stellen
interessant macht. An die gewisse brillante Eintönigkeit hat
man sich auch hier schon gewohnt. Ireue Triesch als Elga
ist weniger nach hiesigem Geschmack. In einem modernen Repertoire
gewiß vielfach schätzbar, wirkt sie auf Reisen nur durch den ein¬
zelnen Augenblick und kommt dabei schlechter weg. Sie macht sich die
Elga gar zu einfach und svielte eine Art Zigeunerin, mit einer
gewissen Operettenwildheit. Es fehlt der Zauber einer urwüchsigen
Liebenswürdigkeit, eines überrumpelnden und finulich einschmeicheln¬
den Temperaments. Und auch ihre spezifischeu Eigenschaften sind
zum Teil gerade solche, die in Wien keinen Kurs haben. Dabei soll
teineswegs übersehen werden, daß sie den letzten Akt mit aus¬
reichender Wirkung spielte. Den Oginski gab Herr Neuß ziemlich
ungelenk, er ist aber nicht ohne symvathisches Element. Herr
Reicher als knorriger Hausverwalter war ganz vortrefflich. Von
den Uebrigen ist nichts Besonderes zu sagen. Das Publikum war
sehr dankbar, besonders gegen Herrn Rittner, der levhaft gerufen
wurde. Das Stück, dessen scheinbar starke Sachen eigentlich doch
unberührt lassen, wurde mit Achtung zur Kenntnis genommen.
Als Einleitung des Abends diente Artur Schnitzlers ergreisen¬
der Einakter: „Der Puppenspieler“. Herr Bassermann spielte
darin mit jener besonderen berlinischen Rührungsnote, die auch Herrn
Waßmann im „Nachtasyl“ so genützt hat, den Georg Merklin.
Dieser verbummelte Schriftsteller, der sich allerlei Genialitäten ein¬
redet und unter anderem die Menschen wie Puppen an seinen Drähten
zu haben glaubt, ist an sich eine kostbare Figur. Eine tragische,
möchte man sagen, deren Tiefen eigentlich grundlicher ausgeschöpft
sein sollten. Von Herrn Bassermann meisterlich gespielt, gewahrte sie
einen Genuß, für den das Publikum dankbar war. L. H—1.
Theater an der Wien.
(Gastspiel des Berliner Lessing=Theaters: „Ela“ von Gerhart Haupt¬
mann. — „Der Puppenspieler“ von Artur Schnitzler.)
Direktor Brahm hat gestern an der Wien ein Gefantgastspiel
begonnen, das ohne Zweifel Erfolg haben wird. Er bringt uns
einige neuere Stücke, die wir sonst in Wien schwerlich sehen würden;
sogar Wiener Stücke, da nun einmal der Weg von Wien nach
Wien über Berlin führt. Das ist selbstverständlich eine Verkehrt¬
heit, aber wer ist stark genug, alle verkehrten Dinge in unserem
Theaterleben gerade zu biegen?
„Elga“ gehört nach Wien, schon weil Hauptmann darin eine
Novelle Grillparzers dramatisiert hat. Es ist das „Kloster bei
Sendomir“, diese schaurige Profaballade, in der noch Ahnfrau¬
stimmungen spuken. Zwei Reiter übernachten im Kloster zur Zeit
König Johann Sobieskis und ein düsterer Mönch erzählt ihnen,
welcher Mord durch die Erbauung dieses heiligen Hauses gesühnt
werden soll. Der Graf Starschenski hat die schöne Tochter eines
vervehmten Edelmannes geheiratet, das Bettelkind Elga. Sie wird
untreu, ihr Töchterchen stammt von Vetter Oginski, der ihr Kindheits¬
gespiele gewesen. Starschenski kommt dahinter und setzt Oginski im
Verließturm gefangen. Er schleppt Weib und Kind zum heimlichen
Gautengericht dahin. Oginski entspringt durch das Fenster, Elga
aber soll Gnade erlangen, wenn sie das Kind des Ehebruches töte.
In ihrer Feigheit greift sie bereits nach der mörderischen Nadel, da
macht der empörte Graf sie nieder. Nun büßt er, als geringster der
Laienbrüder, in dem von ihm gegründeten Sühnhause. Grillparzer
erzählt das mit der knappen Sachlichkeit einer Zeit, die noch
„objeitiv“ zu sein vermeinte; in kurzen, dicht gedrängten Strichen
deren jeder sitzt, wo er sitzen soll. Eine Ausmalung der Stimmung
mit stilistischen, sprächlichen, melodischen Mitteln findet nicht stalt.
Auch keine chemische Analyse der Empfindungen.
Der Dichter von heute schlägt jenes stimmungsmalerische und
dieses gefühlschemische Verfahren kin. Als theatralisches wie als
szenisches Gebilde ist sein Stück ein Aufbau von schauerlichen
Elementen. Die Liebe des hypochondrischen Grafen ist Ab¬
götterei, Fetischanbetung, die Erwiderung von Seite Elgas eine so
perfide, daß sic fast schon pervers zu nennen ist. Sie hat die moral
insanity der verführerischen Heren, der netten kleinen Blut¬
sangerinnen aus der Vampyrsphäre. Ihr fehlt der Sinn für ein
bestandiges Glück, sie ist zu sinnenwach dazu und zu hetzbedürftig,
zu samtpfötig und krallenscharf, bei all ihren Mätzchen und
Schmätzchen zu sehr Tigerkätzchen. Eigentlich hat sie es schon so von
ihrer Mutter — nicht bei Grillparzer, aber bei Hauptmann. Es ist
Vererbungstheorie in ihr; am Türpfosten der wunderschönen Mutter
hat sich seinerzeit sogar ein liebestoller Knecht erhängt. Und ein hysterischer
Zug muß auch in ihren Nerven sein, denn sie schreit im Schlaf mit einer
Stimme, die gar nicht die ihrige ist, und hat Träume, die sich wach
wieder melden und schließlich gar eintreffen. Und der Mond, wenn
er „furchtbar hell“ ist, scheint ihr weh zu tun. Sie kennt die fliegende
Angst und das ahnungsvolle Grauen ... und dabei lacht sie „fast
zu viel“. Sie hat das gewisse Lachen, das die von Hause aus Ver¬
dammten haben. Sie kann hell lachen, wenn sie allen Grund hätte,
krampfhaft zu weinen. Als sie noch das Bettelkind war und ihren
alten Vater in Lumpen verrecken sah, da sah sie sich den Tod genau
an, und der lehrte sie „auf ganz besondere Weise lachen über vielerlei
ernste Dinge des Lebens“. Ob sie den Grafen Starschenski je geliebt
hat, ob sie den Vetter Oginski wirklich so liebt, sie weiß weder das
eine noch das andere genau. Jedenfalls weigert sie sich, mit dem
Vetter zu fliehen; Armut, das ist nichts für sie. Sie braucht den
warmen Schoß der Ueppigkeit und eine Menge schöne Sachen zu
Putz und Genäschigkeit, und auch einen Gatten, um ihm allerlei
niedliche Schändlichkeiten antun zu können.
und auch
einen Liebhaber, der unerlaubt ist und Gefahr bringt. Mit Verlaub
und ohne Gefahr, was wäre das für ein Leben? „Sie schüttelt mit
fatalem Lacheln den Kopf“, wenn man ihr so einen vernünftigen
Vorschlag macht, wie Durchgehen. Nein, sie muß Wagnisse wagen
können, hinterrücks, und Schleichwege schleichen und sich ins zier¬
lichste aller Fänstchen lachen, wenn der Mann so ganz „in Torheit
ertrunken“, sie erwürgen möchte und umarmen muß. Selbst eine leise
Zerknirschung gehört mit zu diesem leckeren Gemengsel von Gefühlen,
die sie sich zu Gemüte führt. „Ich werde noch schlechter werden,
wenn du kommst,“ befürchtet sie . . . und freut sich darauf. Sie ist
schließlich aus der Rasse, aus der zu Heines Zeit „des Henkers
Töchterlein“ und dergleichen grausame Weiberchen hervorgingen. Der
moderne Dichter behandelt sie aber nach den Regeln der neuesten
Psychonathologie und strekt nach Illusion, die sich auf einer Frauen¬
abteilung sehen lassen kann.
Die Klinik freilich ist mit aller romantischen Szenenkunst
traktiert. Man denkt an das Vehmgericht im Götz. Nur ist der
Vehmrichter hier der Gatte und der Schauplatz jener gewisse Turm.
Hohe Kerzen brennen, ein blankes Schwert ragt. Ein schwarzer Vor¬
hang geht auseinander und auf dem Bette liegt die Leiche des
Gerichteten. Elga wird mit ihr konfrontiert. Sie hat die Wahl zwischen
dem Toten und dem Lebenden und wirft sich in wahnwitzigem
Schmerz über die Leiche und speit dem Gatten, den sie doch wieder
nehmen möchte, ihren Fluch ins Gesicht. Also der hat sie geliebt.
Es ist experimentell festgestellt und unn weiß sie es wenigstens auch
selbst ... Was mit ihr weiter geschieht, erfährt man nicht, denn der
Traum ist aus. Nämlich, es war blos ein Traum, den
der Ritter der ersten Szene im schauerlichen Turmgemach
des Klosters hatte, das ihm zum Uebernachten angewiesen worden.
Was bei Grillvarzer der gräfliche Mönch dem Ritter erzählt, träumt
dieser in der Hauptmannschen Einkleidung. Schaudernd erwacht er
im Morgengrauen und sucht ohne Abschied das Weite. Für szenische
Wirkung ist durch diese Veranstaltungen und Wandlungen einiger
Raum geschaffen. Sie ist übrigens von der Regie wenig herausgearbeitet,
der Schauerapparat spielt mit Maß. Der Fall Elga an sich kann nicht
sonderlich aufregen, weil die Gestalten doch, wie schon in der Novelle,
für den jetzigen Geschmack zuviel Unpersönliches an sich haben. Sie
zeigen ein allgemeines Wesen, von mehr tyoischen Zügen; „der“
Gatte, „der“ Geliebte und so fort, woraus schließlich „die" Situation
sich zusammenstellt. Das fordert natürlich zu stilistischer Darstellung
auf, wie ja auch bei Maeterlinck; es wäre der Balladenstil festzu¬
halten, worauf sogar manches Sprachliche hinweist, förmliche
Refrainstellen zum Beispiel.
Auf solche Erwägungen läßt man sich jedoch nicht ein, es ist
gar kein Versuch gemacht, den Stil dieses Stückes zu suchen. Der
gangbare Realismus ist sicherer und er tut ja auch seine Schul¬
digkeit. Herr Rittner spielt den Grafen mit bekannter Kraft und
einer Fähigkeit zur Selbsthilfe, die ihn an etlichen schwierigen Stellen
interessant macht. An die gewisse brillante Eintönigkeit hat
man sich auch hier schon gewohnt. Ireue Triesch als Elga
ist weniger nach hiesigem Geschmack. In einem modernen Repertoire
gewiß vielfach schätzbar, wirkt sie auf Reisen nur durch den ein¬
zelnen Augenblick und kommt dabei schlechter weg. Sie macht sich die
Elga gar zu einfach und svielte eine Art Zigeunerin, mit einer
gewissen Operettenwildheit. Es fehlt der Zauber einer urwüchsigen
Liebenswürdigkeit, eines überrumpelnden und finulich einschmeicheln¬
den Temperaments. Und auch ihre spezifischeu Eigenschaften sind
zum Teil gerade solche, die in Wien keinen Kurs haben. Dabei soll
teineswegs übersehen werden, daß sie den letzten Akt mit aus¬
reichender Wirkung spielte. Den Oginski gab Herr Neuß ziemlich
ungelenk, er ist aber nicht ohne symvathisches Element. Herr
Reicher als knorriger Hausverwalter war ganz vortrefflich. Von
den Uebrigen ist nichts Besonderes zu sagen. Das Publikum war
sehr dankbar, besonders gegen Herrn Rittner, der levhaft gerufen
wurde. Das Stück, dessen scheinbar starke Sachen eigentlich doch
unberührt lassen, wurde mit Achtung zur Kenntnis genommen.
Als Einleitung des Abends diente Artur Schnitzlers ergreisen¬
der Einakter: „Der Puppenspieler“. Herr Bassermann spielte
darin mit jener besonderen berlinischen Rührungsnote, die auch Herrn
Waßmann im „Nachtasyl“ so genützt hat, den Georg Merklin.
Dieser verbummelte Schriftsteller, der sich allerlei Genialitäten ein¬
redet und unter anderem die Menschen wie Puppen an seinen Drähten
zu haben glaubt, ist an sich eine kostbare Figur. Eine tragische,
möchte man sagen, deren Tiefen eigentlich grundlicher ausgeschöpft
sein sollten. Von Herrn Bassermann meisterlich gespielt, gewahrte sie
einen Genuß, für den das Publikum dankbar war. L. H—1.