17.1. Der Puppenspieler box 22/6
IV.
(2 hakespeare war nicht bloß ein Tatsachenkünsiler: auch ein Wortkünsiler.
Bei Reinhardt isi er vorwiegend ein Bildkünsiler. Wenn Herr Harden
ein versetztes Rechtsanwaltchen: so ist Reinhardt im Grunde seines Mehlspeis¬
Innern ein versetzter Bayreuth=Regisseur. Soll er ein Vorteil für die Ent¬
wicklung werden: so muß er, wie im Anfang, Menschliches dreimal stärker
züchten als Formales. Heut ist er ein Nachteil für die Entwicklung. Und
da ich die Seligkeit habe, Kritiker zu sein, trifft es sich angenehm, daß ich
dergleichen äußern kann. Die Kunst vom Menschen ist das Wichtigste. Aff¬
chen! ... Macht nicht alles mit, was tausend Zungen belallen. Ich habe
für gewisse Dinge keine zweite Prägung . . . und sage: Wenn man eine
Zeitlang draußen war, nämlich an der See, fühlt man wieder: das schönste
Sommernachtsweben und das frischgestrichensie Tal=Idyll gibt im Theater
nicht das, was (im Theater) die Kunsi vom Menschen geben kann. Heutigen
die Kunsi vom heutigen Menschen. Wehen und Blühen und Leuchten ist
draußen schöner: aber Seelen unseres Schicksals in der Gedrängtheit, im
Helldunkel halbschimmernder Pfade zu sehen und in ihrer lockenden Veräsie¬
lung: das isi möglich, in Häusern ohne Flitter, ohne Chorschnarchen, ohne
Turnen, ohne Orchestrion, ohne Newyork.
Kritik ist Widerstand. Es bleibt eine Affchen=Unart: wenn kein Besserer da ist,
den hoch zu besingen, der da isi ... Ein Seitenstück: nehmt den trefflichen, doch
funkenlosen Schauspieler F. Kayßler. Er ist da: weil Rittner wegging.
Aber der Hang, darum einen „Erwarteten“ aus ihm zu machen, keimt nicht
in mir.
Hrre, mein Geist, aus dem Sommer hinterwärts und gedenke der Stiftung
X eines neuen Hauses, nach Hebbel benannt. In „Frau Warrens Ge¬
werbe“ gab es Shaws Strengheit — und hielt sich wacker. Shaw im Seiten¬
stück dieses Hauses, im Kleinen Theater: Brasbound, mit Agnes, dieser in
Deutschland Einzigen an Holdheit jeder Seelenbewegung ... Ein Kandaules
von André Gide. Ein Farbenfleckchen. An Durcharbeitung sehr zurückgeblieben
hinter dem dürren Koloß Hebbel; an vorschreitender Menschenzivilisierung über
ihn hinausgehend. An Skepsis. Kandaules spricht: „Schlafe bei ihr“.
Aus Ethik? aus Wunsch nach einer Erfahrung?... Experiment plus Ge¬
rechtigkeit. (Aber schwach geformt.)
Strindberg. „Mit dem Feuer spielen“. In einem fernen Decksalon fällt
es mir wieder ein. Seelisch Wertvolles. Sprunghaftigkeit der „Leidenschaft“;
ihre Verdrießlichkeiten; Vorsiöße; die Ernüchterungen; entstehender Haß ...
Dinge, die uns angehen.
Ich muß zu den jüngeren Dramatikern, sie röcheln schon: „Sind
. „Hochzeit“ von Emil Strauß.
wir nicht auch der Sommer, hä?“
Gut in den Kammerspielen dargestellt. Das Gedächtnis hebt etwas
1924
IV.
(2 hakespeare war nicht bloß ein Tatsachenkünsiler: auch ein Wortkünsiler.
Bei Reinhardt isi er vorwiegend ein Bildkünsiler. Wenn Herr Harden
ein versetztes Rechtsanwaltchen: so ist Reinhardt im Grunde seines Mehlspeis¬
Innern ein versetzter Bayreuth=Regisseur. Soll er ein Vorteil für die Ent¬
wicklung werden: so muß er, wie im Anfang, Menschliches dreimal stärker
züchten als Formales. Heut ist er ein Nachteil für die Entwicklung. Und
da ich die Seligkeit habe, Kritiker zu sein, trifft es sich angenehm, daß ich
dergleichen äußern kann. Die Kunst vom Menschen ist das Wichtigste. Aff¬
chen! ... Macht nicht alles mit, was tausend Zungen belallen. Ich habe
für gewisse Dinge keine zweite Prägung . . . und sage: Wenn man eine
Zeitlang draußen war, nämlich an der See, fühlt man wieder: das schönste
Sommernachtsweben und das frischgestrichensie Tal=Idyll gibt im Theater
nicht das, was (im Theater) die Kunsi vom Menschen geben kann. Heutigen
die Kunsi vom heutigen Menschen. Wehen und Blühen und Leuchten ist
draußen schöner: aber Seelen unseres Schicksals in der Gedrängtheit, im
Helldunkel halbschimmernder Pfade zu sehen und in ihrer lockenden Veräsie¬
lung: das isi möglich, in Häusern ohne Flitter, ohne Chorschnarchen, ohne
Turnen, ohne Orchestrion, ohne Newyork.
Kritik ist Widerstand. Es bleibt eine Affchen=Unart: wenn kein Besserer da ist,
den hoch zu besingen, der da isi ... Ein Seitenstück: nehmt den trefflichen, doch
funkenlosen Schauspieler F. Kayßler. Er ist da: weil Rittner wegging.
Aber der Hang, darum einen „Erwarteten“ aus ihm zu machen, keimt nicht
in mir.
Hrre, mein Geist, aus dem Sommer hinterwärts und gedenke der Stiftung
X eines neuen Hauses, nach Hebbel benannt. In „Frau Warrens Ge¬
werbe“ gab es Shaws Strengheit — und hielt sich wacker. Shaw im Seiten¬
stück dieses Hauses, im Kleinen Theater: Brasbound, mit Agnes, dieser in
Deutschland Einzigen an Holdheit jeder Seelenbewegung ... Ein Kandaules
von André Gide. Ein Farbenfleckchen. An Durcharbeitung sehr zurückgeblieben
hinter dem dürren Koloß Hebbel; an vorschreitender Menschenzivilisierung über
ihn hinausgehend. An Skepsis. Kandaules spricht: „Schlafe bei ihr“.
Aus Ethik? aus Wunsch nach einer Erfahrung?... Experiment plus Ge¬
rechtigkeit. (Aber schwach geformt.)
Strindberg. „Mit dem Feuer spielen“. In einem fernen Decksalon fällt
es mir wieder ein. Seelisch Wertvolles. Sprunghaftigkeit der „Leidenschaft“;
ihre Verdrießlichkeiten; Vorsiöße; die Ernüchterungen; entstehender Haß ...
Dinge, die uns angehen.
Ich muß zu den jüngeren Dramatikern, sie röcheln schon: „Sind
. „Hochzeit“ von Emil Strauß.
wir nicht auch der Sommer, hä?“
Gut in den Kammerspielen dargestellt. Das Gedächtnis hebt etwas
1924