II, Theaterstücke 17, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 2), Der Puppenspieler. Studie in einem Aufzuge, Seite 122

Münchener Theater.
g. München, 16. September. Die Wagner=Fest¬
spiyle im Prinz=Regenten=Theater sind, auf der ganzen
Linie von Erfolg getragen, dem eine einzige zufällige Entgleisung im
ersten Tannhäuser, durch einen glänzenden zweiten gleich wieder wett¬
gemacht, keinen Abbruch tut, mit dem dritten Ring zu großartigem
Abschluß gediehen. Ernst Kraus bot als Siegmund und Siegfried
durch die entzückende Rhythmik seines Vortrags Vollendetes; Frl. Faßbender
brachte das edle Pathos ihrer Brünnhilde zu überwältigendem Ausdruck,
so erhaben als einfach. Dem Orchester aber, das, eingeengt in den
Tiefen des „mystischen Abgrundes“, mit Aufopferung Ideales geleistet,
gebührt besondere Ehrenerwähnung, unbeschadet der Verdienste seiner
Führer Mottl und Fischer. Denn wo bleibt des Feldherrn Sieg ohne Heer?
Während das schöne Amphitheater auf der Isarhöhe wieder zur Winter¬
rüste — leider — geht, fängt im Residenz= und Hotheater neues
Leben sich zu regen an. Die Plänkler der Saison freilich haben noch
nicht das rechte Prestige. Immerhin machte das Lustspiel Nurein
Traum von Lothar Schmidt einen ganz gefälligen Eindruck.
Es französelt ziemlich, ohne die Leichtigkeit und Zierlichkeit der
gallischen Mache zu besitzen. Der Schritt vom pflichtmäßigen Ehe¬
wege, den ein vom Maiwein erhitzter Abenteuermut sich gestattet,
wird auf etwas plumpe Weise getan, so daß es nicht wundernimmt,
wenn der gute Mann, der nur beiher ein bißchen treubrüchig sein
will, arg hineintappt und als willkommener Scheidungsgrund fest¬
gehalten wird. Neu und ergötzlich ist der Typ eines Gatten, der ge¬
wohnt, die Dinge halb fatalistisch, halb mathematisch zu erwägen, dem
Helfer zur Freiheit vom Ehejoch allen möglichen Dank zollt. Steinrück,
für den solch modernes Fahrwasser das günstigste Element ist, gab den
Mathematikus famos. Basil, der die Regie führte, tat das Seine
für den Ehemann in Aengsten, Frau von Hagen betete alle Register
der versuchten Standhaftigkeit und gestrengen Rächerin gekränkter
Treue graziös herunter. Das Publikum aber, bei dem nun ein für¬
allemal das Königliche Theater auf unbedingte Tugend geeicht ist,
blieb zurückhaltend, während es andernorts mit Lachen quittiert hätte.
Indes hat eben das Residenz=Theater einen kaum zu ersetzenden
Verlust erlitten durch den Uebertritt Frl. Reubkes an das Frank¬
furter Stadttheater. In den 5 Jahren seit ihrem ersten Debüt als
Gisa im Flachsmann ist die anmutige, damals fast noch kindliche
Künstlerin zu einer Kraft ersten Ranges erstarkt. Ihre Vielseitigkeit
machte sie zu einer Stütze des Ensembles. Das Gebiet, das ihr am
meisten am Herzen lag, war das klassische. Tatsächlich bildete ihr
Geetchen, ihre Luise oder Recha unverwischbare Erinnerungen für den
verständnisvollen Münchener Theaterfreund. Die natürliche Grazie und
Eleganz ihres Wesens und ihrer Erscheinung aber wiesen sie doch so recht
eigentlich in den Salon, und darum hat ihr Spiel und ihre Sprech¬
kunst in der Homödie des Molière, wie in der jüngerer Lustspiel¬
schreiber, französischer wie z. B. in Paillerons Maus oder deutscher,
um nur Dreyers Siebzehnjährige zu nennen, die meisten Triumphe
gefeiert. Da das Hoftheater geschlossen ist, konnten wir zum Abschied
nicht etwa die tragische Innigkeit ihres rührend lieblichen Prinzen
Arthur bewundern, auch ihre Ibsens Grundgedanken in vielem Betracht
erschöpfende, ausgezeichnete Hilde Wangel war es nicht, sondern das
Fräulein in Schwarz, das uns zum letzten Male das liebenswürdige
Talent vor Augen führte, dem in zielbewußtem emsigen Aufstreben
wohl noch eine reiche Blüte beschieden ist. Herzlicher Beifall und
eine Fülle von Rosen bekundeten in Erkenntlichkeit für manch
lauteren Kunstgenuß die Wünsche der Münchener für den
Gäste
Entwicklungsgang der ungern vermißten Künstlerin.
das
kamen, Gäste gingen an unserem Volkstheater
nach Harry Walden nun Bassermann als große Anziehunig
gewonnen hat. Außer Bingler in Stein unter Steinen, Striese,
Bernick und anderen altbekannten Glanz= und Paraderollen hat er
eine kleine Nichtigkeit von Arthur Schu
Puppenspieler
betitelt und Stüdie genauntin der Triert###nes herabgekommenen
Ichliteraten sehr pointen= und geistreich gespielt, mitgebracht und ei
Urmünchener Stück, des wackeren Martin Schleich gemütlich ha
losen Bürger und Junker neu zu beleben versucht. Mit
für alle, die Ferdinand Lang nicht als Baron Rinäcker gesehen
das für die Hofbühne geschriebene Stück zum steten Spielpla##örte.
Mehr Mannheimer mag Bassermann gewesen sein, aber Lang war
unvergleichlich mehr Kavalier, herzenswarmer alter Edelmann, dessen
kerndeutsches Gemüt einen pfälzischen Stich ins französisch Char¬
mante hatte. Bei aller Redseligkeit vermied er den Schwätzer,
obwohl ein ergrauter noch liebebegehrlicher, adelsbewußter Galan, nicht
das leiseste Spürchen von Geckerei, von so unwiderstehlicher
Bonhomie, daß man der verliebten Strumpfwirkerstochter fast
ihren kurbayerischen Leibjäger Maxl
gram war, daß
ihm vorzog. Vielleicht findet ein moderner Darsteller jene herz¬
erquickend behagliche Harmlosigkeit nicht mehr. Bassermann legte
zu viel Verständigkeit in die Rolle, gab in unverfälschtem, doch etwas
trockenem Mannheimer Dialekt gewissermaßen eine korrekte Deduktion
der Rolle, ein fabelhaft geschicktes Erempel, das man dem Schau¬
spieler und seinem Können hoch anrechnen mußte, während man bei
dem seiner Kunst völlig unbewußten Lang nicht dazu kam, an derlei
zu denken. Frau Müller=Bardou holte sich mit der zur Groteske
verzerrten adeligen alten Jungfer einen Bombenapplaus bei offener
Szene, während das porzellaufigurengleiche, graziös kokette Fräulein
des ancien régime der Dahn=Hausmann sich einst in diskretem
Humor auf dem zweiten Plan zu halten vorzog.
So sehr hat sich
unser Geschmack vergröbert, daß wir statt zwischen den Zeilen lesen
zu können, alles fett gedruckt fordern und selbst, wo es stillem Ver¬
ständnis und zarter Andeutung gilt, noch ein sic oder Merkzeichen
brauchen, um nachdrücklich zu vermerken, wie still oder zart das ist.
Die Reklarnetafeln sind das Zeichen, in dem diese neue Bühnen¬
kunst siegt.