Berliner Neueste Nachrichten
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NN
Theater.
(Siehe auch 1. Beilage.)
* Deutsches Theater. „Lebendige Stunden“,
Ein
vier Einakter von Arthur Schnißler.
echter Schnitzler=Abend. Lebensphilosophie, Causerie, Groteske,
Poesie und witzige, wenn nicht blendende Aperaus: jedes in
seiner Art geschickt behandelt und alles wiederum in seiner
Summe von einem gestaltungskräftigen Formtalent zu starken
Wirlungen und Pointen herausgearbeitet. Daß diese Wirkungen
Zzum Theil Augenblickswirkungen sind, die das Meer der Empfin¬
dungen nicht zur Sturmfluth aufwühlen, sondern lediglich ein!
wenig die Oberfläche kräuseln, wird Vielen erst bemerlbar ge¬
worden sein, als sie das Theater verließen und eine Rekapitu¬
lation vornehmen wollten. Elegant gearbeitete Sachen, sein
ziselirt oder apart in der Form, mit Liebhaberwerth.. Das ist¬
nicht wenig, wenn es auch nicht die Tiefe der Kunst bedeutet.
Die vier verschiedenen Einakter — der Gesammttitel ist will¬
türlich mit den einzelnen Stücken in Zusammenhang zu bringen
oder nicht — sind nicht gleichwerthig. Der erste, „Lebendige
Stunden“, ein „Schauspiel“ genannt, ist eine knappe psycho¬
logische Skizze in Dialogform; ich glaube, zur Novelle gestaltet
hätte sie eine tiefere Wirtung, ein nachdenklicheres Interesse des
Publikums nach sich gezogen. Die letzten seelischen Feinheiten,
die heimlichen Regungen des Egoismus zweier Individuen, die
beide aus dem Leben oder Sterben einer geliebten Frau ihre
„Lebendigen Stunden“ erzielen, mußten im Licht der Rampen
vergröbert wirken, umsomehr als keine Bühnenvorgänge, keine
Handlung paralysirend eingriff. Dennoch, dank dem Dichter
in Schnitzler, lösten sich einzelne Stimmungsmomente aus dem
Dialoge aus und theilten sich dem Hörer mit. — Das zweite
Frau mit dem Dolche“
,D
kleine Schauspiel
erscheint als die blutlosere der vier Gaben. Ein Capriccio,
nichts mehr. Und, trotz der originell anmuthenden Form, in der
Grundidee nicht einmal sonderlich neu. Eine Dame trifft sich mit
ihrem Liebhaber in einer Galerie vor dem Gemälde einer „Frau
fmit dem Dolch“, die eine zufällige Aehnlichkeit mit ihr besitzt. Sie
gedenkt ihren Liebhaber zu verabschieden; ihre hysterische Natur
hat sie dazu getrieben, in Gedanken zu sündigen und sich ihrem
Manne zu offenbaren, der, ein „Dichter“, ein „neues Stück“
daraus macht. Nun, in der Galerie, vor dem Bilde der
unbekannten Doppelgängerin, die vor einigen Jahrhunderten ge¬
liebt haben mochte, treibt ihre Hysterie sie zu rücklirkenden Halln¬
zinationen. Die Szenerie auf der Bühne wechselt. Man blickt in
ein Maleratelier des Cinquerento. Die Gattin des Malers hat
mit dem Schüler gebuhlt; sie gesteht es ihrem Mann, der den
Knaben mit Verachtung straft; der Schüler schwört dem Meister
den Tod — da stößt die Frau den Buhlen mit dem Dolche
nieder, und der Meister —— greift hastig zu Pinsel und Pa¬
lette, den Moment auf der Leinwand zu fixiren. Bis auf den
Dolchstoß deckt sich Vergangenheit und Gegenwart. Schnitzler
frappirt durch eine Pointe. Die „moderne" Frau, aus ihrer Hallu¬
zination erwacht, bewilligt dem Geliebten ein neues Stelldichein.
Leider gelang Schnitzler diese Arbeit nicht farbig genug. In
den Figuren, die er für dieses Spiel schuf, fließt zu wenig
Menschenblut. Sie reden und tändeln, aber sie leben nicht.
Einen grotesken Akt schuf der Dichter mit dem Schauspiel
„Die letzten Masken“. Man könnte ihn die Tragikomödie einer
Sterbestunde nennen. Mit realistischen Strichen schildert
Schnitzler hier, und die Szene würde zur Frivolität werden,
wenn sie nicht durch den unbewußten Humor eines drmseligen
Schluckers und Lebenskomödianten gemildert würde. Dieser
Komödiant, ein Schauspieler von Beruf, glaubt dem Tode (der
Akt spielt im Spital) dadurch entronnen zu sein, daß er sich
durch „inwendiges“ Schimpfen auf seine früheren Widersacher
Luft schaffte. Er empfiehlt das Mittel einem Spitalkollegen,
einem sterbenden Journalisten. Doch als dieser den Mann zu
sich entbieten läßt, den er um seines Ruhmes winen am meisten!
haßt, als er, der Zurückgebliebene, sieht, daß auch auf den
Höhen des Ruhmes die Sorgen daheim sind oie in den Niede¬
rungen, da resignirt er und stirbt, ohne den Lebenden zu be¬
schimpfen. Die feinen Gegenüberstellungen in dem Stückchen
zeugen von Künstlerhand. — Den Beschluß machte ein Schwank
„Literatur“, eine Schnurre aus der literarischen Kaffee¬
haus=Bohème, eine Satire auf die Auswüchse des Literaten¬
thums, voll von witzigen Bemerkungen, geistreich und boshaft
zugleich. Das Publikum, das dem letzten launigen Einfall den
lautesten Beifall spendete, war den ganzen Abend in Gebelaune.
Es applaudirte stürmisch und rief den Dichter viele Male vor die
Rampe. Unter den Darstellern ragten Rittner, Rein¬
hard, Fischer und Bassermann sowie Frl. Triesch
am glänzendsten hervor. Richard Hahn hingegen war an
R. II.
diesem Abend nicht am Platze.
——
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Ausschnitt aus:
Zeig
vom
7 Brndschan, Hoeri
Theater und Musik.
Deutsches Cheater.
Arthur Schnitzler: „Lebendige Stunden“.
Unter dem Titel des ersten Stückleins hat Schnitzler
vier Einakter zu einer äußerlichen Einheit zusammengefaßt,
die am gestrigen Abend in ihren drei ersten Teilen mit
re wacher, nur während des zweiten Stückes etwas er¬ Uinglre
Für
100 mattender Aufmerksamkeit angehört wurde, mit dem
200 vierten, sehr witzigen kleinen Schwanke die aus= Ihlbar
500 gelassenste Heiterkeit erregte. „Lebendige Stunden“ Woraus
„ 1000 ist eine hübsche kleine Glosse von Leben und Lebenlassen,
ist das
Im von der Macht und dem Rechte des Daseins gegenüber
es den
Abonnem allem, was da stirbt.
„Die Frau mit dem
Abonnent Dolche“ sucht mit leichtem, ja fast leichtsinnigem
Finger an die Idee der Seelenwanderung, an
De die Welt der Ahnungen zu rühren. „Die letzten liend die
orgen¬
Inhaltsa Masken“ läßt einen heißen Haß vor der alltäglichen
Zeitung“)
blätte
Macht, vor dem alles gleich anschauenden Angesicht des he Leben
wodurch
Lebens zu nichte werden. Schließlich „Litteratur“ heilungen
des In¬
stellt mit üppigem Spott die freie, ein wenig faule Welt
werden ir
der Kunst einem an strengeren, aber nur äußerlichen Formen
festhaltenden Klassengeiste gegenüber. Es waren sicherlich
keine „unlebendigen Stunden“ die uns der Abend ver¬
schaffte. Alle vier Stücklein legen Zeugnis ab
von dem feinen, auf Pointen gestellten Geiste
Schnitzlers, wenn auch hier und da die Ausführung;
in der Abgerissenheit des Einakters stecken bleibt. Herr
Rittner, Bassermann, Reinhardt und Frl.
Triesch waren die darstellerischen Helden des Abends.
Herr Bassermann gab mit einer Fülle von kleinen,
überaus launigen, schillernden, springenden Zügen zuerst
einen Modedichter mit prächtigem Vollbart und
langen, wallenden Bewegungen, dann prächtig borniert
und doch wieder pfiffig auf seine Art einen Baron, dem
„janze Richtungen nich passen“. Herr Reinhardt ist
auf dem Gebiete würdiger alter Herren heute fast schon
eine Spezialität. Mit ungemeiner Eindringlichkeit zeichnete
er zu Anfang einen pensionierten Beamten in stillem
Schmerze, dann einen in seinem ehrlichen Streben
heruntergekommenen Journalisten in dem die Gluten
die ihn einst zur Feder greifen ließen, nach
erloschen sind. Das Unübertrefflichste in der realistit
Charakterzeichnung ist immer noch Herr Rittne##
ist sein Ausdruck von der letzten Energie in Wort undwe
Spiel die vollendete Einheit
chauspielerische
tehen
lichkeit und des angespamst
Situation. Wie er hier über
Mutter in einem rührenden, wilden
h
schien, dann im letzten Stück in fast Hartlebense
wohl nicht beabsichtigter Maske einen Be
zeichnete, das war äußerste Intuition. Fräu
[Triesch hatte in zwei leichter wiegenden Rollen wesentlich 1.
nur Leichtigkeit und Behendigkeit des Naturells zu zeigen,
was ihr in keinem Punkte versagt blieb. Ein Spieler wie
Dere Hahn sollte im Deutschen Theater nicht an sicht¬
Pameee stehen, namentlich wenn in demselben
Stücke Herr Sommerstorff sich fast mit einer Statisten¬
rolle abfinden lassen muß. Herr Fischer gab mit seiner
flinken Munterkeit einen tranken Schauspieler, der noch kurz
vor dem Abschluß seiner irhischen Komödie nichts als den
Mummenschanz der Bühne, als „Wirkung" und „Erfolg“
Paul Mahn.“
im Ange hat. — Morgen weiteres.