II, Theaterstücke 16, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 1), Lebendige Stunden. Vier Einakter, Seite 34

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16. 1. Lebendige Stunden Zyklus
eigenen Leidens wird er seine Meisterschaft sich kräftigen Paola, die Frau mit dem Dolche in der Gemäldegalerie
Atthur Schuitzlet's „Tebendige Stunden“.
fühlen, mit blutendem Herzen wird er seine Bildnergabe
vor dreieinhalb Jahrhunderten es gethan mit dem jungen
Berlin, 4. Jänner.
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steigern, und es wird ihn nicht kümmern, daß Andere als
Maler Lionardi, den sie dann in Gegenwart ihres zurück¬
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Es ist am Abend nach der ersten Aufführung im
selbstsüchtige Genußfähigkeit anklagen, was ihm selber die
gelehrten Mannes, des Meisters Romigio, erstach. Und aus
Deutschen Theater. Man hat vier Stücke gesehen, Ein¬
Vollendung seines besten Wesensinhalts ist. Oder aber ein
der schönen Geste machte Romigio in derselben Stunde ein
arter. Sie heißen: „Lebendige Stunden“, „Die Frau mit
hohler Charlatan und Macher spielt mit dem Leben, und
Bild, ehe er die Treulose richtete. Dies erleben wir mit.
dann wäre er werth, der Lump genannt zu werden, der er
dem Dolche", „Die letzten Masken“, „Literatur“. Nach dem
Denn mit seltsam eindringlicher Anwendung des Motivs
ist, wenn nicht die Majestät der Todesstunde dem Ankläger
ersten Stück sind dann die vier insgesammt benannt. Dieser
von der Seelenwanderung läßt uns Schnitzler die Scene
den Mund schlösse. Oder endlich, das Fangballspiel mit
Einactercyklus „Lebendige Stunden“ hat außerordentlich
in der Gemälvegalerie, zwischen der Frau und dem Werber,
dem Leben vollzieht sich in den Clownsfeelen von After¬
gefallen, und nun fragt man nach dem Zusammenhang
sich plötzlich rückwärts verwandeln in die Tragödie, die sich
künstlern, und die Tragik des Künstlerthums schlägt in die
zwischen den Stücken. Der Dichter Schnitzler ist ein Mann
vor Jahrhunderten im Atelier des italienischen Malers ab¬
Burleske um. Manchmal aber rächt sich das Leben, das der
von sehr viel Geist. Er hat die schöne Fähigkeit, seinen Geist
gespielt. Die Frau mit dem Dolche, deren Bild wir vorher
Künstler mit herrlichem Egoismus als Rohsioff verbraucht,
durch seine gestaltende Dichterkraft zu zügeln, der Glanz
gesehen, wird lebendig. Sie hat den Stahl in das Herz des
an dem Gestaltenden, und indem es sich gefallen lassen muß,
seiner Dialektik ist nicht erborgt, er ist der Widerschein
Jünglings gesenkt, und nun steht sie da, und ihr Mann
eines wärmenden Feuers. Dieser Dromatiker sieht den
von ihm bemeistert zu werden, stürzt es über ihn her wie
Romigio malt sie in der leidenschaftlichen Attitude, und
ein wildes Thier und vernichtet ihn, nachdem er es
Weltlauf mit einer fesselnden Mischung von Ironie und
dann wird er sie tödten. Als aber die Scene sich wieder in
Resignation an. Er hat den kalten, unbestechlichen Forscher¬
gestaltet hat.
den Saal der Gemäldegalerie verwandelt hat, sagt die junge
blick, und er hat die Gabe des Verzeihens inmitten des
So sind Schnitzler's vier Stücke gleichsam ein einziges
Frau, die so wundersame Aehnlichkeit mit dem Bildniß hat,
Begreifens. Er ist den Menschen und den Dingen über¬
Stück geworden, dessen vier Acte das Prohlem des Verhält¬
dem Begehrenden: „Ich werde kommen.“
legen, an die er seine sicher bildende Hand legt, aber er um¬
nisses von Kunst und Leben um und um wenden, so aber,
Das dritte Stück, „Die letzten Masken“, spielt im
hüllt sie mit seinem starken und innigen Mitfühlen. Dieser
daß der tiefere Sinn sich in Gestaltung umsetzt und das
Spital. Ein sterbender Journalist, ein dem Tode naher
skeptische Weltmann hat Herz. Man darf sich der
scheinbar Constructive zum Organismus wird. Im ersten
Komöviant daneben. Der arme Schriftsteller hat nur noch
schimmernden Oberfläche anvertrauen, denn unter ihr ruhl
Stück mit dem Sondertitel „Lebendige Stunden“ sehen wir
einen Wunsch. Den Jugendfreund, den berühmt und reich
eine Tiefe.
einen jungen Dichter, dessen edle, opferfähige Mutter ihre
gewordenen Dichter Weihgast, möchte er vor seinem Tode
Wie die vier Theile einer Symphonie schließen sich
furchtbare Krankheit durch Selbstmord endigt, damit der
sprechen, um ihm allen Grimm und Haß zuzuschleudern,
die vier Einacter zusammen, nur daß diesmal, aus
liebevoll ihr hingegebene Sohn wieder Sammlung und
den er gegen den erfolgreichen Hohlkopf auf dem Herzen
Gründen der Bühnenökonomie, das Scherzo hinter das
Arbeitsfrische bekomme. Und er wird sich des Opfers werth
hat, um ihm zu sagen, daß des Gegners Frau seine Ge¬
Finale gerückt ist, die lustige Umkehrung des Themas hinter
zeigen. Er wird es, obwohl der alte Freund der Todten, der
liebte gewesen, um ihn zu zerschmettern und so vor dem
den bitteren Schluß, wo im Sterben die letzten Masken ab¬
pensionirte Veamte Hausdorfer, erbittert ist über den Hoch¬
Hinscheiden den köstlichsten Triumph der Rache auszukosten.
fallen. Es ist ein Anschwellen und Verklingen immer der¬
muth, mit dem sich die Kunst über das Leben und seine
Mit dem Komödianten probirt er gleichsam die schaurige
selben Tonfolge in allen vier Stücken. Hier ist das Leben,
herben Leiden setzen will. Im zweiten Stück „Die Frau mit
Scene, die seine wüthende Phantasie sich ausgemalt hat.
bunt, reich, verworren, bitter; und dort ist der Künstler,
dem Dolche“ gibt die Frau eines Dichters dem stürmischen
Und nun kommt wirklich der lächerlich aufgeblasene Tropf,
an den dies Leben heranbrandet, feindlich oder auch
Werben eines jungen Menschen nach, den sie nicht liebt,
elegant, verlogen, selber der schlimmste, aber auch der ge¬
schmeichelnd, immer aber so, daß es ihn unterkriegen würde,
dem aber ihre Sinne sich zuneigen. Sie weiß, ihr Mann
schickteste Komödiant. Indem er seine Theilnahme zeigen
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wenn er sich nicht zu wehren wüßte. Wie steht der Künstler
wird daraus ein neues Drama machen und vielleicht sie
will, fallen mehr und mehr die Hüllen und die Masken von
zum Leben? Es ist sein Stoff, er hat keinen anderen, und
tödten, aber trotzdem oder deshalb thut sie es aus Trotz seiner Erbärmlichkeit ab. Was für ein Nichts ist dieser
je heißer er mit ihm ringt, desto stärker müssen die Gluth¬
und Wildheit der Triebe, die sich dagegen aufbäumen, sich Mensch! Und um seinetwillen soll es sich gelohnt haben,
ströme der Energie auf sein Schaffen hinüberwirken. Darum
immer nur einer Psyche unterordnen zu sollen, die von der
neidisch gewesen zu sein? Nein; Rademacher, der Journalist,
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Kunst bis in alle Fasern so gesättigt ist, daß sie alles Erleben
wohl dem Künstler, der Tragödien erlebt und nicht blos
wird ihm nichts sagen, gar nichts. Ex läßt den Anderen
als etwas von ihm Losgelöstes beobachtet. Im Feuer des zur Steigerung dieses Inhalts verwerthet. Sie thut es, wie nur immer reden. er läßt ihn gehen. Und dann, als er