II, Theaterstücke 16, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 1), Lebendige Stunden. Vier Einakter, Seite 46

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auch seinen Schmerz seiner Kunst dienstbar zu machen. Ein
junger Poet erfährt nach dem Tode seiner Mutter, daß diese, die
an schwerer Krankheit litt, ihren Tod mit eigener Hand
beschleunigte, weil sie durch ihr Leiden die Schaffenskraft des
Sohnes gehemmt sah. Ein pensionirter Beamter, der einst die
Todte geliebt hat, klärt den Sohn in brutaler Weise über das Ge¬
heimniß auf. Aber es sind nur Typen, die da miteinander reden, keine
Menschen von individuellem Gepräge, und fast scheint es, als ob
der Verfasser in diesem Stückchen nur seinen Kopf, nicht aber
auch Herz und Phantasie arbeiten ließ. So konnten denn auch
Max Reinhardt's reife Kunst und Rudolf Rittner's
starkes Temperament den farblosen Schemen kein rechtes Leben
einhauchen. Aus den „lebendigen Stunden“ wurde nur eine
todte halbe Stunde. Ganz Phantasie dagegen war der zweite
Einakter, eine Art modernes Traumstück, bei dem nur, wie das
in Träumen so üblich ist, das logische Denken ein bischen
zu kurz kam. In einer Gemäldegallerie trifft eine
schöne Frau den jungen Mann, der sie leidenschaftlich
verehrt, und zwar gerade in einem Saal, in welchem das Bild
eines unbekannten alten italienischen Meisters hängt. Das Bild
stellt eine Frau mit einem Dolche dar und diese gemalte Frau
sieht der lebenden zu ihren Füßen merkwürdig ähnlich. Heine
hat in einer seiner Novellen einmal interessante Betrachtungen
über solch seltsame räthselhafte Aehnlichkeiten angestellt. Aber
Schnitzler geht noch viel weiter. Bei ihm versinkt die schöne,
junge Frau angesichts ihrer gemalten Dopvelgängerin in eine
Art von nervös=hypnotischem Schlaf, während dessen ihr Träumen
vor unseren Augen lebendig wird. Sie ist auf einmal die Frau
des unbekannten italienischen Meisters, den sie eine Nacht mit
seinem Schüler betrogen hat. Als der Gatte in verblüffender
Großmuth dem Verführer einfach die Thür weist, stößt sie selbst
den Mann nieder, dem nur ihre Sinne und nie ihr Herz gehört.
Wie sie noch in der Pose mit dem Dolch dasteht, stürzt der
Meister an seine Staffelei, um ihr schon angefangenes Bild so
zu vollenden. Noch einmal verdunkelt sich die Bühne, und als
es hell wird, sind wir wieder in der Gallerie von heute. Die
schöne junge Frau verspricht ihrem Liebhaber das Rendezvous,
das sie ihm so lange verweigert hatte. Der Traum hat sie bekehrt.
Ein artiges Spiel ohne tiefere Bedeutung. Ein Glück nur, daß
Schnitzler die Dame nur einen Akt lang träumen ließ. Ein grausamerer
Dichter hätte vielleicht vier Akte daraus gemacht und das ver¬
liebte Weibchen sich noch durch einige interessante historische
Perioden hindurchträumen lassen. Seien wir ihm also trotzdem
dankbar, und das umsomehr, als Irene Triesch die Frau
mit dem Dolch in ihrer nervösen, leidenschaftlichen Art ungemein
lebensvoll zu gestalten wußte. Eine uneingeschränkte Freude an
Arthur Schnitzler's Können hatte man jedoch erst bei den letzten
beiden Stücken. Das einaktige Schauspiel „Die letzten
Masken“ ist eine liebevoll beobachtete Studie aus einem
Krankenhause, aus der man ersieht, daß der Dichter zugleich
auch Arzt ist. Ein alter Journalist liegt im Sterben, aber
vor seinem Tode möchte er einem Jugendfreunde, einem flachen,
hohlen Gesellen, der es aber als Schriftsteller erheblich weit ge¬
bracht hat, noch einmal gründlich die Wahrheit sagen. Als er
seine Standrede an einem drolligen Mitpatienten probirt, redet
er sich auch all' seinen Ingrimm vom Herzen herunter, als aber
dann der Jugendfreund selbst kommt, bringt er kein Wort mehr
über die Lippen, und der quallige Litteraturbonze kann sich in
ungestörter Selbstgefälligkeit wieder entfernen. Der sterbende Alte,
sein Jugendfreund, der Mitpatient, ein schwerkranker und doch immer
in Illusionen lebender Komödiant, der vielbeschäftigte Arzt, das sind
alles Menschen, die wirklich eines Dichters Auge gesehen und mit
scharfen Strichen festzuhalten gewußt hat. Das kleine Schauspiel
ist im eigentlichsten Sinne eine Tragikomödie, und es verdient
diesen Titel jedenfalls mehr, als der „Rothe Hahn“ und andere
Ueberflüssigkeiten. Gespielt wurde es von den Herren Rein¬
hardt, Bassermann, Fischer und Hofmeister
einfach glänzend. — Den Schluß des Abends bildete ein
toller Schwank. „Litteratur" bringt in ähnlicher Weise,
wie Otto Ernst in „Jugend von heute“ Karikaturen aus der
modernsten Schriftstellerbohéme auf die Bühne, aber der kleine
Schwank beweist auch, wie unendlich witziger, beißender und doch
auch wahrer und liebenswürdiger Arthur Schnitzler ist. Die
junge Dichterin, die nach berühmten Mustern Selbsterlebtes als
reine Phantasie ausgiebt, weil sie sich aus der Bohême in die
Arme eines braven, aber äußerst stumpfsinnigen Barons flüchten
will, der junge genialische Poet, der wie ein Gespenst aus
ihrer Vergangenheit vor ihr erscheint, und der famose Baronk
selbst sind wundervoll charakterisirt und die Handlung ist
in toller Laune und mit behendem, stets schlag¬
fertigem Witz durchgeführt. Und es war ein Vergnügen, mit
wie drolligem, echtem Humor Irene Triesch, sowie die
Herren Bassermann und Rittner dem Dichter zur Seite
standen. Hatten die beiden ersten Einakter nur bei der Claque
einen Achtungserfolg gefunden, so bedeutete die zweite Hälfte des
Abends einen entscheidenden Sieg für Arthur Schnitzler, den das
Publikum zum Schluß gar nicht oft genug vor die Gardine
rufen konnte.
Sch.