II, Theaterstücke 16, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 1), Lebendige Stunden. Vier Einakter, Seite 47

Alex. Weigl’s Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte
Ausschnitt
„OBSERVER“
Nr. 48
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Ausschnitt aus:
vom
14—
Geriger Locai-Anzc iner
des iebenschaffenden Todes gegeben. Dem Dichter Hasses und der Verachtung offenbaren. Aber et
Arthur Schnitzler — und er ist ein Dichter — ents Ikommt nicht dazu — der Lebende ist zu klein
Cheater und Mulik.
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geistig zu werthlos.
faltete sich diese Tragödie zu einer Reihe neuer Bilder,
„Litteratur“, der gute Beschluß, ist ohne „tiefert“
zu einer Kette feelischer Processe. Aber er sah
W. R. Im Deutschen Theater hatten gestern
Idee. Ein lustiges Bild aus dem Leben der Münchesier
ie
diese Bilder gleichsam in ihrer Abstraction,
(Sonnabend) die vier Einakter von Arthur
und Wiener Kaffeehaus=Litteraten, voll Witz
wurden ihm nicht lebendig, sondern sie
Für 50 Zei Schnitzler mit ihrem Gesammttitel „Leben¬
Sie waren in
und Bosheit, mit allerlei guten Anspielungen, ein
100
bleben in der Idee.
dige Stunden“ ein etwas spätes, aber gutes
Einakter, der unterhält und sich in seiner Anspruchs¬
seinem Geiste Novellen mit feinster Schilderung,
200
Ende. Man war erfreut, man war sogar ent¬
500
losigkeit länger behaupten wird, als die tief sein
1 mit innigster Ausmalung von Moment zu Moment.
zückt, und der Beifall wollte nimmer aufhören.
sollenden Ideendichtungen ohne echtes Empfinden,
„Und diese feinen seelischen Processe nahm er und
„ 1000
Wer hätte das gedacht nach diesem Anfang! Es war
ohne menschliche Wahrheit.
zerschlug sie vergröberte sie und muchte Ein¬
Ge wirklich ein Vergnügen. Man durfte die weihe¬
Im
Fräulein Irene Triesch und die Herren Reinhardt,
alter daraus. Die größten und letzten Momente
Abonnement volle Miene echt menschlich glätten, man brauchte
Rittner, Bassermann und Fischer waren die Haupt¬
des Lebens, der tiefinnerste Proceß der
Abonnenten #r nicht mehr über tiefverborgene Dinge und höhere
träger der Rollen und durchgehends vorzüglich.
Natur und des schaffenden Geistes im Lichte der
Gedanken zu grübeln, man mußte nicht mehr
Bühnenlampen! Und es wurde auch danach.
Nach dem zweiten und dritten Stück fühlte sich
litterarisch sein — man konnte lachen, recht herz¬
„Lebendige Stunden“, der erste Einakter,
das Publikum zum Beifall und Hervorrufen ver¬
Der „Olich lachen, wie bei jedem anderen Lustspiel, wie
bunden. Aufrichtiger aber geschahes beim guten Ende.
soll zeigen, wie ein junger Dichter, dessen
Inhaltsangab bei einem ganz gewöhnlichen Schwank.
Schaffenskraft plötzlich erlahmt ist, zu einem
blütter (TArthur Schnitzler hatte sich menschlich herab¬
wodurch eine
echten Dichter wird,
als er erfährt, daß
gelassen einen Schwank zu schreiben, einen
des In- und
seine geliebte Mutter Selbstmord beging, um
geistreichen, malitiösen, übermüthigen Schwank,
werden in Wie
den Sohn, den ihre Krankeit im Schaffen
der wirklich lustig ist. Er heißt „Litteratur“
hinderte, ven sich zu befreien. Eine innerlich un¬
Freilich, er heißt nur so, aber er ist ein guter
wahre Idee, eine Barbarei und eine psychologische
Spaß. Die anderen drei Einakter führen nicht
Ungeheuerlichkeit dazu. Eine vollständig un¬
litterarische Titel, aber sie sind ganz Litteratur.
gerathene Sache, denn es ist Schnitzler weder ge¬
So ganz und gar, daß man nur mit ergebenem
ungen, den Schmerz des Sohnes zu schildern, noch
Respect auf die Worte lauschen und mit heißem
sieht manirgend eine Spur davon, daß der Todhier das
Bemühen über Wort und Seene nachdenken muß.
Erwa##n neuen geistigen Lebens schafft. Dieser junge
Denn was man sieht und hört, liegt ziemlich
Dichter ist nur ein neurasthenischer Dichterling und
jenseits von Einfachheit und echtem Empfinden.
ein Phrasenheld. Und weiter auch nichts.
Es ist ein Ausflug auf das nebelhafte Gebiet der
„Die Frau mit dem Dolche“, der zweite
abstracten Ideen, der subtilen psychologischen
Einakter, schlägt andere Töne an. Ein sonderbares
Speculationen.
Gemisch von Realismus und Spukromantik,
Ein Gedanke, eine These, ein psychologisches
die sich als Symbolismus, als Schilderung der
Axiom vereinigt die drei ersten Stücke. Es ist
ahnenden Ueberströmungen der Seele gerirt, die
der Gedanke, daß die Todesstunde des Sterbenden
aber in ihrem wahren Wesen nur grobe Theatralik
dem Lebenden, und zwar dem schaffenden Künstler
ist. Eine Frau giebt sich mit ihrem Lieb¬
die lebendigen Stunden schafft. Das quellende
haber ein Rendezvous im Museum vor dem Bilde
Leben sprießt aus dem Tode, wo das Vergehen
der „Frau mit dem Dolche". Dieses Bild ist der
Wenn der
Werden.
einsetzt, beginnt das
Und vor dem
nur
jungen Frau sehr ähnlich.
Geist eines Menschen entflieht, der
Bilde philosophirt sie, ob
sie dem geliebten
eine kurze Episode im Alltagsgetriebe war,
Gatten untreu oder dem ungeliebten Lieb¬
sein Dahinscheiden
Schmerz,
schafft sein
haber ein recht
heimliches Stelldichein in
dem beobachtenben, dem mitfühlenden lebenden
dessen Wohnung geben soll. Plötzlich sieht sie
Künstler das wahre Leben, die kürzere oder län¬
sich einige Jahrhunderte vorher, als Florentinerin
gere Unsterblichkeit. Dieser Gedanke ist nicht neu,
und Zeitgenossin der Medici. Sie sieht sich als
er ist oft in anderer Form ausgesprochen worden,
Gattin eines Künstlers, am Morgen einer
er wird täglich zur That. Der Dichter, der
Nacht, die sie mit einem ungeliebten Geliebten
er¬
durch den Tod eines geliebten Menschen
verlebt hat. Der Gatte kommt plötzlich an,
schüttert wird und dem der Schmerz die
und die treulose Frau ersticht vor den Augen
schönsten Worte giebt, der Musiker, der in
ihres Mannes, den sie liebt, den „ungeliebten“
tiefster Traurigkeit die gewaltigsten Töne und
Jüngling, der ihr eben die Schäferstunden
Harmonien findet, der Maler und der Bildhauer,
verschafft hatte. Und den Moment des Sterbens
die unter stärkstem seelischen Tiefdruck den Tod
benutzt der Gatte, um seine Frau mit
beobachten und nachbilden, der Schauspieler, der
dem Dolche und den Stervenden dazu zu malen.
das Sterben an seinen liebsten Angehörigen studirt
Der Vorhang fällt plötzlich, geht wieder auf, die
sie haben ihre lebendigen Stunden, wenn
junge Frau und ihr Galan stehen wieder im
Herrscher Tod seine dunkeln Fittiche ausbreitet.
Museum, und sie sagt dem liebegirrenden
Man erzählt von einem Maler die furchtbare
am Abend zu ihm
sie
Jüngling, daß
That, daß er einen seiner Schüler ans Kreuz ge¬
kommen werde. Ein böser Traum mit einer cyni¬
nagelt hat, um das Sterben am Kreuze zu sehen
schen Pointe, eine Anekdote mit verzwickter Psy¬
und einen Crucifixus zu malen. Man erzählt von
chologie, mit einem großen Bühnenapparat, mit
einem anderen Maler, daß er, der ein ganzes
großen Worten und kleinen Gedanken.
Leben hindurch ein Stümper war, ein unsterbliches
„Die letzten Masken“, der dritte Ein¬
Werk schuf, als er feinen einzigen Sohn malte,
akter, beschließt den Cyelus. Ein Sterbender will
der todt vor ihm lag. In wenigen Worten,
in wenigen Begriffen ist hier die ganze Traegödi; einem Menschen, den er haßt, das ganze Maß des