II, Theaterstücke 16, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 1), Lebendige Stunden. Vier Einakter, Seite 49

16. 1
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ger Goldschng,
9#.
+ Bureau für 4
Zeitungsausschnitte und Verlag
der Wissenschaftlichen Revue.
BERLIN N., Auguststr. 87 part.
Telephen Amt III. No. 3051.


Telberammr-Aerene
Ausschnitt
coLoschmivT. Auguststr 87.
aus

Neue Prengeische Kreuz-Zeitung, Berlin


—6. 1. 02
haft, noch überhaupt menschlich anmuthend! Aber am Schluß de¬
Theater und Musik.
Stückes sehen wir, wie die Frau von heute trotz dieses warnenden
Deutsches Theater.
Traumes dem Werben des Mannes nachgiebt, um am Abend vielleichs¬
zu wiederholen, was vor fünfhundert Jahren schon einmal geschehene
„Lebendige Stunden.“ Von Arthur Schnitzler. Erste
ist. Das ist nun freilich wieder menschlich, und es wirkt erschütternder.
Aufführung am 4. Januar. Regie: Emil Lessing.“
als die wilde Scene aus der Renaissancezeit.
Die leichte Wiener Muse Arthur Schnitzlers wagt sich in diesem
Das dritte Stück, „Die letzten Masken“, führt uns ins
Einakter=Cyklus an ein ernstes Problem, das wohl jedem ausübenden!
Spital, wo ein kranker Schauspieler an den Sterbenden seine Studien
Künstler sich zuweilen aufdrängt, nämlich an die Frage nach dem
macht, voll immer reger Lernbegierde, aber auch behaftet mit all der!
Rechte des Künstlers, eigenes und fremdes Unglück wie ein Arzt zu
komischen Selbstüberschätzung, die den großen wie den kleinen Mimen
studiren, um eine ästhetische Befreiung daraus zu finden. Der Ver¬
nun einmal eigenthümlich ist. Ein armer kranker Journalist, der
fasser ist Arzt und Dichter. Das Thema lag ihm also nahe. Er ist
im selben Zimmer seinem Ende
entgegensieht, hat von dem
aber auch Wiener, und seine Kunst hat er an französischen Vorbildern
Schauspieler gelernt, daß es befreiend wirke, wenn man
geschult. Man wird ihm daher keinen Vorwurf daraus machen, daß
auf dem Krankenbette allem Haß und Groll gegen andere Luft machen
ihm die neckische, satirische Behandlung seines Themas am besten ge¬
könne, und er bestellt seinen ehemaligen Freund, einen erfolgreichen
lingt, ja daß ihm sogar ein gewisser grotesker Humor immer noch
Dichter, zu sich, um ihm mit rohen Worten den Beweis zu geben, daß
natürlicher steht, als die Tragik. Er scheint das selbst zu wissen,
sein Ruhm erschlichen, sein Erfolg nur Schein sei. Der Dichter läßt
denn er hat die vier kleinen Schauspiele in einer Reihenfolge an¬
auf sich warten, und der Schauspieler reizt den sterbenden Journalisten,
geordnet, die seiner Begabung entspricht und also die Wirkung
seine Strafrede zur Probe zu halten, um an ihm den Ausdruck
steigert.
leidenschaftlichen Hasses zu studiren. Als der Dichter dann erscheint
Der erste Einakter, der den gemeinsamen Titel hergiebt, heißt:
und sich dem Sterbenden als ein Mann zeigt, den kleine und klein¬
„Lebendige Stunden“. Die schwer kranke Mutter eines
liche Sorgen und Freuden des Lebens umtreiben wie irgend ein
Dichters hat sich selbst vergiftet, um den Sohn von der nieder¬
anderes armseliges Menschlein, da erscheint er dem Sterbenden zu
drückenden Sorge um sie zu befreien und ihn seinem Dichterberuf
klein für seinen Haß; er schweigt und stirbt voller Mitleid mit allen
wiederzugeben. Der Sohn ist als lyrischer Dichter ein Stimmungs¬
im Leben Zurückbleibenden. — Dies Stück ist als Bühnenwerk noch
mensch. Ihm tritt ein alter Freund der Mutter entgegen, der die
gewagter, als das vorige, und nur die wunderbare Darstellungskunst
Rechte des Herzens und Gemüthes gegen die der Kunst geltend macht.
der Herren Hanns Fischer (als Schauspieler) und Max Reinhardt
Der mit scharfer Dialektik geführte Streit bleibt unentschieden; der
(als Journalist) verhalf ihm zu einem vollen Erfolge.
Dichter trennt sich von dem Wirklichkeitsmenschen mit dem stolzen Worte,
daß die frohen und die trüben Stunden erst durch die Kunst lebendig
Das letzte Stück, „Literatur“ ist ein witziger Schwank,
gemacht werden und im Kunstwerke über Ort und Zeit hinaus fort¬
der mit scharfer Satire die Manier der Bohemiens verspottet, alle
ihre gelegentlichen Liebschaften „literarisch zu verwerthen". Er und
wirken.
Im zweiten Stück, das den Titel führt: „Die Frau mit
sie drucken gleichzeitig ihren Briefwechsel aus „jener Zeit“, die für sies
dem Dolche“, wird uns gleichsam ein Beispiel für diese These ge¬
beide „überwundener Standpunkt“ ist, in einem neuen Romane abs
geben. In einer Galerie hängt ein altes italienisches Bild, das eine
Sie aber hat einen reichen, vornehmen, ganz und gar literartur¬
mänadisch schwärmende Frau mit hoch erhobenem Dolche darstellt.
fremden Sportsman gefunden, der sie heirathen will, und der
Vor diesem Bilde trifft sich ein junges Paar, dessen sündige Leiben¬
ehe
die ganze Auflage ihres Romanes einstampfen läßt,
schaft auf ein ähnliches Ende, wie das im Bilde geschilderte,
jemand das Buch gelesen hat. Der Literaturbetrieb jener Unterschicht
hinzudrängen scheint. Vor dem geistigen Auge der jungen
von Schriftstellern ist noch nie so witzig verspottet worden, und das
Frau entwickelt sich die Tragödie des Bildes vom Anfang! Publikum zeigte vollstes Verständniß. Auch die Darstellung (Fräulein¬
es
bis zum blutigen Schlusse, und wir sehen
selbst! Irene Triesch und die Herren Bassermann und Rittner)
war unübertrefflich.
mit an, wie der Maler des Bildes seine Gattin, das
Modell des Bildes, mit ihrem Liebhaber überrascht, wie er voller
Bedauerlich ist, daß Schnitzler kaum einen anderen dramatischen
Verachtung dem Verräther die Thüre weist, um an der Frau selbst] Konflikt zu kennen scheint, als den geschlechtlichen. In allen vi
Rache zu nehmen, und wie sie selbst dann den Liebhaber ersticht, der
1 Stücken ist er in die Handlung einbezogen. Das macht den Eind
sie schwach gesehen hat. Nach der furchtbaren That erstarrt sie in
l einer bewußten Spekulation auf den Geschmack der Theater=Habitués.
Schreck und Grauen, und der Maler greift sogleich zum Pinsel,
Im übrigen wird man trotz der verzwickten Situationen und der geist¬
zum dieses entsetzliche Bild
aus dem Leben im Kunst=1 reichelnden Erfindung die Menschenkenntniß des Verfassers und seine.
gebilde festzuhaltn. Eine stack auf die Spitze getriebene! Bühnensicherheit auch bei kritischer Betrachtung der vier Einakter ebenso
Anwendung des Satzes von den „lebendigen Stunden“, weder alaub=1 anerkennen müssen, wie es von dem schließlich ganz enthusiasmirten
Publikum geschah. Der Abend brachte dem „Deutschen Theater“ den
M.-F.
ersten großen und unbestrittenen Erfolg dieses Winters.