II, Theaterstücke 16, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 1), Lebendige Stunden. Vier Einakter, Seite 68

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16.1. Lebendige Stunden—Zyklus
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„OBSERVER“ Nr. 39
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Burschen wandte, wie sie ihn tödtete, damit er nicht dem Gatten schade
wenngleich dieser, des Vergehens seines Weibes nicht achtend, die Leiche
Ausschnitt aus:
ihres Geliebten nur als Schlußeffekt für sein neuestes Bild ausnutzte.
Vor diesem Bilde aber träumt nun Frau Pauline in der modernen
Bildergallerie ihren Renaissance=Traum. Weiter tönen die Glocken vom
Dom. Die schöne Frau erwacht. Lionhardt fleht, wie einst Lionardo
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flehte. Auch er wird aus flüchtigem Taumel in ihrem Herze# vor dem
Genie ihres Gatten verblassen müssen. Dennoch ist ihr Abschiedswort:
„Heute Abend, bei Dir“. Die Vision ist als frenisches Ereigniß in die
Handlung eingeschoben. Das Ganze wirkt in seinem Zusammenspiel
von Schein und Sein, von realer Gegenwart und leidenschaftalübender
Traumphantasie unendlich fesselnd. Kühn ist an jene Welt gerührt
die uns oft eine schon empfundene Seelenregung flüchtig zuführt, ohme döß
wir uns zu erinnern wissen, wann und wo wir sie spürten, doch reizt
weniger der Stoff, als seine starke künstlerische Behandlung. Nummero drei:
1„Die letzten Masken“, spielt in einem Krankenhause. Ein armer Teusel
von Journalist sieht da dem Tode entgegen; einer von Jenen, die als
Arbeitsbienen für fremde Bienenstöcke ihr Lebtag gewirkt haben und am
Ende an Entkräftung sterben, weil sie das eigene Mark im Dienste für
Kunst, Wissenschaft und Litteratur.
Andere verthaten. Dieser Karl Rademacher hat freilich einmal in
* Berliner Premièren. „Lebendige Stunden“, seinem Leden ein paar lebendige Stunden genossen, damals, als die Frau
rier Einakter von Arthur Schnitzler spielte man heute am
seines Freundes, des auf den „Höhen der Menschheit“ thronenden
Deutschen Theater.
Die Gemeinde derer, die den seinen
dichterischen Hohlkopfes Weygast seine Geliebte wurde, abgestoßen von der
Poeten seit seinem „Schleier der Beatrice" mit an die
anmaßenden Nüchternheit ihres Gatten. Und den Triumph will der
Spitze jener stellen, von denen die vielgesuchte, neue Kunst kommen
Sterbende haben, diese Wahrheit will er dem ehemaligen Freund, der
wird, jene Freuzung von Styl und Leben, jene Einung des Realen und
ihn seit Jahren für Nichts achtete noch vor dem Tode ins Gesicht schleudern.
erdichtet Gedankengroßen, freute sich ob des bedeutenden, nachhaltigen
Aber der Freuny kommt, und Rodemacher sieht seine klägliche Nichtigkeit,
Eindruckes, der vom Anfang des Tieaterabends bis zum Schlusse steigend
die phrasendreschende Aufgeblasenheit eines koketten Mankhelden —, sein
sich behauptete. Die Idee die Stellung des schaffenden Künstlers zu
ekles, aufdringliches Salondichterthum. Und er schweigt — und stirdt.
seinem Thema bühnenmäßig zu seciren, zu finden wie sich die Stoffe die Von der Zartheit dieser rein menschlichen Studie bis zu dem Vollhumor
sich der Poei aus selbstgesehenen Dingen zu seinem Schreibtisch trägt, der den Abend schließenden, einaktigen Satire „Litteratur“ ist ein weiter
ft so schwer in seine Gedankenwelt einnisten, daß er an starken, ihn
Sprung. dennoch ist auch dieser Schwank eine ganz köstliche Behandlung
selbst betreffenden Aktionen des Tages theilnahmslos vorüberhastet, diese
des ernsten Problems. Wieder der Dichter und sein Stoff. Eine ganz
Idee konnte nur dem seelenerforschenden Spürsinn Schnitzlers entspringen,
moderne Poetin mit den Kopros=Sehnsüchten der bekannten „wüsten“
in dem wohl sein medizinischer Nebenberuf die dichterische Neigung noch
Salonzigeunerinnen, ein Secessionspoet mit himmelanstrebender Kravatte
stärkt, auch an den geheimsten Regungen der Psyche nicht vorbei¬
haben in Munchen einen Roman zusammen verlebt. Das Fräulein aber
zugehen, daß der Dichter im Inhalt seines neuesten Werkes gerade die
rettete sich schließlich aus den Armen ihres litterarischen Liebsten zu einem
Welt des Todes mit der des heißesten Lebens — also der des künstlerischen
Aristokraten von Rasse, mit strammen Beinen und wohl versehenem Renn¬
Schöpfens und Erschaffens — korrespondiren läßt, wird seine Kenner
stall, der ihr allerdings — umer Zusicherung einer ehelichen Verbindung
wieder nicht wundern. Arthur Schnitzler pflegt vor den Schauern des
— jede fernere, dichterische Thätigkeit zum Mindesten in leidenschaftlichem
wors imperator nicht Halt zu machen, und jene Novellen aus dem
Sinne als kompromittirend untersagte. Doch, die Katze läßt das Mausen
Cyklus „Die Frau des Weisen“, sowit die umfangreichere, epische Arbeit
nicht. Die „heiße“ Dichterin hat einen Roman geschrieben, in dem sie
„Sterben“, die auch wieder sich mit den Reflexwirkungen eines Todes¬
ihr Münchener Litteraturverhältniß pikant behandelt; und auch ihr Liebes¬
Vereignisses auf die Seelenwelt einiger dem Todten nahestehender Menschen
partner von der Isar hat ebenfalls jenes stürmische Erlebniß episch ver¬
beschäftigen, sind nicht seine schlechtesten In solchen Schilderungen
wandt, alle beide mit wörtliche Benutzung ihrer gegenseitigen Korre¬
identifizirt sich der Autor eng mit dem jungen Schriftsteller, der — im
spondenzen. Das giebi nun prächtige, dialogische Konferenzen mit scharfen
Eingangsstückchen seiner neuesten Schöpfung — das Recht für sich in
Spitzen gegen Litteraturschwinvel und Aristokratenblödheit, die damit
Anspruch nimmt, auch aus den tiefgehendsten Ereignissen seines per¬
anden, daß das dichtende Fräulein auf Geheiß ihres „rafsigen“ Liebsten
sönlichen Lebens künstlerisch Kapital zu schlagen.
den Roman einstampfen läßt und in andern Erholungen Ersatz für ihr
Stück eins giebt dem Ganzen den
poetisches Metier suchen und finden wird.
Titel, für die
Steigerung aber den Auftakt, eine trübe, absterbende Herbst¬
Diese Dinge wurden durchgehends brillant gespielt. Reinhardt
als verbitterter Pflichtmensch des ersten und galligen Hasser des dritten
stimmung in der sich der junge, lebenskräftige Sohn und der alte, ver=Stückes, Bassermann als „Poet“ Weygast und feudaler Baron
bitterte Freund einer Verstorbenen mil einander abfinden. Die „Hof= Clemens, Rittner als litterarischer Cyniker, Fischer als schwind¬
räthin“ hat das Ende ihrer langen Leidenszeit durch ein paar Morphium¬
pulver beschleunigt, um den Sohn von den ihn geistig betlemmenden Zin¬
süchtiger Mime sind hervorragend zu nennen. Auch Richard Hahn
flüssen der häuslichen Krankenzimmeratmosphäre freizumachen. Der
als leidenschaftlicher Leonhardt= Lionardo in der „Frau mit dem Dolche“
junge Mann erfährt, was geschehen; aber er reißt sich doch los von dem
Hofmeister endlich in einer brillant durchgeführten Charge. Die
ticfen Weh, das ihn momentan packt. Er hat nun die Pflicht, sich jenes
[Triesch aber bot wieder das Herrlichste. In der Wandelrolle von der
Opfertodes würdig zu zeigen. Er wird die Heldenthat seiner Mutter
kotetten, nervösen Salondame zum flammend=begehrlichen Vollweib der
immer fühlen, sie — vielleicht — dichterisch nachgestalten. Doch in jedem
Renaissance hin und zurück, dann als pikante haut-goüt=Dichterin zeigte
sie so vielseitige Accente, Kraft und Liebenswürdigkeit, stahlharte Energie
Falle muß das Leben siegen Vorüber Vorüber! — Die Kleinigkeit und lebendes Liebesfeuer, dann wieder prickelnde Laune und tändelnden
wirtt skizzenhaft; aber jener Konkurrenzstreit zwischen Lebenspflicht und
Pflicht der Pietät ist unendlich sein herausgebracht. „Die Frau mit dem
Esprit, daß der Beurtheiler nur immer wieder staunend betrachten kann,
Dolche“, so nennt sich das weite Stück, beginnt in einer Bildergallerie.
„was sich ihm hier so herrlich offenbart.“
Vor dem Bilde, das eine
ekleidete, rothgelockte Renaissancefrau mit
Walter Turszinasn
gezücktem Dolch und starre sdruck in den tiefen Augen zeigt, treffen
—chausnierg
einander Frau Pau Galtinn
e
Leonhardt, der um ihre Regung schüchtern wrbt. Ihr Eheyer########
seiner Kunst, das treibt sie zu dem hübschen Jungen hin. Anderes,
Unnennbares stößt sie wieder ab. Und da während die schöne Fr¬
— jenem Bilde den stürmischen Annäherungen des jungen Mannes
halb ihnen lächelt, während matt vom Dom die Glocken tö.
Vision sich selbst in einem vor langer Zeit gelebien
Is Madonna Ve#lina, des berühmten Florentiner
nio Weib;* , wie sie dem jungen Farben¬
Nacht ihren wißen Leib schentte; sie sieht, wie
einen Nucht mit Abshen sich von dem iungen