II, Theaterstücke 16, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 1), Lebendige Stunden. Vier Einakter, Seite 72

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16.1. Lehendige stunden Zyklus
Kax Goldsc.
Bureau für 4
%
S4
Zeitungsausschnitte und Verlag
der Wissenschaftlichen Revue.
BERLIN N., Auguststr. 87 part.
Telephon Amt III. No. 3051.
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Ausschnitt
Talenemen Hürese.
G0LDSCHMID T. A. Zuststr 67.
aus

Hamburgischer Correspondeni

3 2 J 190
Mn
berühmten Schriftsteller Weihgast zu holen, er fühlt,
daß seine Minuten gezählt sind, und er hat dem vom
Glück begünstigten ehemaligen Freunde noch etwas zu
sagen. Während Weihgast geholt wird, erzählt Rade¬
macher dem Schauspieler, was er noch auf dem Herzen
Lebendige Stunden.
hat. Er haßt diesen Weihgast, der nicht mehr kann
Von Arthur Schnitzler.
als er, und doch zur Höhe kam, während er
Berlin, den 5. Januar.
selbst immer tiefer sank. Die ganze schmerzliche
Ohnmacht des Proletariers der Kunst, der in seiner
Die Einaktertetralogie, die gestern Abend im
Deutschen Theater ihre Erstaufführung erlebte, ist in
Schreibtischschublade die seiner Ansicht nach unsterblichen
Meisterwerke begraben mußte zusammen mit tausend toten
ihren drer Schällspieten mit dem Satyrspielzum Schluß
Hoffnungen, konzentrirt sich in giftiger Wuth gegen den
durchaus nicht gleichwerthig. Aber ein Stück ist darunter,
alten Freund. Seine Hohlheit und Schaumschlägernatur
„Die letzten Masken“, das so überragend gegenüber
Apielen Darbietungen der letzten Jahre ist, daß man um
hat nicht nur er selbst erkannt, nein, auch Weihgast's
Frau, die in den Armen des verkannten Zeilenschinders
seinetwegen viel Schlechtes in den Kauf nehmen könnte.
Es ist mir zweifelhaft, ob „Die letzten Masken“ überall
zwei Jahre lang Rettung suchte vor der verzweifelten
Erkenntniß der inneren Unbedeutendheit ihres Mannes.
von der Bühne her den gleichen, tief ergreifenden Ein¬
Das wird er ihm ins Gesicht schleudern — und wenn
druck erzielen werden wie gestern bei dem Publikum,
er es nicht glaubt, dann soll der Schauspieler ihm die
das jahrelung geschult ist, auf die feinsten Intentionen
der Dichter des Deutschen Theaters zu achten. Es ist
beweisenden Briefe zeigen, die im Schreibtisch liegen
auch sehr fraglich, ob irgendwo zur Zeit noch ein
bei den Meisterwerken. Zum Dank dafür soll er Erbe
der über die
dieser Werke werden, „für deren Anerkennung vielleicht
Meister wie Reinhardt existirt,
nichts fehlt, als daß ich sterbe ..
bedenklichsten Augenblicke mit seiner großen mimischen
Weihgast kommt. Er begrüßt den Sterbenden mit
Kunst hinweghilft. Ueberall aber, wo nachdenkende
süßer Freundlichkeit. Er macht ihm Vorwürfe, daß er
Menschen dies Stück in stillen Stunden lesen werden,
sich nicht an ihn gewandt hat. Aber wenn er wieder
werden sie etwas von dem Geist verspüren, der über
die kleine Misère erhebt und der den Menschen befreit,
gesund ist, was ja bald der Fall sein werde, dann
wollen
gehen.
weil er die Nichtigkeit der Erdenfesseln erweist.
zusammen aufs Land
Seine Frau wird sich freuen, die Kinder,
Schnitzler, der vor seinem Eintritt in die Lite¬
ratur Arzt an einm Spital war und in der fein¬
die schon ganz fertige Menschen sind, auch. Und
der Sterbende sieht ihn an, kämpft mit sich, setzt an,
sinnigen Novelle, Sterben“ schon einmal aus seiner
ihm alles zu sagen, und schweigt noch. Und dann spricht
früheren Berufslhängkeit ein Motiv darstellte, führt
Weihgast von sich, seinen Erfolgen und Enttäuschungen,
uns in ein Zimner des Wiener Allgemeinen Kranken¬
wie er, einst der Führer der Jungen, jetzt selbst schon
hauses; die diensthabende Wärterin schreibt an einem
zum alten Eisen geworfen wird. Preßklatsch und
Tisch, vielfach gestört von einem lungenkranken Schau¬
Kliquewesen, der Inhalt seiner Tage, breitet sich vor
spieler, der seiner Ansicht nach in der Rekonvalescenz
Rademacher aus. Und Weihgast vergleicht ihre Loose
sich befindet und voll Lust und Laune an die Erfolge
Der
und etwas wie Neid spricht aus seinen Worten.
seiner Schmierenthätigkeit denkt, mit kleinem nörgeln¬
Sterbende aber schweigt. Noch einmal flackert die
den Haß aber von seinen Feinden — Kritikern und
Wuth in iym auf — aber dann stockt er und erklärt,
Direktoren — spricht. Dieser vorzüglich beobachtete
er habe nur Abschied nehmen wollen von dem alten
Mensch, mit seinem hohlen Pathos, seiner Schauspieler¬
Freunde. Die zugemessene Zeit ist abgelaufen, der
eitelkeit und den Kopf ganz angefüllt mit dummen
Arzt holt Weihgast ab, und der neugierige Schauspieler
Schnurren, bringt Leben in das trübe Krankenhaus¬
kommt wieder herein. Im Hinausgehen erzählt der Arzt
milieu. Er vermag sogar durch eine hingeworfene
Weihgast, daß er dem Schauspieler so viel Freiheit
Aeußerung einen apathisch im Lehnstuhl gelagerten, er¬
gewähre, weil er höchstens noch eine Woche zu
sichtlich dem Tode verfallenen Journalisten Rademacher
leben habe. Dann sind die beiden Kranken
noch einmal zu den Interessen dieser Welt zurückzu¬
awinaen Radewacher bittet den amtirenden Arzt den
wieder allein. Und nun kommt eine wunder¬
W
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volle Szene: Rademacher
Weihgast hinunter geht, zum
sterben muß. Was hat er noch
der dem nächsten Tag noch leh
überhaupt mit dieser rastlosen
und ungerechten Welt gemein
Todes verklärt sein Gesicht, I
Erdenhaß und von den Se
Die Briefe sollen verbrannt i
sollen ins Feuer wandern,
giebt keine Gemeinschaft zu
des Todes und den Forderun
Nachruhm, Erfolg, Glück
ist alles eitel . . . Und er stirh
Das Wort ist zu arm,
Schwingungen, die das Stück
schauer auslöste, zu schildern.
Gedanken. Aber die unendlich
Schnitzler die alten Gedanken vo
deutet, halbverschleiert, ist vo
Das Leben ist ein ewiger
sich das wahre Gesicht der Ding
Gefühl und wie alle die Ausr
Wahrheit sich nennen mögen,
Tage dämmernden Bewußtseins
gefangen. Die letzten Masken!
as gebrochene Auge ist wahr,
der sprechende Mund lügen.
täuschen sich selbst und den and
dieses Täuschen ist ein eher
Rademacher's Wuth unterlieg
Tänschung, einer verbindlichen
Ewigkeit, aber er erkennt noch
haftigkeit aller gegen alle das L#
Ein melancholischer Skept
über das erste Schauspiel, das
Gesammtnamen gegeben hat:
gebreitet. Eine Mutter hat
freiwillig geendet, um dem Soh
lähmt, Raum und freie Bahn zu
zu geben. In erregter Auseinan
Freund der Mutter dem Sohr
ihm einen Vorwurf daraus, daß
nach der Kunst die lebendigen
verkürzt hat. Er will den
lassen, dem jedes Erleben nur u
der künstlerischen Intuition vor
gehen auseinander; der alte