II, Theaterstücke 16, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 1), Lebendige Stunden. Vier Einakter, Seite 94

Rittner ausgelöst. Eine größere Wirkung kann das Stück, das Halt
eigentlich kein Stück ist, nicht erzielen.
Geistreich seinen Gedanken, phaniastisch seiner Ausführung und
ziemlich frostig seinem Eindruck nach ist der zweite Einakter, „Die
Frau mit dem Dolche". Das Stück gehört einer Gattung an,sist di
die vor etwa zehn Jahren beliebt zu werden schien, die Gattung der16 Zi
„Traumstücke". Als Barnay noch das „Berliner Theater“ leitete, Neuze
wurde an dieser Stätte ein vierattiges Schauspiel von dem Schweizer oder
Widmann, „Jenseits von Gut und Böse“, aufgeführt. Der erste und
der letzte Akt dieses Stückes spielen in bürgerlichen Kreisen der Gegen¬
wart, während der zweite und dritte in das Florenz der Renaissancezeit
verlegt sind. An dieses Widmann'sche Stück erinnert der Schnitzler¬
sche Einakter. Panline und Leonhard lieben sich. Sie ist die Fraul
eines reichen Mannes, der zu seiner Unterhaltung literarisch thätig ist.[Die
Er ist ein junger, hübscher, kräftig gebauter Mann. Im Museum, beisder
dem Bilde der „Frau mit dem Dolche“ —
— ein unbekannter Meister des
fünfzehnten Jahrhunderts ist der Schöpfer des so bezeichneten GemäldeslInv
treffen sie sich.
Ihr Gatte weiß, daß sie und zus
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welchem Zweck sie hier ist. Sie selbst hat es ihm gesagt. Um zu
verhindern, daß sie sich Leonhard ganz hingiebt, wird sie morgen mit
ihrem Gatten verreisen. „Dann bleibt uns doch noch der Abend, die
Nacht“, spricht Leonhard und beschwört die Geliebte, diesen Abend zu
ihm zu kommen. Ehe Pauline darauf endgiltig antwortet, träumt siefMat
Aus
von der „Frau mit dem Dolche“, der sie, wie Leonhard meint und wie
edlen
sie selbst findet, sehr ähnlich sieht. Die Scene verwandelt sich. Das
glanz
Arbeitszimmer eines Malers zur Mediceerzeit thut sich auf. Der
die
Morgen graut und Leonardo will von Paola, der Gattin des Malers
Saiss
Remigio, die sich ihm in dieser Nacht hingegeben, Abschied nehmen.
Töut
Da naht, von einer Reise zurückkehrend, Remigio. Paola theilt ihm,
verri
weil sie nie lügt, mit, daß sie ihm untreu geworden und Remigio
straft, statt blutige Rache zu nehmen, Beide mit Verachtung. Leonardosgänze
verlangt, getödtet zu werden, und als Remigio sich dessen hartnäckig Conee
einen
weigert, sticht Paola den Geliebten nieder. Dieser Vorgang giebt Re¬
der v
migio Stoff zu seinem angefangenen Gemälde „Die Frau mit dem
versch
Dolche". Die Züge Paolas, als sie Leonardo tödtete, das sind die
und
Züge, nach denen Remigio im Geiste für das Bild gesucht hat. Sofort
Frack¬
ergreift er Pinsel und Palette und beginnt zu arbeiten. Der Traum
ist zu Ende. Pauline und Leonhard stehen sich wieder im Museum gegen= neue
über. Leonhard wiederholt seine Bitte und Pauline haucht ihm ein:
parad
drückt
„Ich komme!“ zu. Der neuzeitliche Remigio wird die Beiden nicht
tödten. Er wird, wie Leonhard geweissagt hat, ein Theaterstück daraus
machen. Der Wea bis zu diesem frivol=satirischen Schlusse ist zu
länglich und der Traum ist zu breit ausgesponnen. Auch fehlt es
Schnitzler für das Renaissancebild an den erschütternden Tönen. Aber
die eigenartige Handlung, zu der sich eine malerische Inscenesetzung
hat
gesellt, fesselt. Das Uebrige that die Aufführung In der Rolle der
Nicht
anmuthigen, nervösen, nach starken Erregungen begehrenden Pauline
unsere
war Irene Triesch vortrefflich. Für die Verkörperung einer der¬
Eisen
artigen Gestalt ist sie wie geschaffen.
Murg
Der Schauplatz des dritten Stückes, des Schauspiels „Die letztenunter
[Masken“, ist ein Spital. Ein sterbender Journalist und ein lungen=und
kranker, dem Tode geweihter Schauspieler sprechen mit einander. Der Schlu
Journalist, der seine letzte Stunde herannahen fühlt, hat den Arzt ge=weitai
Abeten, ihm den Schriftsteller Weihgast, dem er etwas sehr Wichtigess sich
mitzutheilen habe, zu senden und der Arzt hat dies versprochen. Rade= kündig
#macher, so heißt der Journalist, will sich an Weihgast, seinem Jugend=Hudso
freunde, rächen. Er will ihm sagen, was für ein Hohlkopf er ist und Magn
Adurch welche Mittel der Reclame er sich einen Namen gemacht hat. Er dieser
will ihm auch sagen, daß Weihgasts genn seine, Rademachers, Geliebte“
e#gen
ggewesen ist und daß sie sich bei dem Geliebten unzählige Male über
zihren eitlen, charakterlosen Mann beklagt hat. Der Schauspieler iststender
„von diesem Plane des Journalisten, die „letzte Maske“ abzuwerfen, dort“
zentzückt und auf sein Zureden spielt Rademacher Probe, wobei dersin de
Schausvieler den Weihgast darstellt. Als dann Weihgast erscheint, ver=beispi
#nag Rademacher kein Wort von dem, was er sagen wollte, herauszu= Verar
bringen. Die höfliche, selbstzufriedene, Theilnahme für den Jugend=Roose
Jota
freund heuchelnde Art des Auftretens Weihgasts entwaffnet ihn. Rade¬
wickel
macher theilt ihm nur mit, daß er ihn noch einmal habe sehen wollen,
beisan
Weihgast zieht selbstzufrieden, wie er war, von dannen und der Jour¬
nalist, der Zeit seines Lebens gedrückt war und endlich einmal mit der
nicht
falschen, trügerischen Welt abrechnen wollte, stirbt. Das Stück ergreift.(keine
Alles darin ist scharf beobachtet und lebenswahr gezeichnet. Besonders
sond
gelungen ist die Gestalt des Schauspielers, der selbst angesichts des
und
Todes das Komödiespielen nicht lassen kann. Ihn gab Here Fischer,
Wei
tährend Herr Reinhardt den Journalisten und Herr Basser¬
aus
mann den Weihgast verkörperte. Ein siegreiches Triumvirat.
Er
Und nun das Satyrspiel, der Schwank „Litteratur". Schnitz¬
und
ler entwickelt darin kostbare Laune, blendenden Witz und überlegenen
Pre¬
Spott. Ein für Pferde und Weiber schwärmender Aristokrat, Clemens
wird er kurzweg genannt, hat in Margarethe, wie sie eben so kurzweg
in 1
heißt, eine Geliebte gefunden, die ihm derartig zusagt, daß er sie zusAn
seiner Frau machen will. Nur eins mißfällt ihm an ihr bedenklich: pud
ihre Beziehungen zur Litteratur. Margarethe war schon einmal ver=mit
heirathet. Sie hat sich von ihrem ersten Manne scheiden lassen undlkol¬
ist dann unter die Litteraten gegangen. In München hat sie ein sehrin
ungebundenes Leben geführt und ist die Freundin eines gewissen Gilbertfwi
gewesen. Einen Band Gedichte hat sie früher herausgegeben und jetzt76
hat sie einen Roman geschrieben, der in den nächsten Tagen erscheinenl Be¬
soll. Clemens ist darüber empört, obgleich Margarethe nicht müde wirdpmr
zu betheuern, daß sie nur Vorgänge geschildert habe, die ihrer Einbil=alle
dungskraft entsprungen seien. Thatsächlich hat sie ihr Zusammenlebenwer
mit Gilbert erzählt. Dasselbe hat aber auch Gilbert, der dann auf der
Bildfläche erscheint, in einem von ihm geschriebenen Romane gethan vom
und Beide haben in den Romanen ihren Briefwechsel zum Abdruck ge=(Sch
bracht. Unter diesen Umständen muß ja Clemens das Vorleben seiner
an
Margarrthe erfahren! Wie dies verhindert wird, wie Clemens den
Ges
L
sow
*) Arthur Schnitzlers vier Einacter „Lebendige Stunden" Err
sind soeben in Buchform bei S. Fischer, Berlin, erschienen.