II, Theaterstücke 16, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 1), Lebendige Stunden. Vier Einakter, Seite 95

Sn . in. Sntengen, Gent. Ienteion, Benzers, Parie, Hn, Stoekholen.
Ausschnitt aus:
vom
Vermische elten
1707
Theater und Musik.
G. Z. Von Arthur Schnitzler kamen am Sonnabend im
Deutschen Theater vier neue Einakter zur ersten Auf¬
führung, über deren äußeren Erfolg ich bereits in der zweiten inelusive
Sonntagsausgabe berichtet habe. „Lebendige Stunden“ be¬ Porto.
titelt Schnitzler die vier Stucke mit einem gemeinsamen Namen. Zahlbar
Da das erste Stück der Reihe selbst den Namen „Lebendige m Vorau¬
Stunden“ führt, so könnte man glauben, Schnitzler folge der
Sitte mancher Novellisten, die ihre Sammlung ganz te ist das
äußerlich nach der ersten Novelle betiteln. Aber Schnitzler eht es den
will mehr: er will auf einen gemeinsamen Inhalts= n.
kern der im Uebrigen ganz verschiedenen Stücke hinweisen.
naltend die
Ein wenig künstlich erscheint ja freilich diese Subsumirung Worgen¬
unter einen Begriff, wie auch der gemeinsame Titel an sich r Zeitung“)
#etwas aekünstelt klingt: aber ein gemeinsames Problem schaut jche Leben
doch in der That aus allen vier Stücken heraus. „Lebendige I
mit diesem Menschen zu schaffen? Wie siunlos wäres
Stunden“ — welche Stunden unseres Lebens können wir
es, wenn er, der vor der Pforte des Todes erkennt,
wohl mit Recht lebendige nennen? Zwei gegensätzliche Antwor#enst
w#e hoch sein Leben über dem Jenes steht und steis
niebt es auf diese Frage, und nach diesen Antworten kann man
gestanden bat, vor ihm seine Seele prostituirte! Und er läßt
die Menschen in zwei Kategorieen sondern; in solche, denen
ihn gehen mit einem Händedruck und stirbt in Frieden. Ganzs
Leben nur Schaffen bedeutet, und solche, die im Genuß des
rein wirkt auch dieses Stück nicht, denn manche Gewaltsamkeit
Augenblicks den Sinn des Lebens finden. Diese zwei Menschen¬
stört auch hier; aber es enthält doch überwiegend echtes Leben
typen treten in allen vier Stücken Schnitzlers einander gegens
ind wahre Empfindung und wird kraft seines schönen Motives
über, und zwar der erste in der speziellen Form des Künstlersjs
zachhaltig wirken.
für den alles Leben nur Sinn hat, wenn er selbst daraus wieder
Das Schlußstück, „Literatur“ ist sozusagen das Satyr¬
Leben gestalten kann. Für den ferner Stehenden, oder sagen
spiel nach der Tragödie. Hat Schnitzler in den drei ersten
wir: für den Alltagsmenschen mag es erscheinen, als wäre der
Einaktern den Künstler als den Träger des wahren Lebens¬
Künstler ein krasser Egoist, als wären ihm alle Ereignisse
pingestellt und ihm die Anschauung der Anderen als die
des Lebens nur Stoff ium Kunstwerk — alle Ereignisse,
zeringwerthige entgegengehalten, so giebt er hier umgekehrt den
vor Allem auch der Schmerz. Am schärfsten wird dieser
Instandsbegriffen des guten Durchschnitts gegenüber der
Typus zu dem des Alltagsmenschen in Gegensatz ge¬
Zünstlermoral Recht; aber diese Kunstler sind nicht die großen
stellt im ersten Stück, das fast einer Disputation
##ndern die kleinen Talente, die aufgeblasenen mit dem Ruhme
über ein philosophisches Thema gleicht. Da ist ein Sohn, k von Gegenseitigkeits Gnaden, — die literarische Bohème, die
dem die über Alles geliebte Mutter gestorben ist, und ein
re schmutzigen Bekenntnisse in naturalistischen Büchern mit
alter Mann, dem in dieser Frau der beste Theil seines Selbst,
er künstlerischen Selbstbefreiung der Großen keck auf eine
seine geliebte Freundin genommen ward. Die Frau, die an
Stufe setzt und überzeugt ist, daß der schmutzige Hemdkragen
unheilbarem Siechthum litt, ist freiwillig aus dem Leben ge¬###ind die Formlosigkeit zum Genie unweigerlich gehören.
schieden, weil sie sah, wie furchtbar ihr qualvolles Leiden auf f Dieser Bohème ist die Heldin des Stückes glucklich entronnen
die künstlerische Kraft des Sohnes wirkte. Nur dem Freunde uund hat sich einen reichen Sport=Baron gekapert, vor dem sie
hat sie das mitgetheilt. Nun hat der alte Mann außer an# skials Unschuldslamm paradirt. Diese beiden Gestalten und die
dem Gram über den Verlust der Freundin auch noch an dem
jEdritte Person des Stückes, ein alter Bohémien, der recht un¬
eifersüchtigen Grimm über den Sohn zu tragen, dessen bequem zum Besuch kommt, sind mit überlegenem Humor charakte¬
Künstlerart ihm wesensfremd ist, in dem er nur den Egoisten
Pkrisirt. Die zablreichen Pointen des Dialogs versetzten die
sieht, der nichts mit den Unannehmlichkeiten und dem Leid des
Hörer in beste Stimmung. Wie die Verlobte des Barons es
Lebens zu thun haben will. In dieser Stimmung läßt er sich
Ffertig bringt, die Enthüllung ihres Vorlebens zu verhindern
hinreißen, dem jungen Mann den Selbstmord der
und alle Gefahren von ihrer Eheschließung abzulenken, das
Mutter zu verrathen" und ihm ihren Abschiedsbrief zu
kann man nicht erzählen, ohne die schönsten Poinien
geben.
Jedoch aus der ersten Verzweiflung über
zu
knicken, die übrigens durch die Darstellung — Frl. Triesch¬
diese Erfahrung
reißt
sich
der. Sohn gewalisam
und die Herren Bassermann und Rittner — ganz
heraus: er will
sehen, auch diesen Schlag zu ver¬
glänzend herausgebracht wurden. Die Zuhörer geriethen oft¬
winden; wenn es ihm gelingt, zum künstlerischen Schaffen
in stürmische Heiterkeit, und der endliche Erfolg war un¬
sich zurückzufinden, dann glaubt er, des Opfers der
gewöhnlich stark. Der Darstellung fällt auch bei den ersten
Mutter wurdig zu sein. Dem alten Freunde aber, dessen
drei Stücken großes Verdienst zu. Im ersten stand Herr
ethisches Empfinden solche Worte aufs Hochste empören, pro¬
Rittner im Mittelpunkt während Herr Reinhard nicht
phezeit er daß auch er allmälig durch das Leben, durch die
recht am Platze war, und Herr Fischer einer kleinen Episoden¬
Arheit über diesen Schmerz hinwegkommen werde... Wie eine
rolle sein großes Können schenkte; im zweiten bot Frl. Triesch,
Disputation wirkt der Dialog. Man merkt Schnitzler den Arzt
namentlich auch im Spiele der Gebärden, eine herrliche
an, der auf dem Präparirboden gelernt hat, alle Muskeln und
Leistung; im dritten gebührt den Herren Reinhard, Fischer
Nerven bloß zu legen, und der nun auch in seinen Szenen
und Bassermann, der aus geringen Andeutungen des
gern die Gedanken scharf herausschält und unmittelbar ein¬
Dichters einen ganzen Charakter schuf, großes Lob.
ander gegenüberstellt. Er erzielt damit einen gewissen äußeren
Spannungsreiz, zwingt den Zuhörer, mit zu disputiren, aber
Den Bericht über die Aufführung der Tragödie
die menschliche Wahrheit der Situation geht dabei leicht
Dantons Tod“ von Georg Büchner im Bellealliance¬
Verloren.
[Theater durch die Neue Freie Volksbühne haben wir
Auch das zweite Stück, „Die Frau mit dem Dolche",
aus Raummangel bis morgen zurückstellen müssen.
leidet unter diesem Fehler. Das Problem wirkt künstlich zu¬
recht geschnitten, und daher erweckt das Stück wohl jene
Stimmung, die man Interesse nennt, nicht aber unmittelbare
S
menschliche Theilnahme. Der Gegensatz zwischen dem Leben