II, Theaterstücke 16, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 1), Lebendige Stunden. Vier Einakter, Seite 101

ri
ein
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16.1. Lebendige Stunden— Zyklus
schon krän= ihr Blick auf das Bild eines alten venetianischen Meisters,
„Die Frau mit dem Dolche“, und in dem Ermor¬
Freunde,
deten zu deren Füßen möchte sie den Liebhaber erkennen:
lters, der,
war. Ihr
ihre Hand hat ihn niedergestreckt. Und die Frau selbst? Ist
sie das nicht, in ferner, ferner Vergangenheit, als Weib des
denn, wie
em Leben
Cinquecento ?... Die Bühne verwandelt sich, und wir
sehen sie so. Als Gemahlin des berühmten Malers Remigio
den Sohn
hat sie, ohne Liebe, die Nacht mit dessen Schüler verbuhlt.
nzen Bru¬
cht er dem
Ihre Sünde war groß, aber ihr Mut ist nicht kleiner. Als
der Morgen graut, ist sie entschlossen, dem heimkehrenden
Prief. Der
Gemahl ihre Schuld offen einzugestehen. Er mag dann
n so elasti¬
richten. Aber der Meister, ganz Künstler, verschmäht die
tragen, der
Rache und weist den Dieb seiner Ehre nur verachtend von
den Sinn
der Schwelle. Auch dessen Drohungen, daß dann er ihn
Schöpfun¬
töten werde, wo er ihn finde, können den Lächelnden nicht
bendige
erschüttern. Da greift die Frau zum Dolche und sticht den
stellung der
Liebhaber nieder. Und wie sie noch mit der blutigen Waffe
fruchtbar
in schöner Pose wie erstarrt dasteht, greift er zu Pinsel und
stlos Toten
Palette: die That des Todes wird ihm zur lebendigen In¬
bleibt un¬
der dem
spiration, so will er sein mürrisch verlassenes Gemälde voll¬
So zur Zeit der Renaissance; wie in der mo¬
hlos gegen¬
enden
dernen? Die Frau erwacht aus ihrer Seelenwanderer¬
speit, wie
verkehr mit
Halluzination — wie wird sie handeln? Man durfte g
Rein¬
spannt sein, Aie Schnitzler diese raffiniert geschickte Anti¬
Spiel that
these lösen würde, ein grandiöser Vorwurf erschien sich
mit einem witzigen Frage¬
aber
rs schlichte
aufzuthun
e, hier ver¬
zeichen schlägt er sich seitwärts in die Büsche. „Kommst
„Ja, heute abend darfst Du mich erwar¬
der mehr
Du, Pauline?“ —
Versagen
ten.“ Selten hat eine edle Rebe einen so fahrlässigen Kel¬
terer gefunden. Das Stück bietet auch der Schauspielerkunst
nur Virtuosenaufgaben, denen sich eine Könnerin wie
Quarteit den
Irene Triesch vortrefflich, ein armseliger Schönling
an. Manch¬
wie Rich. Hahn sehr wenig gewachsen zeigte.
m eindring¬
Die tiefste Gabe des Abends waren „Die letzten
e trifft sich
]Masken“, eine Tragikomödie des menschlichen Sterbens,
der schon
voller Humor und nachdenklicher Lebensphilosophie. Im
aftlich und
Spital fühlt ein im Leben gescheiterter Journalist den Tod
fet von der
Fnahen. Sein verbittertes Herz hat nur noch einen Wunsch:
Demütigun¬
bevor er stirbt, möchte er seinem vom Glück umbuhlten und
vunde Seele
mus, da fällt] doch so nichtigen Jugendfreund seine ganze Verachtung ins
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SRRNRERR

Gesicht schleudern, nöchte dem „Glüclichen“ sagen, wie elend
er doch im Grunde ihm gegenüber gewesen sei — denn des
Freundes Frau war seine Geliebte und durchschaute die
ganze Flachheit des Glückspilzes. Er spielt diese pathetische
Genugthuungs= und Racheszene zur Probe gleichsam einem
anderen Sterbekandidaten, einem köstlich gezeichneten Komiker
(Hans Fischer), auch wirklich vor. Als aber der Ge¬
rufene da ist, in seiner ganzen behäbigen Wohlgenährtheit
und moralischen Salbung, da kommt mit den wachsenden
Schatten des Todes, mit den dämmernden Strahlen der
Ewigkeit das verstummende Verzeihen über ihn. „Die letzten;
Masken“ fallen. Er fragt nach der Frau, nach den Kindern
auch hier Sorge und Mühe, und dazu die Kleinheit
der Gesinnung — wer ist der Bemitleidenswerte? Er stirbt
und lächelt; der Andere geht, nach einem Trinkgeld an die
Krankenwärterin, zurück zu den kleinen Freuden und Leiden
seines ewigen Alltags. Reinhardt als Sterbender,
Bassermann als Lebender in einer prächtigen Frei¬
sinnsbarden=Maske führten das Stück, das beste, das
Schnitzter je gelungen, zu einem starken, mehr als theatra¬
lischem Erfolge.
Ein Satyrdrama „Litteratur“ ein Schwankbild
aus der Münchener Bohène voll entzückender Selbstironi¬
sierung und einem aus der Natur der Dinge natürli
borenen Witz, machte den Kehraus. Ein Zeitlustspi
der Décadence, neben dem Wolzogens „Lumpenge
nur eine piumpe Karikatur. Es hat nicht die Füll
Lebens und den positiven Gemütsinhalt der Freytag
„Journalisten“, aber es ist als Zeitdokument nicht weniger
charakteristisch und weit eleganter in der Technik, behender
im Witz, freier im Humor. IreneTriesch gab den Marie
Madeleine=, Rittner den Hartleben=Typus mit verblüffen¬
der Echtheit. Schnitzler hat an diesem Abend doch bewiesen,
daß er mehr kann als „der Menschheit Schnitzel kräuseln",
wenn er sich auch, seiner Nativität entsprechend, statt der
„Schwere dieser Erden“ mit den „spielenden Geberden“ be¬
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gnügt hat.