II, Theaterstücke 16, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 1), Lebendige Stunden. Vier Einakter, Seite 102

16.1. Lebendige Stunden— zyklus
ger Goldschone,
Ot:
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Zeitungsausschnitte und Verlag
der Wissenschaftlichen Revue.
BERLIN N., Auguststr. 87 part.
Telephon Amt III. No. 3051.

Teveramn-Arennet
Ausschnitt
GOLDSCHMDT. Auguststr.87.
aus
IVorwärts, Berlin
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—7. 1. 02
Tebendige Bkunden.
(Deutsches Theater.)
Keines der kleinen, unter diesem Namen vereinigten Stücke
sich zu jener Höhe, die er im Vorjahre
Schnitzlers erhob
mit seinem „Grünen Kakadu“, dem wunderbaren, phantastischen
Stimmungsbilde aus den Anfängen der großen Revolution
erreicht hatte. Aber daß ihm der größere Wurf gelungen,
darf einen gegen das vielerlei Feine, Interessante und Nach¬
Einakter¬
in diesem neuen
Dichter
denkliche, das der
So breit der Ab¬
Abende bot, nicht undankbar machen.
jstand ist, der die Kleinkunst dieser Bilder von der virtnosen
so breit
KTresssicherheit jener historischen „Groteske“ trennt,
st auf der andern Seite auch der Abstand zwischen ihnen und der
Fabrikware der üblichen Theaterproduktion. Es war nicht immer
kin künstlerisch voll befriedigender Eindruck, der einem, wenn der
Vorhang fiel, verblieb, immer aber eine starke Auregung, welche
nicht so bald die Gedanken zur Ruhe kommen ließ. Man
hatte die Empfindung, daß man in guter Gesellschaft gewesen,
daß man jemandem zugehört, der, wenn er redet, auch wirklich
innerlich Erlebtes und mit ehrlichem Bemühen Durchgearbeitetes zu
sagen hat, irgend etwas, dem es nachzusinnen verlohnt. Und wie
selten ist das heute im Theater! Meist wird mit abgegriffenen
Rechenpfennigen der billigsten Allerweltsweisheit und Rontine ge¬
rzahlt; und wenn man einmal „originell sein will, da pflegt an Stelle
des trivialen Sinnes der bare, verworren stammelnde Unsinn zu
Ptreten, ein peinlich impotentes Sichhinaufschrauben wollen, bei welchem
Kopf und Herz womöglich noch leerer ausgehen.
Die Reihenfolge, in welcher die drei ernsten Einakter — ein
fröhlicher Schwank machte den Abschluß — aufgeführt wurden, ent¬
sprach der Stufenfolge und der Steigerung ihres Wertes. Das erste
Stückchen, die „Lebendigen Stunden“, steht hinter den
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folgenden bedeutend zurück. Es wirkt durch den Ernst und die Tiefe! Spita
der angeschlagenen Probleme, aber die Figuren bleiben allzusehr sprechg
Schattenriß, um lebhafter zu interessieren. Eine Frau, die von töd= denen
Wilder
lichem Siechtum befallen ist, hat heimlich Gift genommen, nicht weil
sie selbst ihr Leiden nicht länger ertragen mag — denn noch immer
sich
das
findet sie Stunden der Tröstung in der treuen Liebe eines alten
hören,
sondern weil ihr Leiden als furchtbarer und
Freundes

Arme
entnervender Gram auf der Seele ihres Sohnes lastet.
wie n
Er ist ein Künstler, aber seit ihre Krankheit die furchtbare Wendung
heuche
nahm, ist seine Schaffenskraft, von der die Freunde viel, das über¬
schwenglich liebende Mutterherz alles erwartet hat, gebrochen. So singen
kleinen
reifte der Entschluß eines stillen, vor aller Welt verborgenen Opfer¬
Man
todes in ihr. Nur dem alten Freunde hat sie in der letzten Stunde
klingt
geschrieben, daß sie freiwillig, daß sie aus Liebe für den Sohn ein
ist das
Ende machen wolle; er soll das als unverbrüchliches Geheimnis be¬
regt.
das ist der Inhalt des Schnitzlerschen
wahren. Und nun stößt —
Todes
Dramoletts — die abgrundtiefe Verzweiflung und der zornige Gram
Stann
des Alten, dem jene Frau das höchste Gut des Lebens war,
ahnnn
mit dem jugendlich leichteren Schmerz des Jünglings zusammen.
trollt
Ein unbezwingliches Bedürfnis packt ihn, an dem, den er als
meiste
ahnungslosen Mörder jenes Höchsten haßt, furchtbare Strafe zu
vollziehen. So giebt er ihm den Brief der Mutter. Ihre Opferthat
„Litt
soll dem, für welchen sie gebracht ward, zum Fluche werden. Aber der
und f#
lehnt mit der Kraft des Lebens sich dagegen auf. In den engen Formen
frivole
des Einakters konnte die psychologische Fülle des Stoffes naturgemäß
weit
nicht zur freien Entwicklung kommen. Die Hauptperson, die Mutter,
ein H
deren Charakteristik erst alles Weitere lebendig und verständlich hätte
jeder
machen können, schied hier von vornherein aus. Gespielt wurde, vor
gewech
allem von Reinhardt, der die Rolle des Alten hatte, vor¬
Poeten
trefflich.
Schon viel mehr dramatischen Nerv hakte das zweite Stück:
der be
„Die Dame mit dem Dolche.“ In ihm lebt etwas von jener
liebe
eigentümlichen Phantastik, von jenem Ineinanderspielen von Schein
spottet
und Wirklichkeit, wodurch der „bunte Kakadit“ so eigenartige Stimmungs¬
reize erzielte. Freilich reichte auch hier, wie in den „lebendigen
Stunden“ die Ausführung nicht an die Größe der Idee heran. —
Traumbilder sind schon oft dem Rahmen eines größeren dramatischen
aber wohl noch nie mit jener eigen¬
Ganzen eingefügt,
artig pointierten Wendung, wie in diesem Schnitzlerschen Stücke.
Das Tramnbild erscheint hier wie eine Rückerinnerung an frühere
Existenzformen der Seele. Wem wäre es nicht schon einmal be¬
gegnet, daß ihm in irgendwelchen Situationen plötzlich der Gedanke
aufdämmerte, das Gegenwärtige sei nicht ein Neues, sondern irgend¬
wann und irgendwo schon einmal durchlebt? So lächerlich es wäre,
aus solchen nervösen Zuständen, die eine ganz natürliche Erklärung
zulassen, im Ernste mystische Folgerungen ziehen zu wollen, so wenig
kann es doch der dichterischen Phantasie verwehrt sein, dem Zauber dieses
Geheimnisvollen nachzugehen, und dabei die dunklen und uralten Ge¬
danken der Seelenwanderung und eines Vorausbestimmtseins alles
unsres Thuns durch frühere Geschlechter leis mitanklingen zu lassen. —
Vorzüglich stimmungsvoll war die Umrahmung der Vision, die schwüle
Liebesscene in dem Kunstsalon und dann der Schluß. Ein junger
Mann wirht um die Gattin eines großen Künstlers. Sie weist ihn ab,
ihr Gatte würde sie töten, wenn sie die Treue ihm bräche, und mit
all Jasern, ob er sie auch hundertmal betrüge, hängt ihr Herz an
ihm. Nur eine flüchtige Wallung war es, wenn sie in dieses Stell¬
dichein gewilligt hat. Da fällt ihr Blick auf die alten Florentiner
Bilder. In Florenz ist sie geboren und plötzlich in der nervösen
Erregung, in welche sie das Drängen ihres Begleiters bringt, kommt
es über sie, sie müsse die Gestalten dort alle schon gesehen haben!
und die eine Figur, „Die Frau mit dem Dolche“, das sei sie selbst.
Erschöpft sinkt sie auf einen Sessel. Und nun zieht die Vision
einer um Jahrhunderte entlegenen Vergangenheit an ihr vorüber.
Der kleine helle Salon verwandelt sich in einen alten Florentiner
Prunksaal. Sie selbst, ihr Werber, ihr Gatte sind alte Florentiner.
Aber das veränderte Kostüm birgt gleiche Leidenschaften. Sie sieht¬
sich, wie sie den jungen Liebhaber in der flüchtigen Lust eines Augen¬
blicks erhört, und wie sie dann, von ihrem Manne kalt zurück¬
gestoßen, den Jüngling in grenzenloser Wut der Verzweiflung mit
dem Dolche — so wie das alte Bild es darstellt — niedersticht.)
Wieder hebt sich der Vorhang und zeigt die verfängliche Scenerie.
Langsam erwacht sie aus der Ohnmacht. Der Traum hat ihre Krafts
gebrochen; die Vergangenheit, die sie in wenigen Sekunden geschaut hat,
birgt eine fatalistische Vorausbestimmung ihres eignen Schicksals in sich.
Besinnungslos, in unerklärlichem Drange, wie jene Florentinerin, ihr
andres Ich, verspricht sie dem ungeliebten Anbeter Erhörung. Was
war, muß in dem Ringe des Geschehens wiederkehren mit unerbitt¬
licher Notwendigkeit. — Dem wunderbaren Spiele von Irene
Triesch gelang es, all die feinen Uebergänge einander wider¬
streitender Empfindungen und so auch diesen letzten, aus den Tiefen
eines rätselhaft Unbewußten hervorquellenden Entschluß völlig
natürlich erscheinen zu lassen. Freilich hätte, wenn die rechte
spukhaft=phantastische Wirkung festgehalten werden sollte, in dem
visionären Zwischenspiel noch viel geändert und stark gestrichen
werden müssen. In seiner jetzigen Gestalt fehlt ihm die über¬
zeugende Kraft.
Ein voller Erfolg aber waren die , letzten Masken“. Da
gab es keine toten Stellen. Idee und Ausführung deckten einander.
Die schneidende Ironie, die verhaltene Spannung, das schwermütig
Grüblerische in diesen Scenen rief fast eine Erinnerung an Ibsensche
Kunst wach. Ein armer Teufel von Journalist, der einsam #
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