II, Theaterstücke 16, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 1), Lebendige Stunden. Vier Einakter, Seite 114

16.1. Lebendige Stunden Zyklus

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97.
Hannoverscher Courier
—7. 1. 02
Theater und Musik.
J. S. (Berliner Theaterbrief.) Aus Berlin,
5. Januar, wird uns geschrieben: Mit vier neuen Einaktern von
Arthur Schnitzler hatte das Deutsche Theater gestern einen
Frarten Erfor.
Sücke, die nur eine geringe innere und
außere Verwandtschaft mit einander zeigen, sind, wie es jetzt
üblich ist, unter einem gemeinsamen Titel zusammengefaßt.
Der Autor nennt sie „Lebendige Stunden“ Er versteht darunter
ddie Stunden, denen der Künstler durch sein Werk ewige Dauer
verleiht die Erlebnisse, die den Anlaß und die Grundlage für
seine Schöpfungen bilden. Ein junger Dichter erfährt, daß
seine Mutter freiwillig aus dem Leben geschieden ist, weil sie
fürchtete, daß ihr langwieriges Leiden den Sohn in seinem
Schaffen hemmen könnte. Zum Entsetzen eines philiströsen
Hausfreundes erklärt der junge Mann, daß er die hochherzige
und rührende Opferthat seiner Mutter als Stoff für eine
Dichtung verwerthen wolle, und daß er sich durch diese Arbeit
zugleich von der Last seines Schmerzes zu befreien hoffe. Das
ist der Inhalt des ersten Einakters „Lebendige Stunden“. Der
zweite, „Die Frau mit dem Dolche“, behandelt die Geschichte
eines heißblütigen Weibes, das sich aus der frostigen Umgebung
seines Gatten eines kühlen Poeten, in die Arme eines feurigen
Jünglings flüchtet, und zwar nicht aus Liebe, sondern um das
brutale Bedürfniß der unbefriedigten Sinne zu stillen. Die
Sünderin pflegt ihre Fehltritte dem Gatten zu beichten, und
dieser benutzt sie dann els Stoff zu abendfüllenden Dramen.
Ins Spittel führt uns das dritte Stück „Die letzten Masken“.
Ein schwindsüchtiger Komödiant macht an Kranken und
Sterbenden seine Studien. Er meint, daß die Menschen im
Anblicke des Todes die letzten Masken fallen lassen und ihr
wahres Ratlitz zeigen. Auch einem armen journalistischen
Zeilenschinder gelüstet es, am Ende eines verpfuschten Lebens
seinem glückbegünstigsten Rivalen, dem gefeierten Dichterling,
tödtliche Wahrheiten ins Gesicht zu sagen. In einer tragi¬
komischen „Generalprobe“, die er auf Betreiben des Komödian¬
ten abhält, entlastet er aber sein Herz bereits so gründlich, daß er
in dem Augenblicke, wo der Verhaßte in Person vor ihn tritt, kein
böses Wort mehr hervorbringt, sondern nur Mitleid mit dem
eiteln Narren empfindet. Die Einakterserie schließt mit einer
ausgelassenen Farce „Literatur“. Eine Literaturzigeunerin, die
des Kaffeehaustreibens satt ist, hat sich einen reichen, bornirten
Aristokraten zum zukünftigen Gatten erkoren. Sie weiß ihm
einzureden, daß die heiklen Schwänke, die sich in ihren Dichtun¬
gen
vorfinden, lediglich Phantasiegebilde seien. Die Leicht¬
gläubigkeit des guten Grafen wird durch den Besuch eines
Jugendfreundes seiner Braut auf eine harte Probe gestellt, aber
die göttliche Frechheit der Bohèmienne führt geschickt über alle
Fährnisse hinweg.
Den meisten Beifall fanden mit Recht
die beiden letzten Einakter, während die ersten mit ihren etwas
gesuchten Motiven, ihrer zerfahrenen Handlung und ihrer merk¬
würdig gequölten Technit keinen tieferen Eindruck machten. —
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Die Darstellung, an der sich Bassermann, Rittner, Reinhardt,
Fischer, Sommerstorff und das temperamentvolle, aber humor¬
lose und noch nach tausend berühmten Mustern arbeitende Fräu¬
lein Irene Triesch betheiligten, stand nur im dritten Stück ganz
auf der alten Höhe des Deutschen Theaters.